Föderalismus:Welche Bedeutung Landtagswahlen haben

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Das Landeshaus in Kiel: Am Sonntag wählen die Schleswig-Holsteiner ihre Landesabgeordneten. (Foto: dpa)

Sie gelten in Deutschland als eine Art Orakel. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen werden deshalb viele Fragen beantwortet: Bleibt für die SPD die Chance eines Machtwechsels? Und: Schafft die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag?

Kommentar von Heribert Prantl

Nie wieder hat ein Landtag in Deutschland so viel Bedeutung wie an dem Tag, an dem er gewählt wird. An diesem Tag rückt der Landtag ins Licht der Bundespolitik; er wird ausgeleuchtet, als lasse sich dort die deutsche Zukunft entdecken. So ist es, wenn an diesem Sonntag in Kiel der dortige Landtag gewählt wird; so wird es sein, wenn einen Sonntag später der Landtag in Düsseldorf gewählt wird; und so war es selbst vor sechs Wochen, als der Landtag im kleinen Saarland gewählt wurde. Landtagswahlen haben in Deutschland eine Bedeutung, die dem der Orakel im alten Griechenland durchaus vergleichbar ist. Ihre Aussage wird begierig gedreht, gewendet und hochgerechnet - als allgemeiner Stimmungstest, als Signal, als ein Indikator für den gesamtpolitischen Trend und als Handlungsanleitung für die Strategen der Parteien.

Man kann das bedauern, weil das der eigentlichen Bedeutung der Landtagswahl nicht gerecht wird; gewählt wird ja der Landesgesetzgeber. Aber die gesetzgeberischen Kompetenzen der Landtage sind heute so beschränkt, dass sie nur ein Abglanz dessen sind, was sie sein könnten. Die Landtage stehen im Schatten der von ihnen gewählten Landesregierungen; und die Landesregierungschefs, also die Ministerpräsidenten, entschädigen sich für den Machtverlust der Länder und der Landtage bei der Gesetzgebung durch das Mitregieren im Bund via Bundesrat. Insofern hat eine vorwiegend bundespolitische Betrachtung der Landtagswahlen schon ihren Sinn.

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Und weil der Wähler aus jahrzehntelanger Erfahrung weiß, dass seine Landtagswahlstimme bundespolitisch gewertet wird, setzt er sie (anders als bei Kommunalwahlen) auch entsprechend ein. So wurde jüngst die Landtagswahl selbst im Saarland, das der Floh ist unter den deutschen Bundesländern, zu einem Test über die Chancen der Schulz-SPD und der Merkel-CDU. Der Floh hatte gehustet; und für Merkel und Schulz wurde auf dieser Basis die Diagnose gestellt. Sie lautet: Die CDU hat die Luft, die der SPD schon wieder ausgeht. Das muss nicht stimmen, aber auch Fehldiagnosen haben ja ihre Wirkung.

Die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen haben vorentscheidende Kraft für die Bundestagswahl. In beiden Ländern regiert jetzt Rot-Grün; wenn die SPD dort die Macht jetzt verlöre, würde sie diese im September im Bund kaum mehr gewinnen können; dann wäre der Mai 2017 der Monat, in dem die Bäume der SPD nicht ausschlagen und deren Blütenträume schon wieder verdorren; es bräche die Hochstimmung zusammen, die Martin Schulz, der neue Parteichef und Spitzenkandidat, ausgelöst hat.

Die Wähler sind erregbar wie Espenlaub

Zur doppelten Niederlage wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht kommen, weil selbst von einem nachlassenden Hype noch ein Schub übrig bleibt. Aber schon das Gedankenspiel zeigt die Relevanz der zwei bevorstehenden Landtagswahlen. Sie werden eine Vielzahl von Fragen beantworten: Bleibt für die SPD die Chance eines Machtwechsels? Können die Grünen den Sog nach unten stoppen? Schafft die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag? Setzt sich das Schrumpfen der AfD fort? Es kann gut sein, dass all diese Fragen mit Ja zu beantworten sind und sich in den Wahlergebnissen die Belege dafür finden - auch dafür, dass ein gewisser Generalverdruss an Merkel wieder schwindet. In einer Welt schwer kalkulierbarer Risiken (Brexit, Erdoğan, Trump, Le Pen) gewinnt das Gewohnte an Wert und der Adenauer-Slogan von 1957 wieder Strahlkraft: Keine Experimente!

Die Wählerschaft in den westlichen Demokratien ist derzeit so leicht erregbar wie das Laub der Zitterpappel, die man auch Espe nennt. Deren Blätter sind an langen Stielen befestigt, sodass sie schon bei leichtestem Luftzug in Bewegung geraten; schon bei mäßigem Wind hebt ein großes Rauschen an. Donald Trumps Wahlsieg war kein Wind, sondern ein Weltensturm - und davon bleiben nicht einmal Landtagswahlen in Deutschland unbeeindruckt. Einerseits schaudert es viele angesichts der Agenda, die sich der 45. US-Präsident auf die Fahne geschrieben hat; andererseits fasziniert er, weil er es geschafft hat, das Heer der Nichtwähler für sich zu gewinnen, ihnen scheinbar aus dem Herzen zu sprechen und ihnen mit nationalistischen Parolen das Gefühl von Bedeutung zu geben.

Martin Schulz hat Fehler gemacht

Die Unzufriedenheit mit der politischen Klasse und das Grundgefühl, dass "die" ja eh machen, was sie wollen, dass sich mit Wahlen nichts ändert und alles immer so weitergeht - das gibt es in Deutschland auch. Daher kam es zum Schulz-Hype, als überraschend Martin Schulz als hierzulande unverbrauchtes Gesicht Kanzlerkandidat der SPD wurde und auf die Leute zuging, von ihren Ängsten und Sorgen sprach, von seinem eigenen Schicksal erzählte und die Gerechtigkeit zu seinem Thema machte; die SPD-Umfragewerte schnellten in die Höhe; sie machten den Wahlkampf wieder spannend, weil sich die Alternative zum Perpetuum mobile der großen Koalition abzuzeichnen schien.

Aber Schulz machte dann zwei Fehler. Der erste Fehler: Aus dem Ergebnis der Landtagswahl im kleinen Saarland zog er den kleinlauten Schluss, sofort wieder auf laute Distanz zu den Linken gehen zu müssen. Es stimmt zwar, dass sich im Saarland die Mehrheit der Wähler gegen Rot-Rot ausgesprochen hat. Aber deshalb sofort die bundespolitische rot-rot-grüne Option zu töten, war falsch. Die hätte der SPD zwar wieder Rote-Socken-Diskussionen eingebracht, aber auch polarisiert - und diese Polarisierung hätte dem Wahlkampf gutgetan.

Schulzens Fehler Nummer zwei: Der demokratische Populismus, den er virtuos beherrscht, ist zwar ein gutes Mittel, Begeisterung zu erzeugen. Pur verabreicht, trägt er aber nicht lange; er darf sich nicht nur im Vagen halten, nicht nur vertrösten, sondern muss mit Inhalten gefüllt der Realität standhalten. Schulz hat angekündigt, seine soziale Gerechtigkeit erst im Sommer programmatisch zu buchstabieren. Das hat viele Wähler ernüchtert und die Skepsis wachsen lassen, die Schulz-SPD nehme den Mund zwar voll - aber nur mit heißer Luft.

Gewiss: Auch heiße Luft lässt Blätter zittern. Aber Zittern ist noch keine kraftvolle Bewegung.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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