Europaskeptiker im Internet:Das löchrige Netz der Populisten

Farage campaigns in London

Nigel Farage, Frontmann der britischen "United Kingdom Independence Party".

(Foto: dpa)

In vielen Ländern sind die Anti-Europäer auf dem Vormarsch. Doch wie eng kooperieren die Populisten? Und beherrschen Parteien wie AfD und Front National die nationalen Debatten? Eine neue Studie untersucht, wie dominant Wilders, Farage und Co. im Netz sind - und findet einen klaren Sieger.

Von Matthias Kolb

Sie sehen die Europäische Union als abgehobenes Eliten-Projekt und vermitteln ihren Wählern den Eindruck, dass sich in Brüssel und Straßburg niemand für die Normalbürger interessiere. Mit dem Argumentationsmuster "Die da oben, wir da unten" operieren sowohl die Französin Marine Le Pen, der Brite Nigel Farage, der Niederländer Geert Wilders als auch hierzulande die "Alternative für Deutschland". Experten schätzen, dass die Anti-Europa-Populisten bei der Europawahl zwischen dem 22. und 25. Mai bis zu 30 Prozent der 751 Sitze im Europaparlament gewinnen könnten.

Vor diesem Hintergrund geht eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung wichtigen Fragen nach: Sind die Populisten eigentlich untereinander gut vernetzt (Wilders und Le Pen haben ja öffentlichkeitswirksam eine Allianz geschlossen) und dominieren sie die nationalen Debatten?

Deutsche Internetseiten mit antieuropäischen Inhalten

Deutsche Internetseiten mit antieuropäischen Inhalten

(Foto: Bertelsmann-Stiftung)

Das Ergebnis in aller Kürze: Der Austausch unter den Europa-Skeptikern ist erstaunlich gering und nur in einem der sechs untersuchten Staaten dominiert eine populistische Partei den nationalen Diskurs über Europa.

Neben Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien analysierten die Autoren auch die Lage in den Niederlanden und Polen. In jedem Land wurden 20 Websites identifiziert, die populistische und anti-europäische Inhalte verbreiten. Als Kriterien wurden die Einstellungen zur Europäischen Union, zum Euro als Gemeinschaftswährung sowie zum Schengen-Raum gewählt. Von diesen 20 "Start"-Seiten wurden die Verknüpfungen zu anderen Websites, Blogs und Diskussionsforen erfasst.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

Internetseiten mit europakritischen Inhalten in Großbritannien

Internetseiten mit europakritischen Inhalten in Großbritannien

(Foto: Bertelsmann-Stiftung)
  • UKIP dominiert die britische Debatte: Wer sich in Großbritannien über Europa informieren will, der kommt an der United Kingdom Independence Party und ihrem Frontmann Nigel Farage nicht vorbei. Wörtlich heißt es in der Bertelsmann-Studie: "Sie ist in unserer Untersuchung die einzige integrationsfeindliche Partei, die es geschafft hat, ein Teil des Mainstreams zu werden." Obwohl sich die Tories als Regierungspartei selbst sehr europakritisch geben, dominieren die Konservativen den Diskurs im Vereinigten Königreich nicht. Besonders auffällig: Die Netzwerk-Analyse zeigt "enge Verbindungen" von UKIP "zu Medien, Analysten, Vereinen und Verbänden". Auch die Websites der Zeitungen Sun und Daily Telegraph gehören zum antieuropäischen Netzwerk auf der Insel. Das Fazit von Studienautorin Isabell Hoffmann: "Nigel Farage und seine UKIP sind nicht die einzigen, aber sie sind die zentralen Figuren unter den britischen Europa-Gegnern."
  • AfD hat wenig Chancen gegen Pro-Europäer: Im Falle von Deutschland und Frankreich hat die Bertelsmann-Stiftung auch die Netzwerke der Europa-Freunde untersucht. Im Vergleich zu Frankreich beschäftigen sich relativ wenige deutsche Sites mit Europa, es dominiert eindeutig eine pro-europäische Haltung. Laut Bertelsmann-Stiftung findet die "Alternative für Deutschland" als stärkste europaskeptische Kraft mit ihren Argumenten vor allem bei Online-Medien Beachtung. Wörtlich heißt es in der Studie: "Dabei spielen die Websites der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine so herausragende Rolle, dass sie unserer Meinung nach fester Bestandteil des europakritischen Netzwerks sind." Und noch etwas fällt auf, wenn man die AfD mit anderen Europaskeptikern vergleicht: Die wichtigsten Akteure wie Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel sind auf Twitter kaum aktiv - oft herrscht seit Monaten Funkstille.
  • Beppe Grillo, der Twitter-König: Ganz anders sieht es in Italien aus. Dort hat Beppe Grillo, Chef der "Fünf Sterne"-Bewegung, fast 1,5 Millionen Follower bei Twitter (Hintergründe über seinen Erfolg hier). Grillo sagt klar, was er nicht mag: Er ist gegen Rom, Berlin und Brüssel und fordert stattdessen direkte Demokratie und mehr Transparenz. Damit wurde Grillos Partei bei den Parlamentswahlen 2013 zwar zur zweitstärksten Fraktion gewählt, aber in den allgemeinen Diskurs haben es die "5 Sterne" nicht geschafft: "Sie bilden am unteren linken Rand ihr eigenes Universum ohne Verbindungen zum 'System'".
  • Marine Le Pen ist im Internet relativ isoliert: In Frankreich verfügt der Front National laut Bertelsmann-Studie zwar über ein stark ausgebautes Netzwerk, dieses ist aber recht isoliert. Näher am Mainstream sind hingegen die links-nationalistische Mouvement republicain et citoyen (MRC) und die antieuropäische Debout la Republique. In diesen Parteien sind mit Jean-Pierre Chevènement und Nicolas Dupont-Aignan ehemalige Minister aktiv, die allgemein bekannt und auch auf Twitter sehr aktiv sind. 2012 wählte jeder neunte Franzose den linken Europa-Abgeordneten Jean-Luc Mélenchon, der gern verkündet, dass es keine Frage des "Ob" sei, ob Frankreich aus der Eurozone austreten werde - sondern eine Frage des "Wann und Wie". Abschließend heißt es in der Studie: "Der Erfolg von Marine Le Pen ist also das eine. Es ist ihr noch nicht gelungen, das Maß an Misstrauen und Ablehnung zu überwinden, das ihr Vater aufgebaut hat. Sich mit dem FN gemein zu machen, bleibt ein systemisches Risiko."
Internetseiten mit europakritischen Inhalten in Frankreich

Internetseiten mit europakritischen Inhalten in Frankreich

(Foto: Bertelsmann-Stiftung)

Die Erhebungen zu den Niederlanden zeigen, dass sich dort die Zivilgesellschaft kaum an den Europa-Debatten beteiligt. Wirklich dominieren kann Geert Wilders und seine PVV die Debatte allerdings nicht. Die Analyse zu Polen betont, dass der "Kongress der neuen Rechten" (Nowa Prawica) versucht, sich am Beispiel von UKIP zu orientieren.

Als insgesamt "fragmentiert und isoliert" beschreibt Studienautorin Hoffmann den Auftritt der Anti-Europäer im Internet. Sie appelliert an die Zivilgesellschaft in allen EU-Staaten, ihre pro-europäische Überzeugung auch im Netz deutlich zu machen. Gerade junge Leute seien sehr motiviert und hätten Lust, sich für Europa zu engagieren. Vor der Europawahl entstünden fast täglich neue Websites - Spiele, Reisen, Tagebücher, Filme.

Das Fazit der Bertelsmann-Stiftung lautet: "Die jungen Europäer gehen in der Masse unter. Was ihnen fehlt, ist nicht Geld. Sie brauchen Anerkennung durch Vernetzung." Große staatliche Institutionen - egal ob national oder auf europäischer Ebene - sollten eine Stelle schaffen, an die sich Bürger mit dem Wunsch nach Vernetzung wenden können. Dies wäre ein wirksames Mittel für den Fall, dass die Anti-Europa-Populisten irgendwann doch besser miteinander kooperieren.

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