Niedrige Wahlbeteiligung:Ganz große Koalition gegen Stimmverweigerer

Electoral official sorts ballot papers in Munich

Sechs Parteien wollen es wissen: Weshalb sinkt die Wahlbeteiligung?

(Foto: REUTERS)
  • Weil die Wahlbeteiligung seit Jahren sinkt, haben sich jetzt die Generalsekretäre von sechs Parteien getroffen.
  • Die Runde beschloss, sich in den kommenden Monaten um vier Themenkomplexe zu kümmern. Als Erstes soll die sinkende Wahlbeteiligung genauer erforscht werden.
  • Auch die Stiftungen der Parteien sollen in die Arbeit einbezogen werden.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die Wahlbeteiligung gilt nicht zu Unrecht als wichtiger Indikator für die Gesundheit einer Demokratie. Mit jedem Bürger, der seine Stimme verweigert, sinkt die Legitimation der Parlamente. Umso alarmierender sind die Zahlen. Bei Europawahlen liegt die Beteiligung schon seit mehr als 15 Jahren unter 50 Prozent. Zuletzt haben auch bei einigen Landtagswahlen weniger als die Hälfte der Berechtigten ihre Stimme abgegeben. Im Bund sieht es zwar noch etwas besser aus. Aber auch hier ist die Beteiligung seit dem Rekordjahr 1972 von gut 91 auf 71,5 Prozent geschrumpft.

Die Sorge über diese Erosion hat jetzt in Berlin zu einer ganz großen Koalition geführt. Normalerweise haben sich Linke und Union nichts zu sagen - und die FDP sitzt schon lange nicht mehr im Bundestag. Umso erstaunlicher war die Runde, die am Freitagmorgen um acht Uhr im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags zusammenkam. In Raum 3114 trafen sich die Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer von CDU, CSU, SPD, Linken, Grünen und FDP, um gemeinsam nach Mitteln gegen die schrumpfende Wahlbeteiligung zu suchen.

Runde will sich um vier Themenkomplexe kümmern

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hatte bereits im vergangenen Jahr Vorschläge gemacht. In Erinnerung geblieben ist vor allem die Empfehlung, auch in Supermärkten und Bahnhöfen Wahlurnen aufzustellen. Peter Tauber und Andreas Scheuer hatten im Februar für die Union nachgelegt. Sie wollen unter anderem die Wahllokale zwei Stunden länger - also bis 20 Uhr - offen halten. Jetzt sahen es die drei Koalitionsgeneralsekretäre an der Zeit, mit ihren drei Oppositionskollegen Matthias Höhn (Linke), Michael Kellner (Grüne) und Nicola Beer (FDP) über das Thema zu reden.

In den "Berliner Runden" an Wahlabenden fetzen sich die Generalsekretäre nach allen Regeln der Kunst. Das Treffen im Bundestag verlief dagegen erstaunlich harmonisch. "Wir haben neunzig Minuten debattiert", sagt einer, der dabei war. Dabei habe keiner die Vorschläge "der anderen von vornherein kaputt geschlagen". Grüne und Linke glauben etwa, dass Volksabstimmungen gegen die Demokratiemüdigkeit vieler Bürger helfen könnten. FDP-Generalsekretärin Beer plädiert für E-Voting, also die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe. Was in Estland gehe, müsse doch auch in Deutschland möglich sein, findet Beer.

Die Runde beschloss, sich in den kommenden Monaten um vier Themenkomplexe zu kümmern. Als Erstes wollen die sechs die sinkende Wahlbeteiligung genauer erforschen lassen. Wo liegen die Ursachen? Was kann man gegen die unterschiedliche Beteiligung der sozialen Schichten tun? Peter Tauber sagt, ihn interessiere auch, ob "eine Nichtteilnahme automatisch eine Ablehnung des demokratischen Systems" sei, oder ob es nicht auch andere Gründe dafür geben könne. Nicht zu wählen könne "ja auch Ausdruck von Zufriedenheit mit der Regierung sein".

Werbung für Demokratie an Schulen und Bundeswehrstandorten

Zweiter Themenkomplex soll das Wahlrecht sein. Die Grünen wollen ein kommunales Wahlrecht für alle Ausländer. Der Union geht es angesichts der Erfahrungen bei den jüngsten Wahlen in Hamburg und Bremen eher um die Frage, ob Bürger durch ein zu kompliziertes Wahlrecht abgeschreckt werden.

Der dritte Komplex heißt Partizipation. Dabei soll es nicht nur um Volksabstimmungen, sondern auch um innerparteiliche Mitbestimmung gehen. Virtuelle Kreisverbände oder die Wahl von Kreisvorständen via Internet verhindert bisher das Parteiengesetz. Der letzte Punkt auf der Agenda der Generalsekretäre heißt "Politische Kultur". Die Union denkt da zum Beispiel daran, den 23. Mai als Verfassungstag zu nutzen, an dem bundesweit in Schulen, Volkshochschulen, Bundeswehrstandorten oder auch Unternehmen für die Demokratie geworben wird.

Im Laufe der kommenden Woche wollen die Generalsekretäre die vier Eckpunkte, über die sie jetzt gesprochen haben, ausformulieren. Dann wollen die Sechs auch die Stiftungen ihrer Parteien dafür gewinnen, sich mit dem Katalog zu beschäftigen. Einen Zeitplan gibt es aber noch nicht.

Am Ende des Treffens am Freitag waren auch die drei Oppositionsvertreter zufrieden. "Wir wollen Interesse an Politik stärken, darüber haben wir in guter Atmosphäre gesprochen`, sagte der Grüne Kellner. Das sei "ein starkes Zeichen für unsere politische Kultur, Fortsetzung folgt".

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