Parteien:Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Penzberg wird SPD-Ortschef

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Verbunden mit Penzberg und seiner Geschichte: Bayram Yerli, Vorsitzender der Islamischen Gemeinde, Betriebsrat und seit 30 Jahren in der Gewerkschaft IG Metall, ist der neue SPD-Ortschef in Penzberg. (Foto: Manfred Neubauer)

Bayram Yerli kam als Kind mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland. Der 46-Jährige will der Gesellschaft etwas zurückgeben.

Von Klaus Schieder, Penzberg

Das türkische Wort "yerli" heißt so viel wie "Einheimischer" oder auch "alteingesessen". Insofern hat Bayram Yerli einen Nachnamen, der für ihn passt: In Penzberg ist der 46-Jährige so heimisch, dass er jetzt zum neuen Vorsitzenden des SPD-Ortsvereins gewählt wurde. 26 Mal Ja, einmal Nein, eine Enthaltung - das Votum in der Mitgliederversammlung fiel überzeugend aus. Diese Klarheit, betont Yerli, "hat mich sehr gefreut". Schließlich ist es noch immer die große Ausnahme, dass jemand aus einer Migrantenfamilie in der Kommunalpolitik eine solche Führungsaufgabe übernehmen kann.

CSU, SPD, Grüne, Freie Wähler oder sonstige Gruppierungen werden im Oberland von bajuwarischen Yerlis geführt, allenfalls mischt sich mal einer darunter, der jenseits des Weißwurstäquators geboren wurde. Aber ein Zuwanderer aus der Türkei, der noch dazu Moslem und Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Penzberg ist? Vorbehalte hat Yerli nach eigenem Bekunden nicht zu spüren bekommen. Er sei ja schon lange in Penzberg, erklärt er. "Man kennt mich, weiß um meine Einstellung, weiß, wie ich denke - das sind entscheidende Kriterien, dass es gehen kann." Vor der Wahl zum Ortsvorsitzenden hatte er unter anderem den Stammtisch der SPD-Senioren besucht. Auch von den betagten Genossen bekam er Aufmunterndes zu hören. "Sie waren sehr aufgeschlossen", sagt Yerli. Das habe ihn zur Kandidatur nochmals ermuntert.

Penzberg hat auch eine andere Geschichte als die urbayerischen Dörfer ringsum. In die Bergarbeiterstadt kamen früh Zuwanderer aus Italien, Polen, der Türkei, um in den Minen zu arbeiten. Zusammen mit ihren deutschen Kollegen entwickelten sie eine Arbeitersolidarität. "Das ist eine andere Zusammensetzung, eine andere Tradition", sagt Yerli. Die erste Generation der sogenannten Gastarbeiter fühlte sich hierzulande dennoch nie daheim, sie kam wegen der Arbeit, konnte später aber nicht wie geplant in die Heimat zurückkehren. Die zweite und dritte Generation sieht Yerli als Wanderer zwischen zwei Welten: "Sie wissen nicht so recht, wo sie hingehören."

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Für ihn, der mit seinen Eltern als Achtjähriger Deutschland kam, ist das keine Frage. "Ich finde, wir sind schon Bleibende." Viele Jugendliche mit türkischen Wurzeln - das zeigen Umfragen - fühlen sich von der deutschen Gesellschaft jedoch kaum angenommen und zweifeln deshalb an ihrer Integration, manche wenden sich innerlich ab. Wenn sie argumentierten, sie würden ohnehin nicht gemocht, dann sei dies zu einfach, meint Yerli. "Ich glaube, dass sie sich zu sehr in die Opferrolle begeben." Man könne sich ja durchaus einbringen, bei der Feuerwehr, dem Roten Kreuz, der Wasserwacht, in einem Verein. Die Migrantengeschichte spiele dort keine Rolle.

Seine Wahl zum SPD-Ortsvorsitzenden hat unter Penzberger Jugendlichen, die aus Zuwandererfamilien kommen, offenbar einen Aha-Effekt bewirkt. Viele von ihnen hätten ihn danach angesprochen und ihm gratuliert, erzählt Yerli. "Sie waren sehr angetan, dass jemand wie ich das erreichen kann." Denn in ihrer Vorstellungswelt sei ein solcher Erfolg so gut wie ausgeschlossen. "Viele haben auch gesagt, dass sie sich nun einbringen wollen, und ich hoffe, dass das dann auch so ist." Viel hänge eben davon ab, ob sich diese jungen Leute zugehörig fühlten. Und noch ein Aspekt ist Yerli wichtig: "Man hat ja sehr viel von der Gesellschaft bekommen, es ist also gut, wenn man auch etwas zurückgibt."

In die Kommunalpolitik kam der 46-Jährige über die Gewerkschaft IG Metall, der er seit seiner Schlosserlehre vor 30 Jahren angehört. Mittlerweile gehört er zum Ortsvorstand der IG Metall Weilheim, außerdem ist er Betriebsrat in der Firma Hörmann Automotive Penzberg (HAP). Der Weg zur SPD war für Yerli mithin nicht weit, der er allerdings erst vor den Kommunalwahlen 2014 beitrat. Er wollte für den Stadtrat kandidieren, was nicht klappte, weil er die deutsche Staatsbürgerschaft nicht mehr rechtzeitig bekam. 2015 wurde er stellvertretender SPD-Ortsvorsitzender, nun nimmt er den Posten von Martin Kleinen ein, der aus beruflichen Gründen zurücktrat. Bei den Kommunalwahlen 2020 will Yerli wieder für den Stadtrat kandidieren. Vielleicht gar als Bürgermeister? "Das ist nichts, woran ich denke."

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Sein Programm für Penzberg umfasst vor allem die Wohnungspolitik. Auch in der ehemaligen Bergarbeiterstadt, die lange Zeit vergleichsweise günstig war, ziehen Mieten und Grundstückspreise sprunghaft an. "Wir müssen mehr im sozialen Wohnungsbau machen", findet Yerli. Gerade für Menschen mit geringem Einkommen seien die Preise unerschwinglich. Wie seine Vorschläge aussehen, mag er so kurz nach seiner Wahl nicht preisgeben. Er sei derzeit noch "am Nachdenken", sagt er.

Am Herzen liegen ihm außerdem die Integration der Flüchtlinge, mehr Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche und nicht zuletzt eine gute Pflege für Senioren. "Wir dürfen nie vergessen, dass sie den Grundstein für unseren Wohlstand gelegt haben", sagt Yerli. Deshalb müssten Pflegekräfte anständig bezahlt werden: "Die Engagierten, die das trotz wenig Geld machen, dürfen nicht ausgebeutet werden." Im bundesweiten Wahlkampf unterstützt der 46-Jährige "den Anstoß für soziale Gerechtigkeit" von Kanzlerkandidat Martin Schulz. Da vertritt er typische SPD-Positionen. Der Mindestlohn? Reiche noch nicht, "jeder muss für seine Arbeit so viel kriegen, dass er in Würde leben kann". Rente mit 67? Jemand, der körperlich hart arbeiten müsse, erreiche diese Grenze nicht - "das ist eine faktische Rentenkürzung".

Betriebsrat, Vorsitzender der Islamischen Gemeinde, nun auch Chef der SPD Penzberg mit ihren 130 Mitgliedern. Ob ihm das nicht zu viel wird? "Es ist schon viel Arbeit", sagt Yerli. Aber die Sozialdemokraten hätten "einen guten Vorstand" beisammen, der die Pflichten aufteile. Dennoch dürfte der 46-Jährige so eingespannt sein, dass sein Vorname noch weniger zu ihm passt als bisher. "Bayram" ist das türkische Wort für "Feiertag".

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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