Beteiligung an der Europawahl:Demokratischer Wind weht durch Europa

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Passanten gehen in Brüssel an einem Werbeplakat für die Europawahl vorbei. An diesem Sonntag wählen die meisten EU-Länder, auch die Deutschen stimmen über ihre Abgeordneten ab. (Foto: dpa)

Was bringt die Europawahl? Die Bürger könnten vorentscheiden, wer Kommissionspräsident wird - und das Europaparlament insgesamt stärken. Es ist jedoch auch ein ganz anderes Ergebnis möglich.

Von Stefan Ulrich

Europawahlen hatten bislang den Hautgout, Urnengänge zweiter Klasse zu sein. Das soll diesmal anders werden, jedenfalls wenn es nach den Europapolitikern geht. Sie werben, es lohne sich wirklich, zur Wahl zu gehen. Die Gründe: Der Vertrag von Lissabon hat die Macht des Europaparlaments gestärkt. Die großen Parteienfamilien - Konservative, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne oder Linke - gehen EU-weit mit gemeinsamen Spitzenkandidaten in die Abstimmung. Zwar wird der Sieger, aller Voraussicht nach der Christdemokrat Jean-Claude Juncker oder der Sozialdemokrat Martin Schulz, nicht automatisch neuer Kommissionspräsident. Er hat aber gute Aussichten auf das Brüssler Spitzenamt. Ein Hauch von parlamentarischer Demokratie weht also durch Europa. Die Bürger haben es in der Hand, durch eine gute Wahlbeteiligung daraus einen starken Wind zu machen.

Die Wahl kann also eine Vorentscheidung über den Kommissionspräsidenten bringen und das Europaparlament insgesamt stärken. Bei einem klaren Ergebnis, sei es für Juncker, sei es für Schulz, dürfte es für die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder sehr schwer werden, dem Parlament einen anderen Kandidaten für das Amt des Kommissionschefs vorzusetzen. Setzt sich das Parlament bei dieser fundamentalen Personalentscheidung durch, hätte das auch Auswirkungen für künftige Wahlen. Europa würde endlich das, was man in Sonntagsreden gern fordert: demokratischer.

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Ein Bündel nationaler Testwahlen

Die Bürger können auch ein ganz anderes Ergebnis herbeiführen. Sackt die Wahlbeteiligung weiter ab und triumphieren zugleich populistische, europafeindliche Parteien, so geht nicht nur das Parlament, sondern auch die gesamte EU geschwächt aus der Wahl hervor. Auch moderate, bisher europafreundliche Parteien könnten sich dann von der EU entfernen, wie es schon jetzt in manchen Staaten zu beobachten ist. Wobei gewiss nicht jeder EU-Skeptiker gleich ein Europafeind ist. Etliche werben darum, die EU zu reformieren. Der Wähler hat reiche Auswahl.

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Doch es geht nicht nur um ein Ja und Nein zu Europa und zu Juncker oder Schulz. Die Zusammensetzung des neuen Europaparlaments entscheidet auch darüber, wie es künftig in Fragen der Bankenkontrolle, des Datenschutzes, eines Freihandelsabkommens mit den USA oder des Umgangs mit Flüchtlingen verfährt. Die Parteienfamilien haben im Wahlkampf ihre Programme vorgestellt, die jeder Bürger im Internet nachlesen kann. Die Spitzenkandidaten haben in Elefantenrunden, die überall im Fernsehen ausgestrahlt wurden, darüber debattiert und manchmal auch gestritten. Der Wahlausgang ist für die Sachpolitik keineswegs egal. Er wirkt sich auf das Leben aller Europäer aus.

Natürlich bleibt die Europawahl daneben das, was sie bislang vor allem war: ein Bündel nationaler Testwahlen, das viele Wähler nutzen, es ihrer Regierung heimzuzahlen. Dies dürfte der französische Präsident François Hollande erleben. Seinen Sozialisten droht ein Wahldebakel und damit eine weitere Destabilisierung. Auch der konservative britische Premier David Cameron blickt dem Ergebnis sorgenvoll entgegen. Ein weiterer Aufstieg der europafeindlichen Ukip könnte das Parteiengefüge Großbritanniens zerzausen und das Land weiter weg von der EU treiben.

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In Italien hofft dagegen der neue, sozialdemokratische Premier Matteo Renzi, von den Wählern einen Schub für seine Reformen zu bekommen. In Griechenland könnte die Europawahl die Regierungskoalition aus Konservativen und Sozialisten zum Einsturz bringen. Dies würde den Sanierungskurs infrage stellen. In Deutschland wird das Kräfteverhältnis in der großen Koalition austariert. Die Wähler beeinflussen indirekt, ob CDU/CSU oder SPD den nächsten Kommissar nach Brüssel schicken.

Diese Wahl ist also in vielerlei Hinsicht spannend. Der Grünen-Parteivorsitzende Cem Özdemir meint sogar, die Europawahl sei inzwischen mindestens so wichtig wie die Bundestagswahl. Das mag noch nicht ganz richtig sein - aber es ist auch nicht mehr ganz falsch.

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© SZ vom 24.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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