München:Als Ingenieure das Isartor abbauen wollten

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Heute fahren U- und S-Bahn, früher gab es noch die "V-Bahn", eben die Verbindungsbahn zwischen Pasing und Ostbahnhof. (Foto: SZ Photo)
  • Von 1966 bis 1972 wird in München die erste Stammstrecke gebaut. Kernelement des Netzes soll der Abschnitt von Pasing zum Ostbahnhof sein.
  • Die sogenannte "V-Bahn" (Verbindungsbahn) soll den Nahverkehr entlasten: In den 1960er Jahren pendeln immer mehr Menschen in die Stadt. Die Vorortbahnen sind veraltet.
  • Über Jahre hinweg prägen offene Baugruben die Innenstadt. Unter der Isar und unter historischen Bauten ist das Vorgehen besonders knifflig.

Von Marco Völklein, München

Riesige Baulücken am Stachus und in der Arnulfstraße, im Karree zwischen Thierschstraße, Zweibrückenstraße, Ländstraße und Isar müssen sogar einige Häuser weichen, um den Tunnel graben zu können. Als am 15. Juni 1966 die Bundesbahn mit dem Bau der S-Bahn-Stammstrecke zwischen Pasing und Ostbahnhof beginnt, wird die Innenstadt zu einer riesigen Baustelle. In der Isar versenken Bautrupps tonnenschwere Stahlbetonplatten, um den Druck auf das Erdreich zu erhöhen - damit nichts schiefgeht, wenn sich später die Tunnelbohrer durch den Boden frisst.

Erste Ideen für ein S-Bahn-Netz in München hatte es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben - auch den Plan, den Haupt- mit dem Ostbahnhof abseits des Bahn-Südrings zu verbinden. Doch erst in den Fünfzigerjahren greifen Planer die Idee wieder auf. Grund sind die immensen Verkehrsprobleme. Zuzügler strömen in die Region, die Pendlerschar wächst. Busse und Trambahnen sind überfüllt, ebenso die (ohnehin veralteten) Vorortbahnen der Bundesbahn. Auch auf den Straßen geht nichts mehr wegen der zunehmenden Motorisierung und weil das schlechte Nahverkehrsangebot die Leute mehr oder weniger ins Auto treibt. Spätestens in den Sechzigerjahren erkennen die Stadträte unter dem jungen SPD-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel: So geht's nicht weiter.

Vorbilder sind schnell gefunden: Berlin hat seit Jahrzehnten eine S-Bahn, ebenso Hamburg. Auch in München denken die Planer daran, die Vorortbahnen durch das Zentrum zu führen und sie mit einem neuen, städtischen U-Bahn-Netz zu verknüpfen. Kernelement dieses Netzes soll die Strecke von Pasing zum Ostbahnhof sein - die V-Bahn, die "Verbindungsbahn".

Doch über die gibt es Streit zwischen allen Beteiligten - es geht um die Finanzierung, um die Planungshoheit. Schließlich erhebt auch die Stadt jahrelang Anspruch auf die "klassische Trasse", also die West-Ost-Verbindung über den Marienplatz, die seit Jahrzehnten von der Trambahn befahren wird. Lange plant die Stadt dort eine "Unterpflaster-Straßenbahn". Erst als sich U-Bahn-Fan Vogel durchsetzt, ist der Weg frei für die V-Bahn-Pläne der Bahn.

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Am 15. Juni 1966 schließlich wird gefeiert - und zwar der "erste Rammstoß" an der Straßenecke Arnulf- und Seidlstraße. Der Bundesverkehrsminister ist da, der Ministerpräsident ebenso, dazu der Chef der Bundesbahn. Ein Arbeiter versenkt den ersten Bohrpfahl im Boden, es gibt Reden, Blumen, Fotos. Am Tag darauf allerdings kritisiert die Abendzeitung, das ganze Brimborium sei ein rechter "Frühstart" gewesen. Tatsächlich hatten die Arbeiter nur damit begonnen, einen alten Posttunnel zu verlegen, der der S-Bahn-Röhre im Wege war. Die Bauarbeiten am eigentlichen Stammstreckentunnel beginnen erst später.

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Dann aber geht es Schlag auf Schlag. Wegen der geringen Tieflage des Tunnels müssen viele Abschnitte in offener Bauweise gegraben werden. Große Baugruben prägen über Jahre das Bild in der Innenstadt. Als besonders knifflig stellen sich die Tunnelbauten am Karlstor, unter dem Alten Rathaus sowie am Isartor dar. Alle drei Bauwerke müssen mit aufwendigen Konstruktionen gestützt werden. Das Isartor, so ist einem Zeitungsbericht vom Dezember 1966 zu entnehmen, hätten die Bahn-Ingenieure sogar am liebsten "Stein um Stein" abgetragen.

Im Flussbett der Isar müssen die Stahlbetonplatten eingesetzt werden, denn anders als in den Straßen der Innenstadt entschieden sich die Ingenieure hier nicht für einen Tunnelbau in offener Bauweise, vielmehr wollten sie sich mit einer Vortriebsmaschine unter der Isar hindurchwühlen. Um zu verhindern, dass Wasser eindringt, wurde ein Überdruck erzeugt - und das nur gut zwölf Meter unter dem Flussbett. Ohne die Platten, so schreiben die Buchautoren Reinhard Pospischil und Ernst Rudolph in ihrem Standardwerk "S-Bahn München" aus dem Jahr 1997, "hätte die Gefahr des unkontrollierten Entweichens der Luft bestanden". Am 25. Februar 1971 wird Richtfest in der Tunnelröhre gefeiert, im Mai 1972 der S-Bahn-Betrieb aufgenommen.

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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