Bundeswehr in Afghanistan:Hybris und Halbwahrheiten

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Berlin verstärkt sein Afghanistan-Engagement und wirbt mit vagen Abzugsterminen um Vertrauen. Doch diese Politik steckt voller Widersprüche.

Nico Fried

In der Nacht zum 4. September 2009 bombardierten amerikanische Flugzeuge auf deutschen Befehl eine Menschenmenge und zwei Tanklastwagen in Afghanistan. Am Abend des 6. September, es war Wahlkampf in Deutschland, regte Kanzlerin Angela Merkel eine neue Afghanistan-Konferenz an. Jetzt hat die Bundesregierung ein Konzept vorgeschlagen, mit dem sie Ende der Woche in London vorstellig wird.

Berlin will mehr deutsche Soldaten nach Afghanistan senden, um dort afghanische Sicherheitskräfte zu trainieren. (Foto: Archiv-Foto: ddp)

Die verheerende Wirkung des Bombardements in Kundus hat offensichtlich den Druck auf die deutsche Politik erhöht - in jeder Hinsicht.

Guido Westerwelle spricht nun von Strategiewechsel, Neuanfang, Wendepunkt. Nimmt man den Außenminister beim Wort, dann stellt er im Umkehrschluss der Vorgängerregierung für ihre Afghanistan-Politik ein desaströses Zeugnis aus.

Es gibt kein Halten mehr

Richtig daran ist, dass die Kanzlerin die Herausforderung Afghanistan in ihrer ersten Legislaturperiode nur zögerlich angenommen hat. Zum Symbol dafür wurde ihr Verteidigungsminister Franz Josef Jung, den sie trotz erkennbarer Überforderung volle vier Jahre lang im Amt behielt.

Nun plötzlich gibt es kein Halten mehr: Merkel und gleich vier Minister präsentierten am Dienstag die neuen Pläne. Es gibt mehr Geld, mehr Soldaten, mehr Ausbilder, mehr Aufbau. Die Bundesregierung setzt sich im Norden Afghanistans Ziele, die sie in manchen Regionen zu Hause kaum schafft, wie zum Beispiel eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent.

Und natürlich stellt sie den Abzug der Bundeswehr in Aussicht. Es gehört zu den Wiedersprüchen der deutschen Afghanistan-Debatte, dass das Gerede über ein Ende des Einsatzes umso konkreter wurde, je mehr sich die Situation verschlechterte. In Wahrheit barmt die Regierung mit dieser Konzession an die skeptische Bevölkerung nur um einen letzten Vertrauensvorschuss.

Deutschland entscheidet nicht über das Schicksal Afghanistans

Dabei steckt im Spiel mit eventuellen Abzugsterminen auch die Hybris des neuen Konzeptes. Der deutsche Beitrag ist schon aus Respekt vor denen, die ihn in Afghanistan erbringen, nicht gering zu schätzen. Aber das Schicksal Afghanistans wird sich nicht an 500 Soldaten, 200 Millionen Euro Entwicklungshilfe und 70 Polizeiausbildern entscheiden.

Diese neuen Zusagen sind nicht zuletzt das gesichtswahrende Ergebnis des Ringens zwischen den beteiligten Ministerien. Ein paar Truppen wegen Guttenberg, aber nicht zu viele wegen Westerwelle.

Die Zukunft Afghanistans entscheidet sich durch das Vorgehen der USA, durch 30.000 zusätzliche Soldaten und durch finanzielle Hilfen, die alle Gelder aus Europa zusammengenommen noch übersteigen. Zu den Merkwürdigkeiten in Deutschland gehört, dass Regierung und Opposition das massiv verstärkte Engagement von US-Präsident Obama mit Distanz betrachten, sich aber sein Ziel eines baldigen Abzugs ruckzuck zu eigen gemacht haben. An den Halbwahrheiten, dem wohl größten Defizit deutscher Afghanistan-Politik der vergangenen Jahre, hat sich offenbar nichts geändert.

© SZ vom 27.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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