EU-Gipfeltreffen:Rambo-Diplomaten gefährden Europa

Lesezeit: 3 min

Für die EU ist Ungarns Premierminister Viktor Orbán mittlerweile ein personifiziertes Fragezeichen. (Foto: AFP)

Von Ungarn bis Griechenland: Immer mehr europäische Regierungen setzen alles daran, ihre Interessen durchzusetzen. Dabei hängen alle Krisen miteinander zusammen - und können nur gemeinsam gelöst werden.

Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

Nach einer ganzen Reihe von Maßstäben ist es keine Übertreibung, Viktor Orbán einen schlechten Europäer zu nennen. Er legt Demokratie so aus, dass Minderheitenrechte in ihr keine Rolle spielen. Er zeigt nur begrenzten Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz und der Freiheit der Medien. Er schreckt nicht davor zurück, mit suggestiven Umfragen Stimmung gegen Flüchtlinge zu schüren. Und er plaudert - natürlich ganz unverbindlich - über die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Ein Irrtum aber wäre es, aus alledem zu schließen, dass Orbán sich in der EU schlecht auskennt. Wie die jüngste Zumutung aus Budapest zeigt, ist das Gegenteil der Fall.

Womöglich ist Orbán ein Verfechter der Rambo-Diplomatie

Nur zwei Tage vor einem EU-Gipfeltreffen zur Flüchtlingsfrage hat Orbán seine eigenen Fakten geschaffen. Er ließ die Partnerländer wissen, dass er derzeit keine Rücknahme von Flüchtlingen wünscht, die über Ungarn in andere EU-Länder weitergereist sind. Das widerspricht klar den EU-Regeln, denen auch Ungarn verpflichtet ist, entspricht aber den Gesetzmäßigkeiten in der EU, wie Orbán sie versteht.

Worum es ihm geht: größtmöglicher Druck soll im Konflikt über die gerechte Verteilung der Flüchtlingslasten entstehen. Wenn dann der Widerstand wächst, dann wird behauptet, so sei es doch gar nicht gemeint gewesen. Womöglich ist Orbán ein besonders konsequenter Verfechter der Rambo-Diplomatie, die Methode an sich aber kennt in der Union viele Anhänger.

EU-Flüchtlingspolitik
:Gegenwind von Osten

Bei ihrem zweiten Gipfel innerhalb einer Woche sollen die Staats- und Regierungschefs der EU über ein Umsiedlungsprogramm für Flüchtlinge bestimmen. Doch es droht Streit. Im Osten Europas stoßen Appelle zu mehr Solidarität auf taube Ohren.

Von Daniel Brössler und Alexander Mühlauer

Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als in der Schlacht um die Hilfen für Griechenland. Mit beeindruckender Sturheit hat der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ein Sondertreffen aller 19 Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe nur für sich allein erzwungen. Die Geduld der Gläubiger und EU-Partner hat der Grieche bis zum Äußersten strapaziert. Er hat sie als das behandelt, für was er sie in dem Konflikt hält: Gegner.

Es ist immer wieder von der Außenwirkung der Griechenland-Krise die Rede, von den Folgen für das Image der EU. Mindestens ebenso gravierend ist natürlich die Binnenwirkung. Schon jetzt zeigt sich, wie stilbildend die im Griechenland-Streit geübte Art des Umgangs miteinander ist.

Das führt zurück nach Ungarn, wo die Regierung in der Sache selbst bedenkenswerte Argumente vorzubringen hat. Zusammen mit mehreren Ländern der Region wehrt sich Ungarn dagegen, die europäische Flüchtlingskrise nur als eine der Mittelmeer-Region zu betrachten. Polen verweist auf den Migrationsdruck aus der Ukraine.

Nach Ungarn wiederum verlaufen zwei Migrationsrouten, sie führen vom westlichen Balkan und vom Nahen Osten und Zentralasien her. Mehr als 60 000 Reisende dieser Routen sind von ungarischen Behörden dieses Jahr bereits registriert worden. Die Menschen wollen weiter nach Deutschland und Österreich, von wo sie freilich gemäß den EU-Regeln zurück nach Ungarn geschickt werden können. Nun will es der Zufall, dass die Kapazitäten des Landes just zwei Tage vor dem EU-Gipfel erschöpft sein sollen.

Dem Klub geht der Sinn für Regeln und Solidarität verloren

Das passt, denn für die EU ist Orbán mittlerweile ohnehin ein personifiziertes Fragezeichen. Ist die EU immer noch ein Klub, in dem über alles gestritten werden kann außer über fundamentale Werte? Ist die EU immer noch eine Gemeinschaft, deren Mitglieder ihren komplizierten Interessenausgleich auf den Respekt für gemeinsam beschlossene Regeln gründen? Und ist sie sogar mehr als das: nämlich eine Union, die vom Versprechen der Solidarität lebt? Auf diese Fragen muss die EU Antworten geben, die eben nicht nur für Ungarn gelten, sondern für jeden in der Gemeinschaft.

Völlig unmöglich ist es dabei geworden, die verschiedenen Krisen noch voneinander zu trennen. Um das einmal anschaulich zu machen: Wenn Griechenland mit Russland flirtet und Sanktionen infrage stellt, muss es sich überlegen, wie das in Estland ankommt. Als Euro-Staat, der seiner Bevölkerung massive Einschnitte zugemutet hat, entscheidet Estland schließlich auch mit über die Griechenland-Hilfen.

Griechische Schuldenkrise
:Gläubiger lehnen Athens neue Reformliste ab

Von Mehrwertsteuer bis Wehr-Etat: Griechenland legt ein Angebot vor, doch die Gläubiger verlangen Strukturreformen, die ein Wirtschaftswachstum befördern könnten. Das Treffen der Euro-Finanzminister wird auf Donnerstag verschoben.

Analyse von Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Wenn Estland nun aber findet, es dürfe keine verbindlichen Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen geben, um die Mittelmeerländer Italien und Griechenland zu entlasten, so darf es nicht vergessen, dass auch diese Staaten gefragt sind, wenn es um eine einheitliche Position gegenüber der russischen Aggression geht. So banal es klingt: Nirgendwo hängt alles so sehr mit allem zusammen wie in der Europäischen Union.

Auf Dauer verträgt sich das schlecht mit Rambo-Diplomatie, die der Logik von siegen und verlieren folgt. Sehr gefährlich ist die Erosion des Vertrauens, dass sich das Geben und Nehmen in der Endrechnung für alle auszahlt. Ist dieses Vertrauen aufgebraucht, ist die EU am Ende.

© SZ vom 25.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: