Die Außenpolitik von Merkel und Westerwelle:Deutschland, das Riesenbaby der Weltpolitik

Lesezeit: 3 min

Enthalten, aber nicht neutral sein; gegen Gaddafi, aber auch gegen einen Militäreinsatz wettern: Im Libyen-Krieg wirkt Deutschland orientierungslos. Das liegt daran, dass Guido Westerwelle als Außenminister ohne Kompass segelt - und daran, dass Kanzlerin Angela Merkel ihm den Spielraum dazu lässt.

Daniel Brössler

Die Klage, das Amt des Außenministers habe stark an Bedeutung verloren, ist keine neue. Sie speist sich aus der Erkenntnis, dass der klassischen Diplomatie im Zeitalter der Globalisierung viel Konkurrenz erwachsen ist, und aus der Beobachtung, dass die großen Themen immer häufiger auf den Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs verhandelt werden.

Dank ihrer Außenpolitik steht Deutschland in Widerspruch zu seinen Verbündeten: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP). (Foto: dapd)

Als sich der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle nach dem Wahlsieg 2009 entschloss, Außenminister zu werden, ist die These zu hören gewesen, es sei gar nicht so wichtig, wer dieses Amt ausübt - kämen doch die Richtlinien von der Kanzlerin und das handwerkliche Rüstzeug von den professionellen Diplomaten im Amt. Es ist Westerwelles Verdienst, diese These eindrucksvoll widerlegt zu haben. Er hat bewiesen, was der falsche Außenminister anrichten kann.

Seit der Enthaltung bei der zweiten Libyen-Resolution stellt Deutschland die Welt vor ein Rätsel. Es wollte weder mit Nein stimmen noch mit Ja, und ist doch nicht neutral, wie die Bundesregierung ein ums andere Mal versichert. Es hält militärische Mittel für falsch, schreit aber lauter als andere, der Diktator müsse gehen. Keinesfalls sollten deutsche Soldaten "auf die schiefe Ebene" nach Libyen; nun aber rüstet sich der Bundestag zumindest theoretisch für ein Mandat zur militärischen Absicherung humanitärer Hilfe.

Für sich genommen lässt sich jede Volte begründen. Insgesamt jedoch wirkt Deutschland orientierungslos. Als es um den Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ging, warb Deutschland mit seiner Bedeutung als größtes Land der EU, mit seiner wirtschaftlichen Kraft und seinem globalen Engagement. Im Libyen-Schlamassel steht es nun da als Riesenbaby der Weltpolitik.

Offenkundig trägt Angela Merkel dafür Verantwortung. Die enorme Schwankungsbreite ihrer Politik - auch in fast jeder anderen Frage, die das Land bewegt - ließ dem Außenminister erst den Spielraum, Deutschland in Widerspruch zu seinen Verbündeten zu stellen. Die Erklärung für das deutsche Verhalten aber ist in Westerwelle selbst zu suchen.

Das gilt zunächst für seine aus der Innenpolitik hinlänglich bekannten Eigenschaften. Wie ehedem vertraut Westerwelle auf die Kraft der Stanze. Der Slogan, der Diktator müsse weg, ging Westerwelle zuletzt so einfach von den Lippen wie einst der Ruf nach einem Steuersystem, das einfacher, niedriger und gerechter sein muss. Was aus so einem Satz folgt, hat Westerwelle nicht rechtzeitig interessiert. Man dürfe nicht nur die kurzen, sondern müsse auch die langen Wellen sehen, lautet ein Satz aus Westerwelles Repertoire. Es ist einer der Sätze, die er nur sagt.

In der Libyen-Krise hat sich - mit Verlaub - offenbart, dass Westerwelle ohne Kompass segelt. Er hat aus dem Bauch, aus dem Gefühl heraus entschieden, und das keineswegs nur mit Blick auf Landtagswahlen. Es ist das Gefühl, dass Deutschland sich militärisch wieder stärker zurücknehmen sollte. Dieses Gefühl spürt die FDP schon seit längerer Zeit. Es ist aber stets kollidiert mit der Überzeugung, sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen zu können.

In diesem Spannungsfeld irrlichterten die Liberalen schon durch die Opposition. Als Israelis und Libanesen die Deutschen baten, sich an der Mittelmeer-Mission der UN gegen Waffenschmuggel zu beteiligen, war die FDP dagegen. Rational begründbar war das nicht, weshalb die FDP in der Regierung plötzlich für den Einsatz war. Westerwelles Enthaltung ist nicht zu verstehen ohne diese Vorgeschichte.

Im Falle Libyen hat der Außenminister argumentiert, man müsse doch aus Fehlern lernen. Man wüsste gern, was das bedeutet. War es falsch, in den neunziger Jahren auf dem Balkan einzugreifen, oder nach dem Terrorangriff des 11.September 2001 die Taliban in Afghanistan zu bekämpfen? Westerwelle sagt es nicht. Er belässt es bei Andeutungen, die offen lassen, ob er die deutsche Außenpolitik der vergangenen 20 Jahre über den Haufen werfen will. Was von der Bundesregierung seit der deutschen Enthaltung zu hören ist, beseitigt nicht die Angst vor einem Sonderweg. Es verstärkt nur den Eindruck, dass sie nicht weiß, wohin der Weg führt.

Die Welt befindet sich an einem Wendepunkt. Sie sucht nach Grenzen für das Gebot der Nichteinmischung, sie lotet Mittel aus gegen das faktische Recht der Diktatoren zum Massenmord. Die Vereinten Nationen wollen sich bekennen zur Verantwortung, Wehrlose zu schützen. Die Libyen-Resolution des Sicherheitsrates ist in diesem Geist verfasst, weshalb sich Deutschland eben nicht nur seinen Bündnispartnern, sondern einer Fortentwicklung des Völkerrechts verweigert hat. Die Bundesregierung aber weicht dieser grundsätzlichen Debatte aus, sie taktiert und laviert.

Übrig bleibt der Eindruck, dass Deutschland ein bisschen bündnistreu sein will, aber auch ein wenig eigensinnig. Dass es Freiheit predigen möchte, aber nicht so gern dafür bezahlen will. Dass es gerne sehr mächtig und einflussreich sein will in der Welt und dann keine Ahnung hat, wohin mit dem Einfluss und all der Macht. Die deutsche Außenpolitik ist ein großes Fragezeichen. Deshalb hat Guido Westerwelle nur noch zwei Möglichkeiten:Entweder er sucht endlich Antworten oder einen Nachfolger.

© SZ vom 12.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: