Griechische Schuldenkrise:Gläubiger lehnen Athens neue Reformliste ab

-

Letzte Chance auf eine Einigung: Griechenlands Premier Tsipras wird von EU-Kommissionschef Juncker in Brüssel empfangen.

(Foto: AFP)
  • Die Kreditgeber lehnen die neuen griechischen Reformvorschläge ab.
  • Ziel ist es, eine Vereinbarung zu erreichen, wonach beide Seiten das am 30. Juni auslaufende Rettungsprogramm als erfüllt ansehen.

Analyse von Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras nutzte am Mittwoch um 11.41 Uhr den Kurznachrichtendienst Twitter, um die nächste Wende in den europäisch-griechischen Verhandlungen zur Beendigung der Schuldenkrise mitzuteilen. Die Kreditgeber lehnten die von der griechischen Regierung erst 48 Stunden zuvor neu vorgeschlagenen Maßnahmen zur Erfüllung der Ziele des laufenden Rettungsprogramms ab, schrieb Tsipras. Man wolle entweder keine Einigung - oder verfolge "bestimmte Interessen".

Dieser Einschätzung widersprachen die Kreditgeber, indem sie eine Stunde später der griechischen Delegation ihrerseits Gegenvorschläge präsentierten, mit denen das laufende Rettungsprogramm für Griechenland erfüllt werden könnte. Dies ist die Voraussetzung, um die noch verbliebenen Finanzmittel, insgesamt 19 Milliarden Euro, zur Auszahlung anweisen zu können.

Der Schlagabtausch zwischen Tsipras und den Kreditgebern war der Auftakt einer ganzen Serie von Verhandlungen, die am Mittwoch in Brüssel begonnen haben und womöglich über den am Donnerstag beginnenden zweitägigen EU-Gipfel bis in das Wochenende hinein andauern werden.

Ziel ist es, eine Vereinbarung zu erreichen, wonach beide Seiten das am 30. Juni auslaufende Rettungsprogramm als erfüllt ansehen. Diese Vereinbarung muss rechtzeitig vor Ende des Monats geschlossen werden, damit das Parlament in Athen noch darüber abstimmen und zugleich eine Übersetzung in die Arbeitssprachen der Euro-Länder erfolgen kann. In mindestens fünf Euro-Ländern, darunter Deutschland, muss das Parlament zustimmen. Das ist jedoch erst möglich, nachdem die griechische Volkskammer zugestimmt hat.

Dass die Gläubiger den "umfänglichen Vorschlag", den Tsipras am Montag den Kreditgebern übermitteln ließ, ablehnen würden, zeichnete sich schon in der Nacht zum Dienstag ab, als ein Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs ergebnislos zu Ende ging. Frankreichs Präsident François Hollande forderte anschließend Nachbesserungen. "Wir müssen strukturelle Maßnahmen beraten, die messbar sind und einen Effekt auf das Wachstum haben", sagte er. Das hieß im Umkehrschluss, dass auch die neuen Vorschläge aus Athen nicht für den dringend nötigen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen könnten.

"Für uns ist eine Lösung ohne den IWF nicht denkbar", heißt es aus Berlin

Die griechische Regierung hatte zahlreiche Maßnahmen vorgeschlagen, um Einnahmen zu erhöhen und Ausgaben zu senken. Dazu zählen überarbeitete Mehrwertsteuersätze, eine einmalige Kürzung der Militärausgaben, eine Steuer auf TV-Werbung, eine Abgabe für Mobilfunknetze, die Anhebung der Steuer auf Unternehmensgewinne von Aktiengesellschaften und GmbHs, die Erhöhung diverser Abgaben auf Renten. Strukturelle Reformen, die das unternehmerische Umfeld verbessern und damit für den wirtschaftlichen Aufschwung sorgen, der Jobs und Zuversicht zurückbringt, fehlten.

Das große Ziel aller Rettungsprogramme, dass Griechenland wieder souverän wirtschaften und aus der Überwachung der Euro-Partner entlassen werden kann, rückt nicht näher. Die Kreditgeber, insbesondere der Internationale Währungsfonds (IWF), dürfen einer Einigung nur zustimmen, wenn diese Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Und für die Bundesregierung ist klar: "Für uns ist eine Lösung ohne den IWF nicht denkbar", hieß es aus Regierungskreisen in Berlin.

Nach Ansicht von IWF-Chefin Christine Lagarde müssten sich aber auch die europäischen Gläubiger bewegen, um sicherzustellen, dass die Schuldenlast tragbar sei.

Am Mittwochmittag begrüßte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Tsipras in Brüssel. Zuvor schon hatten die Institutionen aus EU-Kommission, Weltwährungsfonds und Europäischer Zentralbank (EZB) ihre Position aufgeschrieben. Es ist eine Liste mit den sogenannten Prior Actions, also jenen Reformen, die Griechenland vorrangig umsetzen soll. Zu Juncker und Tsipras stießen am Nachmittag auch EZB-Präsident Mario Draghi, IWF-Chefin Christine Lagarde, Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und der Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, hinzu. Ihr Ziel war es, vor dem Treffen der Euro-Finanzminister am Abend den Weg für eine Abmachung zu ebnen.

Wo die Differenzen liegen

Doch daraus wurde nichts. Die Geldgeber fordern, dass Griechenland die Mehrwertsteuer für Restaurants auf 23 Prozent erhöht; Athen will aber den gleichen Steuersatz wie für Hotels: 13 Prozent. Außerdem dringen die Gläubiger darauf, das System der Frühpensionierungen sofort abzuschaffen - und nicht erst 2016, wie es der griechische Plan vorsieht.

Ferner soll Athen eine Spezialsteuer auf Unternehmensgewinne streichen, da diese aus Sicht der Institutionen wachstumsfeindlich ist: Firmen, die mehr als 500 000 Euro Gewinn im Jahr machen, sollen nach den Vorschlägen aus Athen mit zusätzlich zwölf Prozent belastet werden.

Sollen arme Rentner weiterhin 200 Euro Sozialhilfe bekommen? Athen sagt Ja

Von hoher symbolischer Bedeutung ist die Frage, ob die Sozialhilfe in Höhe von 200 Euro für Niedrigrentner weiter bezahlt wird - oder nicht. Athen würde diese am liebsten beibehalten. Die Gläubiger aber wollen die Unterstützung von 2016 an streichen; Griechenland hingegen wäre bereit, die Hilfe 2018 lediglich graduell abzubauen. Und dann gibt es noch einen Punkt, den die griechische Seite bislang nicht in ihren Berechnungen berücksichtigt hat.

Das Oberste Verwaltungsgericht Griechenlands hatte Anfang des Monats die im Jahr 2012 von der Regierung veranlasste Rentenkürzung im privaten Sektor als rechtswidrig erklärt. Damit hat das höchste griechische Gericht den hoch verschuldeten Staat zur Rücknahme der Kürzungen verpflichtet. Die Renten müssen zwar nicht rückwirkend angehoben werden. Gleichwohl wird der öffentliche Haushalt durch die Rücknahme der Kürzungen künftig um eine bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich belastet. Diese Budget-Lücke soll den Vorstellungen der Gläubiger zufolge unbedingt mit eingerechnet werden.

Am späten Nachmittag hieß es aus Athener Regierungskreisen, Tsipras habe die Vorschläge der Gläubiger abgelehnt. Er dringe auf Erleichterungen bei der Schuldenlast. Vor dem Treffen der Euro-Gruppe zeigte sich Finanzminister Wolfgang Schäuble skeptisch: "Mein Gefühl ist: Wir sind noch nicht viel weiter als am Montag." Kein Wunder, dass die Euro-Gruppe nach nicht mal einer Stunde auseinanderging. Die Beratungen der Gläubiger mit Athen dürften sich, so Vize-Kommissionschef Valdis Dombrovskis, bis tief in die Nacht hinziehen - mit dem Ziel, bis Donnerstagmorgen eine Einigung zu erreichen. Diese solle dann der Euro-Gruppe vorgelegt werden.

Zeitstrahl

Heikle Wochen in Athen

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: