Arbeitsplatzabbau im Landkreis:Weiter im Wirtschaftswunderland

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Der Airbus-Standort in Ottobrunn kommt beim Stellenabbau relativ glimpflich davon. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Airbus und Linde streichen Hunderte Arbeitsplätze, der Automobilzulieferer MWS meldet Insolvenz an. Nach Wochen der Negativ-Meldungen stellt sich die Frage: Bekommt der Landkreis als Firmenstandort einen Knacks? Nein, sagen Experten. Ganz im Gegenteil.

Von Martin Mühlfenzl

Hunderte Arbeitnehmer im Landkreis werden die vergangenen Tage als eine Horrorwoche in Erinnerung behalten.

In Ottobrunn und Taufkirchen haben zahlreiche Techniker, Ingenieure, aber vor allem Verwaltungsangestellte erfahren, dass ihre Dienste beim Luft- und Raumfahrtkonzern nicht länger gefragt sind. In Garching hat der Automobilzulieferer MWS Insolvenz angemeldet, 150 Arbeitsplätze sind allein dort bedroht. Zuvor hatten bereits der Industriegaskonzern Linde in Pullach und das Baierbrunner Kältetechnik-Unternehmen Kelvion angekündigt, Stellen abzubauen: Linde 600, Kelvion 200.

Wirtschaftsexperten, Statistiker und Politiker im Süden der Republik werden die Wochen indes wieder einmal als ökonomische Sternstunden in Erinnerung behalten. Hat doch der renommierte Regionalforscher Wolfgang Steinle den Landkreis in seiner Studie zur wirtschaftsstärksten Region Deutschlands gekürt. Wie auch das renommierte Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos, das dem Kreis im Mai schier endloses Wachstum und die besten Zukunftsaussichten aller 402 deutschen Landkreise und Städte bescheinigte.

Nur Pannen, oder Risse in der Fassade?

Was ist da also los im Wirtschaftswunderland zwischen Unterschleißheim, Ottobrunn und Grünwald? Sind die Kündigungen und die Pleite von MWS nur kleine Pannen auf einem eigentlich unaufhaltsamen wirtschaftlichen Aufstieg? Oder sind dies die ersten Risse in der glänzenden Fassade des Wirtschaftsstandorts?

Zunächst einmal sind es herbe Schicksalsschläge für die betroffenen Arbeitnehmer, sagt Simone Burger, Vorsitzende des DGB-Kreisverbandes München: "Jede Insolvenz, jeder Stellenabbau ist dramatisch. Menschen, die tolle Arbeit leisten, erleben einen Verlust, Einbußen und große Unsicherheit." Diese Gefühlslage durchleben derzeit vor allem die Beschäftigten bei MWS in Garching. Seit 2012 hätten die 150 Angestellten teils "unter erheblichen Beiträgen" und Verzicht auf Geld mehrere Umstrukturierungen und Sanierungen mitfinanziert, lässt die Gewerkschaft IG Metall verlauten. Ob es bei MWS überhaupt weitergehen kann, ist vollkommen offen.

Zeitgleich zum angekündigten Stellenabbau des Garchinger Unternehmens veröffentlicht das Jobcenter des Landkreises seine neuesten Arbeitslosenzahlen. Die Quote ist im Vergleich zum Vormonat im November noch einmal um 0,1 Prozent zurückgegangen. Insgesamt 4607 Menschen sind demnach arbeitslos gemeldet, 129 weniger als im Oktober. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 2,6 Prozent - ein Wert nahe der Vollbeschäftigung, sagt der Leiter des Jobcenters, Bernhard Sexl.

Der Airbus-Standort in Ottobrunn kommt beim Stellenabbau relativ glimpflich davon. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Vor allem hoch qualifizierte Arbeitnehmer müssten kaum längere Zeit auf Angebote warten; meist kommen die Arbeitsvermittler bei Ingenieuren, IT-Fachleuten, Software-Entwicklern gar nicht zum Einsatz. Das Jobcenter erwartet daher hinsichtlich der Ausstellungen bei Linde und Airbus keine größeren Auswirkungen.

Zwar gibt es auch im Kreis keine Garantien, binnen kürzester Zeit in den Wunsch-Job zu wechseln. Doch eine Statistik macht deutlich, welch herausragende Dynamik hier herrscht: Ende 2007 gab es in den 29 Kommunen des Kreises nahezu 169 000 sozialversicherungspflichtige Jobs; im März 2016 waren es bereits mehr als 215 000 - Tendenz weiter steigend. Allein in Unterföhring, der sogenannten Mediengemeinde, arbeiten 18 000 Beschäftigte, bei gerade einmal 11 000 Einwohnern.

Die Vitalität des Wirtschaftsstandorts verändert aber auch das Arbeitsleben an sich. Das wird beim Luft- und Raumfahrtunternehmen Airbus deutlich. Der Konzern versichert, dass der Standort Ottobrunn erhalten bleiben wird - als Forschungszentrum und Produktionsstandort in der Raumfahrt. Doch es wird eine spürbare Reduzierung der Belegschaft und künftig eine hohe Fluktuation geben.

"Die Innovationszyklen haben sich verändert", sagt Konzernsprecher Gregor Kursell. Von der Entwicklung eines Flugzeugs bis zu seiner Außerdienststellung dauert es mehrere Jahrzehnte. Heute aber werden Produkte mit kürzeren Lebenszyklen für den Konzern immer wichtiger. Daher müsse Airbus umstrukturieren. Kursell macht dies an einem Beispiel deutlich: Künftig wird sich ein kleines Team von Forschungsmanagern etwa um die Koordination von Lufttaxis für Megacitys kümmern. Die Forschung selbst betreiben Experten von Airbus, aber auch externe. "So ein Projekt kann drei, vier Jahre dauern", sagt Kursell. "Dann wird ein neues gestartet - und es werden neue Mitarbeiter nach Ottobrunn kommen."

Die Komplexität der Projekte erfordere viele Player, die sie sich am Standort Ottobrunn versammelt haben, Start-ups, die Vernetzung mit anderen Forschungszentren und Hochschulen. "Wir müssen offen sein, dürfen uns nicht verschließen. Abschottung bringt uns keine Vorteile im Wettbewerb ", sagt Kursell. "Und wir müssen schnell sein, sonst machen es andere." Eine Laufbahn als Entwickler in der Aerodynamik von der Ausbildung bis zur Rente werde es in dieser Form nicht mehr geben.

Global Player wie Linde und Airbus

Zumindest nicht am Hochtechnologie-Standort Ottobrunn, dem Zentrum der zivilen und militärischen Luft- und Raumfahrtforschung. Doch die Wirtschaft wird nicht nur von Global Playern wie Linde und Airbus getragen. Die IHK zählt 43 000 Unternehmen im Landkreis als Mitglieder. Mit weit mehr als 200 000 Beschäftigten. "Das ist die Grundlage unseres Wohlstandes und der Sicherheit, die wir erhalten müssen", sagt IHK-Chef Christoph Leicher, der in Kirchheim ein Unternehmen mit 35 Mitarbeitern leitet.

Der Chef der mehr als 140 Jahre alten Firma sagt, die Gründer müssten ebenso gestärkt werden wie die traditionsreichen Betriebe; und auch Kommunen müssten Egoismen aufgeben und enger zusammenarbeiten: "Nur so verhindern wir, dass Unternehmen abwandern. Und ich rede nicht von China oder den USA, sondern davon, dass sie etwa in den Landkreis Ebersberg ziehen, weil da möglicherweise die Bedingungen besser sind."

Der Mittelstand ist die tragende Säule

In diesem Punkt stimmen der Unternehmer und die Gewerkschafterin überein. Der Mittelstand, sagt Simone Burger, trage den Wirtschaftsstandort: "Auch wenn wir froh sind, vier Dax-Konzerne im Landkreis zu haben." Es sei die Breite im Angebot, die Vielfalt von Dienstleistung, über Handwerk und Forschung bis zu den Produzierenden, die den Landkreis ausmache. Und die auch eine gewisse Gefahr berge. "Die Insolvenz von MWS in Garching hat mit der Krise der Automobilindustrie zu tun", sagt die DGB-Geschäftsführerin. "Geht es einem so relevanten Bereich schlecht oder machen große Konzerne Fehler, kann es selbst Firmen bei uns treffen."

Selbst im Wirtschaftswunderland.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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