Landgericht:Wegen Mordes angeklagter Stalker tritt vor Prozess in Hungerstreik

Lesezeit: 3 min

  • Roland B. soll seiner Ex-Freundin jahrelang nachgestellt und sie im August 2016 vor ihrer Wohnung in Obergiesing ermordet haben.
  • Der Gerichtsverhandlung vor dem Münchner Landgericht versuchte er sich durch einen Hungerstreik zu entziehen.

Von Susi Wimmer

Mehr als zwei Stunden lässt Roland B. die anderen Prozessbeteiligten warten. Dann, um 11.47 Uhr, folgt ein geradezu geisterhafter Auftritt des 46 Jahre alten Angeklagten. Eine magere Gestalt betritt den Verhandlungssaal, gehüllt in einen riesigen grünen Parka, die Kapuze über den kahlrasierten Schädel gezogen. Die erste Strafkammer des Landgerichts München I unter Vorsitz von Michael Höhne wird über den Mann verhandeln, der seiner Ex-Freundin jahrelang nachgestellt und sie im August 2016 vor ihrer Wohnung in Obergiesing ermordet haben soll. Und schon zum Prozessauftakt wird klar, dass Roland B. seinem Lebensmuster treu bleibt: Er entzieht sich der Realität, er übernimmt selbstmitleidig keine Verantwortung - und will sich sogar der Gerichtsverhandlung verweigern.

Tatsächlich hat die magere Gestalt mit der dunklen Hornbrille keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem braunhaarigen, munter wirkenden Mann von den Fahndungsfotos, die die Polizei nach der Tat veröffentlicht hatte. Roland B. und die in Obergiesing lebende Architektin Tsin-leh L. waren fast ein Jahr lang ein Paar, im August 2009 trennte sich die Frau. Eine Realität, die Roland B. nicht akzeptieren wollte, so sieht es die Staatsanwaltschaft. Sieben Jahre lang stellte er der Frau nach. Er rief sie an, schickte Mails, forderte Aussprachen. Einmal ging Tsin-leh L. darauf sogar ein, traf sich 2010 mit ihm in der Wohnung einer Freundin. Doch auch das klärende Gespräch reichte Roland B. nicht aus: Er stalkte seine Ex-Freundin weiter.

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Tsin-leh L. wusste sich durchaus zur Wehr zu setzen. Über zwei Jahre hinweg erwirkte sie Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz, erstattete Strafanzeige und sorgte dafür, dass der Architekt zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Was ihn aber auch nicht abschreckte. Es folgten weitere Nachstellungen, er versuchte, ihre Sachen zu beschädigen, die Frau erstattete eine Anzeige nach der anderen, und so sollte es am 18. August 2016 erneut zu einer Gerichtsverhandlung gegen Roland B. kommen.

Doch laut Staatsanwalt Laurent Lafleur plante er stattdessen, seine ehemalige Lebensgefährtin dafür zu bestrafen, dass sie nichts mehr von ihm wissen wollte. Er sagte einen geplanten Wanderausflug mit einem Freund ab, unter dem Vorwand, dass er so viel zu arbeiten habe. Am Nachmittag habe er an der Bayrischzeller Straße seiner Ex vor ihrer Wohnung aufgelauert. Sie wollte gerade in den Keller gehen, wo sie ihr Rad abgestellt hatte - aus Angst vor Beschädigungen durch den Stalker. Im Hauseingang soll B. dann mindestens 18 Mal mit einem Buchbindermesser auf die Frau eingestochen haben. Tsin-leh L. verblutete an Ort und Stelle.

So hartnäckig Roland B. Wahrheiten verleugnen konnte, so akribisch hatte er offenbar die Tat und seine Flucht geplant. Nach dem Mord soll er in seine Wohnung im Glockenbachviertel gefahren sein und die Kleidung gewechselt haben. Sein Handy ließ er in der Wohnung zurück, den Personalausweis nahm er mit. Und er muss im Vorfeld für seine finanzielle Versorgung Vorsorge getroffen haben. Zumindest konnte die Polizei in den folgenden Wochen keine Transaktionen auf B.s Konto ausmachen. Zielfahnder suchten nach ihm, es gab auch die These, dass sich der passionierte Wanderer irgendwo in den Bergen das Leben genommen haben könnte.

Jetzt sitzt er bleich im Gerichtssaal und antwortet eher missmutig auf die Frage nach seinen Personalien. Es sei ihm ein "bissl schwindlig", erklärt er Richter Höhne. Schon am Morgen des Verhandlungstags wollte er nicht zum Prozess erscheinen. In der Justizvollzugsanstalt Stadelheim untersuchte ihn ein Bereitschaftsarzt, befand ihn aber für transportfähig. An der Nymphenburger Straße angekommen, nahm ihn der Landgerichtsarzt ein weiteres Mal in Augenschein. B. befindet sich seit dem 17. August in Hungerstreik - also fast exakt seit dem Jahrestag der Tat, die ihm vorgeworfen wird. Er trinke, erhalte Vitamine, der Blutzucker sei in Ordnung und "kognitive Einschränkungen" seien nicht zu erkennen, sagte der Mediziner. Roland B. sei verhandlungsfähig.

Nein, sagt B. trotzig, er wolle sich zur Sache nicht äußern, sondern nur eine Erklärung verlesen. Er werde sich dem Prozess verweigern, weil es kein Vertrauensverhältnis zu seinem Pflichtverteidiger gebe, und außerdem habe man ihm den Zugriff auf seine digitalen Daten und den Laptop verweigert. Geduldig erklärt Höhne dem Angeklagten alle Rechtsgrundlagen und schlägt vor, "in kleinen Dosen" weiterzuverhandeln. "Sie können hier ihre Sicht der Dinge darstellen. Dieses Recht würde ich mir an Ihrer Stelle nicht nehmen lassen", sagt der Vorsitzende.

Drei Monate nach dem Mord, Anfang November, wurde Roland B. auf dem Jakobsweg in Spanien verhaftet. Er hatte dort in einer Unterkunft seinen Personalausweis hinterlegt, dieser war routinemäßig von der Polizei kontrolliert worden. Zu diesem Zeitpunkt lag schon ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vor, und die Münchner Zielfahnder waren ihm auf den Fersen.

Denn ganz konsequent konnte Roland B. dann doch nicht verschwinden. Er hatte einem Freund ein Lebenszeichen gegeben. Wohl in der Hoffnung, dass dieser einen mutmaßlichen Mörder decken würde. Für die Verhandlung hat das Gericht elf Tage anberaumt, das Urteil soll Ende Oktober verkündet werden.

© SZ vom 14.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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