Fast zehn Jahre nach den Terroranschlägen in New York und dem Einmarsch der USA in Afghanistan fragt sich die internationale Gemeinschaft noch immer, wie es am Hindukusch weiter gehen soll. Die Geschichte in Bildern. Als die Vereinigten Staaten am 7. Oktober 2001 in Afghanistan einmarschieren, um das dort herrschende Taliban-Regime zu stürzen, ahnt kaum einer, dass dieser Einsatz zehn Jahre später noch immer nicht beendet sein würde - in einem Land, das seit Jahrzehnten mit Krieg und Armut leben muss.
Die Afghanen sind stolz auf ihre Geschichte und pflegen gerne den Mythos, dass es noch keinem ausländischen Besatzer gelungen sei, Afghanistan dauerhaft zu erobern: Dschingis Khan musste im 14. Jahrhundert mit seinen Mongolenreitern wieder abziehen, im 19. Jahrhundert erlitten die Briten beim Versuch, Afghanistan zu kolonialisieren, eine herbe Niederlage. 1919 konstituiert sich Afghanistan als unabhängiger Staat, 1931 gibt es sich eine Verfassung als konstitutionelle Monarchie. Zahir Shah (Bild) wird 1933 König. Sein Reich ... König Zahir Shah 1963; Foto: AP
... ist nicht der rückständige Staat, für den es heute viele halten. Berücksichtigt man Zeit, Umstände und regionale Traditionen ist es sogar ein richtig modernes Land: Einen Schleierzwang für Frauen gibt es nicht, Frauen dürfen arbeiten, studieren und lehren, ab 1964 haben sie auch das Wahlrecht. Afghanistan hat einige friedliche Jahrzehnte - bis sich 1973 Mohammed Daud Khan (links) mit Hilfe des Militärs an die Macht putscht. Afghanistan wird Republik und die Regierung wechselt häufig und blutig, auch weil im Kalten Krieg sowohl die USA als auch die UdSSR Einfluss nehmen. So wird Daud 1978 erschossen und von Nur Mohammed Taraki (nicht im Bild) ersetzt. Nach Tarakis Sturz und Ermordung ergreift Hafizullah Amin (Mitte) die Macht, wenige Monate später ereilt ihn jedoch dasselbe Schicksal und Babrak Karmal (rechts) wird mit Billigung der Sowjetunion neuer Staatschef. Nach dieser Folge von Putschen ... Fotos: AP
... will Moskau wieder Ruhe in das Nachbarland bringen. Doch die kommunistische Regierung in Kabul hat mit massiver Gegenwehr der von den USA und Saudi-Arabien unterstützten afghanischen Widerstandskämpfer, den Mudschaheddin, zu kämpfen. Deswegen rollen am 27. Dezember 1979 sowjetische Panzer nach Afghanistan. Der Einmarsch ... Sowjetische Panzer rollen durch Kabul; Foto: AP
... löst internationalen Protest aus. Er ist der Grund dafür, dass 1980 mehr als 60 westliche Länder die Olympischen Spiele in Moskau boykottieren. Zwischen Ost und West herrscht Kalter Krieg. In Afghanistan hingegen wird gekämpft. Eigentlich ist es ein David-gegen-Goliath-Krieg, die hochgerüstete sowjetische Armee gegen die Barfuß-Kämpfer des Hindukuschs. Doch ... Einzug der afghanischen Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Moskau; Foto: dpa
... die Mudschaheddin beweisen, welch hohen Preis die Großen bezahlen müssen, wenn Kleine zu allem bereit sind. Außerdem profitieren sie von der Unterstützung des Westens, der die Sowjetunion schwächen will. So gelingt es den Russen trotz einer Million getöteter Afghanen in zehn Jahren nicht, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Februar 1989 zieht die Rote Armee gedemütigt ab. Afghanistans Mythos, unbesiegbar zu sein, hat ein weiteres Kapitel, doch das Land ... Sowjetische Soldaten in den achtziger Jahren in Afghanistan; Foto: AP
... hat unter den zehn Jahren Krieg schwer gelitten. Sechs Millionen Afghanen sind auf der Flucht. Der seit 1986 regierende Staatschef Mohammed Nadschibullah (im Bild) versucht erfolglos, das Land zu konsolidieren. Doch die Kriegsfürsten, die die Sowjets erfolreich vertrieben haben, bekämpfen sich nun gegenseitig. In Afghanistan herrscht ein brutaler Bürgerkrieg, ... Foto: AP
... bis 1994 eine bisher unbekannte Gruppe als Kriegspartei auftritt: Die Taliban - zu Deutsch: (Koran-) Schüler. Die selbsternannten "Gotteskrieger" und Schüler wahabitischer Koranschulen erobern Kandahar im Südosten Afghanistans und erweitern ihren Einfluss schnell im ganzen Land. 1996 erobern sie Kabul, foltern und erhängen Nadschibullah. Afghanistan machen die Taliban zum Islamischen Emirat. Foto: AP
Bei der Bevölkerung kommt das rigide Regime der Taliban zunächst gar nicht so schlecht an. Wenigstens ist Schluss mit ständigen Putschen und der Unsicherheit des Bürgerkriegs - doch die Ruhe wird bald zur Friedhofsruhe. Denn die Taliban errichten mit brutaler Gewalt einen rigiden Gottesstaat, dessen Regeln den überwiegend gemäßigten Muslimen in Afghanistan fremd sind. Frauen sind nun in der Öffentlichkeit verpflichtet, die Burka tragen, ihnen wird verboten, Berufe auszuüben oder Schulen zu besuchen. Universitäten werden geschlossen, Musik und öffentliche Sportveranstaltungen sind verboten und ... Foto: AP
... nicht einmal vor unersetzlichen Kulturgütern machen die Taliban Halt. Im März 2001 sprengen sie die weltgrößten Buddhastatuen, die Buddhas von Bamiyan. Die Welt schaut fassungslos auf den islamistischen Staat am Hindukusch. Links eine der Statuen von Bamiyan vor, rechts ein Bild nach der Sprengung; Foto: Reuters
Vermutlich hätte die Welt das Taliban-Regime schnell wieder vergessen, wäre nicht dieser Mann jahrelang Gast des Taliban-Regimes gewesen. Osama bin Laden, Anführer der internationalen Terror-Gruppe al-Qaida nutzt die unwirtlichen Höhlen und Wälder von Tora Bora als Unterschlupf. Von dort aus soll er internationale Terroranschläge in aller Welt in Auftrag gegeben haben, so auch ... Foto: AP
... die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001. Als Konsequenz daraus verlangen die USA von den Taliban die bedingungslose Auslieferung der Al-Qaida-Führung mit Osama bin Laden an der Spitze und die Schließung aller terroristischen Lager in Afghanistan. Foto: AP
Die Taliban tun es nicht und so beginnen die USA am 7. Oktober 2001 einen Luftkrieg gegen Afghanistan. Besonders die Bergregion Tora Bora bekommt die Bomben ab - doch Osama bin Laden und seine Mitstreiter hatten ihre Schlupflöcher wohl längst verlassen. Unter dem Bombardement der Amerikaner leidet vor allem die Zivilbevölkerung. Foto: dpa
Dennoch: Militärisch darf der Krieg zunächst als erfolgreich gelten. Nur einen Monat nach Beginn des Krieges marschiert die Nordallianz in Kabul ein. Die Nordallianz ist ein militärisches Zweckbündnis verschiedener Warlords, das sich 1996 gegen die Taliban gegründet hat. Die Islamisten ziehen aus den meisten afghanischen Städten ab. Wie es nun mit Afghanistan weitergehen soll, ... Foto: dpa
... besprechen die maßgeblichen Gruppierungen Afghanistans im November 2001 unter Führung der Vereinten Nationen auf dem Petersberg bei Bonn. Sie finden Regelungen für eine Übergangsverwaltung, bitten die UN um die Entsendung von Truppen und einigen sich auf einen Interimspräsidenten: Foto: AP
Der Paschtune Hamid Karsai wird von der Petersberg-Versammlung zum Präsidenten bestimmt. Karsai, geboren in Afghanistan, hat in Indien studiert und in den USA gearbeitet - als gutbezahlter Berater des amerikanischen Energiekonzerns Unocal. Nicht nur deshalb hat er Mühe, von seinen Landsleuten anerkannt zu werden. Foto: dpa
Kurz nach seiner Ernennung empfängt Karsai in Kabul einen symbolisch wichtigen Gast: Der gestürzte König Zahir Shah kehrt aus dem Exil in Rom nach Afghanistan zurück, wo er bis zu seinem Tod am 23. Juli 2007 lebt. Nicht nur symbolisch ... Foto: Reuters
... ist die Einberufung der Loja Dschirga, der Großen Ratsversammlung. Zur Überraschung vieler Beobachter schaffen es die 450 Mitglieder aus allen relevanten Volksgruppen und Clans, sich auf eine Regierung und auf eine neue Verfassung zu einigen. Hamid Karsai findet die Zustimmung der Versammlung und bleibt im Amt. Bei den ersten freien Wahlen 2004 bekommt er auch die überwältigende Zustimmung der Bevölkerung. Es sieht gut aus für Afghanistan, ... Foto: dpa
... doch die internationalen Truppen sind weiterhin im Land. Die afghanische Regierung tut sich schwer, sich außerhalb der Hauptstadt Kabul durchzusetzen, so dass dort wieder Warlords und Taliban um die Macht konkurrieren. Der zivile Wiederaufbau des Landes verläuft nur schleppend, obwohl Hilfsgelder zahlreich fließen. Foto: AP
Das Hauptproblem Afghanistans: Seit dem Einmarsch der Sowjetunion 1979, also seit über 30 Jahren, herrscht im Land Krieg. Mindestens zwei Generationen kennen nichts anderes und sind vom Krieg schwer gezeichnet - vor allem psychisch, aber auch körperlich. Hunderttausende Afghanen sind verkrüppelt, weil sie auf eine Mine getreten oder eine angefasst haben. Vor allem Kinder trifft es, weil kleine, sogenannte Schmetterlingsminen aussehen wie Spielzeug. Jeden Tag fallen erneut weitere Menschen den Minen zum Opfer, weil ihre Räumung extrem langsam vorangeht. Foto: AP
Ein weiteres Problem Afghanistans ist der Opiumanbau. Unter den Taliban war er komplett verboten, doch nun produziert das Land am Hindukusch nach UN-Angaben mehr als 90 Prozent der weltweiten Opiumernte. Den Bauern in den afghanischen Feldern bleibt meist keine andere Möglichkeit: Getreide, Obst oder ähnliches wächst schlecht, ist wegen der vielen Entwicklungshilfe kaum zu verkaufen, und selbst wenn, erzielt es wesentlich geringere Gewinne. Sie verdienen jedoch noch relativ wenig an dem Drogenrohstoff - vor allem füllt das Opium die Taschen von Warlords, Taliban und Terroristen. Foto: Reuters
Um das Land wiederaufzubauen, sind gebildete und fähige Leute nötig. Doch Afghanistan leidet wegen des jahrzehntelangen Krieges auch unter einem extremen Exodus: Mehrere Millionen Afghanen sind aus ihrem Land geflohen und erst langsam wieder zurückgekehrt. Afghanistan braucht sie - und es braucht neue Generationen, die etwas anderes erfahren als den Krieg. Experten raten daher: Schulen statt Bomben. Angela Merkel beim Besuch einer afghanischen Mädchenschule; Foto: Reuters
Bei der Präsidentschaftwahl im August 2009 gehen trotz der Drohungen der Taliban zwischen 40 und 50 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. Amtsinhaber Karsai wird zum Sieger der Wahl ausgerufen. Doch später häufen sich die Vorwürfe, bei der Wahl habe es massive Fälschungen und Betrug gegeben. Karsai lenkt ein und ordnet eine Stichwahl an - als sich Konkurrent Abdullah Abdullah aber zurückzieht, erklärt er sich erneut zum Sieger. Das Vertrauen der Afghanen wie der internationalen Gemeinschaft in seine Regierung ist jedoch beschädigt. Foto: AP
Für die ausländischen Truppen geht es neben dem zivilen Aufbau wieder mehr um die Frage der militärischen Sicherheit in der Region. Am meisten beunruhigt das Wiedererstarken der Taliban, die wieder die Kontrolle über einige Regionen Afghanistans an sich gerissen haben. Kämpfer an der afghanisch-pakistanischen Grenze; Foto: AFP
Im Juli 2010 von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Geheimdokumente zeichnen ein noch dramatischeres Bild vom Krieg in Afghanistan als bis dahin bekannt war. Die internationalen Soldaten haben kaum Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung - und auch die Bürger ihrer eigenen Länder werden ungeduldiger. Kaum einer versteht mehr den Einsatz am Hindukusch, der nun ins zehnte Jahr geht. Die Leidtragenden der weltweiten Ratlosigkeit sind die Afghanen - sie haben seit mehr als drei Jahrzehnten keinen echten Frieden erlebt.
Besonders prekär sind die Lebensumstände der Frauen. Vor allem in Gebieten, in den die radikal-islamischen Taliban wieder an Einfluss gewinnen, sind sie so gut wie rechtlos. Auf drastische Weise hat dies das amerikanische Magazin Time im Sommer 2010 illustriert. Bibi Aisha, der Frau auf dem Titelfoto, wurden von ihrem Ehemann Nase und Ohren abgeschnitten. Dazu hat ihn ein Talibangericht berechtigt. "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen" titelt das Magazin - obwohl die Frau verstümmelt wurde, während die Amerikaner im Land waren.
Trotzdem, der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan ist beschlossene Sache. Bis September 2012 will US-Präsident Obama ein Drittel der 100.000 US-amerikanischen Soldaten zurückholen. Die internationale Schutztruppe Isaf gibt bereits die ersten Städte und Distrikte in die Sicherheitsverantwortung afghanischer Behörden zurück. Spätestens Ende 2014 sollen die einheimischen Sicherheitskräften die Verantwortung komplett übernehmen. Im Juli gab der Kommandant der Afghanistan-Schutztruppe, General David Petraeus (r.), seinen Posten an General John R. Allen ab.
Seitdem eine US-amerikanische Eliteeinheit den Terrorchef Osama bin Laden im Mai 2011 in Pakistan aufgespürt und getötet hat, verübt al-Qaida wieder vermehrt Anschläge, vor allem in Afghanistan.
Ein Terrorkommando greift etwa das Luxushotel "Intercontinental" in Kabul an, in dem eine Sicherheitskonferenz stattfinden sollte. Auch Ahmad Wali Karsai, der Halbbruder des afghanischen Präsidenten, fällt im Juli 2011 einem Anschlag zum Opfer: Er wird von einem langjährigen Leibwächter erschossen. Das sei einer ihrer "größten Erfolge" gewesen, brüsten sich die Taliban später. Auch auf einer Trauerfeier für den Verstorbenen wird ein Selbstmordanschlag verübt, drei Menschen sterben. Auch nach über 30 Jahren Krieg hat Afghanistan seinen Frieden nicht gefunden.