Gescheiterte Jamaika-Sondierung:Schockstarre in Berlin

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FDP-Chef Lindner hinterlässt enttäuschte Verhandler, als er die Jamaika-Sondierung für beendet erklärt. Doch einige scheinen darüber gar nicht so unglücklich.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Am Ende stehen die Vertreter von Union und Grünen da wie eine Herde verlassener Schafe, erstarrt, so als hätte der Blitz eingeschlagen. Aber es gibt auch ein paar Gesichter an diesem Abend, die so gar nicht traurig wirken mögen.

Sonntagnacht in der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin. Den ganzen Tag haben die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen versucht, hier die Grundlagen für ein Jamaika-Bündnis zu Papier zu bringen. Nach mehr als vier Wochen holpriger Sondierungen sollten die Parteien jetzt endlich zusammenfinden. Sie sollten. Aber ob alle wollten, darf bezweifelt werden.

Gegen Mitternacht jedenfalls ist alles vorbei. Da tauchen plötzlich die Unterhändler der Liberalen in Mänteln und mit Aktenkoffern im Foyer der Landesvertretung auf und steuern Richtung Ausgang. Draußen faltet Parteichef Christian Lindner einen vorbreiteten Zettel auseinander, sein Gesicht drückt keinerlei Bedauern aus.

Nach Wochen der Verhandlungen liege ein Papier "mit zahllosen Widersprüchen" vor, sagt er. "Es hat sich gezeigt, dass die vier Gesprächspartner keine Verständigung über die Modernisierung des Landes und vor allem keine Vertrauensbasis entwickeln konnten", sagt er. Die FDP stehe für eine "Trendwende", hätte für ein Jamaika-Bündnis aber "alles verraten" müssen, wofür sie gewählt worden sei. "Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren", sagt Lindner noch. Dann rufen die Liberalen sich eilig ein paar Taxis.

Um Mitternacht ist alles vorbei

Ein Jamaika-Bündnis wird es nicht geben. Eine Stunde später tritt im Foyer der Landesvertretung eine offensichtlich unglückliche Bundeskanzlerin vor die Presse.

"Es ist ein Tag, mindestens des tiefen Nachdenkens, wie es weitergeht in Deutschland", sagt Angela Merkel. In den Sondierungen habe die CDU viel erreicht, für die Wirtschaft, auch in der schwierigen Klimapolitik. Und sogar auf dem Konfliktfeld Zuwanderung und Flucht "hätten wir eine Lösung finden können", sagt sie.

Jamaika hätte ein Zeichen der Versöhnung sein können, sagt Merkel. CDU und CSU wollten nun das Land "auch in schwierigen Stunden regieren". Dann tritt CSU-Chef Horst Seehofer ans Mikrofon. Es hat nicht geklappt mit Jamaika, sagt er. "Das ist schade. Das bedeutet gleichzeitig eine Belastung für die Bunderepublik Deutschland."

Eine schockierte Kanzlerin verlässt in der Nacht den Ort des Scheiterns. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Katrin Göring-Eckardt von den Grünen klingt wie auf einer Begräbnis-Zeremonie. "Ich glaube, es wäre für unser Land ein gutes Signal gewesen, wenn so unterschiedliche Partner sich entschieden hätten, Verantwortung füreinander zu übernehmen." Der Grünen-Parteichef Cem Özdemir wirkt wie erstarrt vor Enttäuschung. "Eine Verständigung wäre möglich gewesen, guter Wille vorausgesetzt", sagt er. Die FDP aber habe das einzig mögliche Regierungsbündnis nach der Bundestagswahl "heute Nacht leider zunichtegemacht".

Es fing an diesem Sonntagmorgen schon nicht gut an. FDP-Chef Christian Lindner erscheint erkennbar verstimmt am Verhandlungsort. Er trägt eine Zeitung unter dem Arm. Darin hatte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin mitgeteilt, seine Partei habe ihre Schmerzgrenze nunmehr erreicht und noch manchen Wunsch offen, etwa in der Außenpolitik.

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Die FDP-Delegation habe sich, hieß es später, erst einmal in ihren Besprechungsraum zurückgezogen. Parteichef Lindner und sein Vize Kubicki hätten sich dann zunächst geweigert, an der Chef-Runde im zweiten Stock teilzunehmen. Die Bundeskanzlerin habe daraufhin persönlich im Zimmer der FDP vorgesprochen, um die beiden davon zu überzeugen, doch noch dazuzukommen. Ob es so war oder anders, ließ sich nicht mehr in Erfahrung bringen. Wie es weitergeht, wird hinterher in jeder Verhandlungsgruppe anders erzählt.

Offenbar ist die Stimmung am Sonntag von Anfang an angespannt. Dennoch, heißt es später übereinstimmend aus CDU, CSU und von den Grünen, hätten sich die acht Parteioberen in wichtigen Punkten angenähert.

Roth umarmt de Maizière, Habeck fragt Tauber: "Bier oder so?"

Es soll etwa eine Verständigung darüber erzielt worden sein, den Solidaritätszuschlag wie von der FDP gewünscht sukzessive und vollständig abzuschaffen. Auch eine Lösung zum umstrittenen Familiennachzug für Flüchtlinge habe auf dem Tisch gelegen. Die CSU sollte außerdem ihre Mütterrente bekommen. Die Grünen sollen sogar drauf und dran gewesen sein, Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten erklären zu lassen. In der FDP aber scheint zu diesem Zeitpunkt bereits die Entscheidung zum Ausstieg gefallen zu sein.

Nach dem Abgang der FDP breitet sich in der Landesvertretung Schockstarre aus. Es dauert. Dann kommen die ersten Unterhändler von CDU, CSU und Grünen nach und nach ins Foyer. Die Gesichter sind wie versteinert.

Die Grüne Claudia Roth, die über viele Stunden einen Kompromiss zur Migration auszuhandeln suchte, schaut erst grimmig. Dann umarmt sie CDU-Innenminister Thomas de Maizière. "Unverantwortlich", sagt Roth. "Manchen geht es eben nur um die Person oder die Partei, aber nicht ums Land oder Europa."

Es gibt noch andere nächtliche Verbrüderungsszenen zwischen Schwarzen und Grünen. "Bier oder so?", fragt Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck den CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Kanzleramtsminister Peter Altmaier pflügt wie ein Schiff durch die Menschen, die jetzt ins Foyer strömen. Er geht schnurstracks auf Claudia Roth zu und streckt ihr die Hand entgegen. "Liebe Frau Roth", sagt er, "Sie waren großartig!" Roth kämpft mit den Tränen.

Irgendwo in der Menge steht Jürgen Trittin, er hat dieses ironische kleine Lächeln im Gesicht, das seine Widersacher so aufbringt. Es sei noch ein Paket auf den Tisch gelegt worden, "aber die hatten die Presseerklärung schon fertig", sagt er. Die, das sind die Liberalen. An Grünen und auch der CSU jedenfalls sei die Sache nicht gescheitert. Das Land werde jetzt "lange mit einer geschäftsführenden Regierung" leben müssen. "Doch, ich bedaure das", sagt Trittin noch, bevor er geht. Er sieht nicht wirklich traurig aus.

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