Bilanz einer verrückten Woche:Himmelfahrt und Höllensturz

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Kardinal Marx wird künftig so viel zwischen Rom, Bonn, Berlin und Brüssel jetten, dass er für die Psyche der Münchner vielleicht gar keine Zeit mehr hat. (Foto: Marco Einfeldt)

Hoeneß in Haft, Krätz nicht mehr auf der Wiesn, Marx in anderen Sphären, Ude bald weg - nach turbulenten Tagen müssen sich die Münchner völlig neu orientieren. Die verrückte Bilanz einer verrückten Woche.

Von Christian Krügel

Fassen wir diese turbulente Münchner Woche mal kurz zusammen: Kardinal Reinhard Marx wird neuer Präsident des FC Bayern, Sabine Nallinger übernimmt den Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz, 28,5 Millionen Münchner Briefwähler können sich zwischen Richter Rupert Heindl, Sepp Krätz und Uli Hoeneß als neuen Oberbürgermeister entscheiden, Josef Schmid wird Chef des päpstlichen Wirtschaftsrats, Dieter Reiter bekommt die Konzession für das neue Wiesn-Hippodrom und Christian Ude geht wegen Steuerhinterziehung ins Gefängnis. Oder geht er doch nur in Pension?

Nein, irgendwie ist da doch ziemlich was durcheinander geraten. Es ist aber auch zu verwirrend, was an Nachrichten auf die Münchner ausgerechnet in der Woche eingeprasselt ist, an deren Ende sie nun auch noch über das politische Schicksal ihrer Stadt entscheiden sollen. Nichts stimmt mehr. Zu viele feste Pfeiler des Münchner Selbstwertgefühls sind mit einem Mal ins Wanken geraten.

Gut, man kann sich mehr und mehr damit anfreunden, dass Oberbürgermeister Christian Ude nach fast 21 Jahren nun tatsächlich die Wahl eines Nachfolgers zulassen muss. Dass aber binnen Stunden sowohl Bayern-Präsident Uli Hoeneß als auch Wiesn-Wirt Sepp Krätz von den Richtern ins Fegefeuer geschickt wurden und damit als Identifikationsfigur ausscheiden, ist für den Münchner nur schwer zu verkraften.

Ob München noch München bleibt?

Denn beide waren für diese Stadt ja mindestens so wichtig wie Ude. Der eine, Hoeneß, hat mit seinen Kickern für den Ruf Münchens gewiss mehr getan als die meisten Stadtpolitiker. Der andere, Krätz, hat die Münchner immer bestens unterhalten: die reichen Bussi-Bussi-Menschen, weil er ihnen die Bühne zur Selbstdarstellung bot, die braven Bürger, weil er ihnen die Schlagzeilen zum Aufregen gab. Und jetzt? Der eine in Haft, der andere bald nicht mehr auf der Wiesn - man muss sich ernsthaft fragen, ob München noch München bleibt.

Immerhin muss man ihnen zugute halten, dass sie ihren vorläufigen Abgang mit dem Prunk und der Pracht inszeniert haben, die der schönsten Stadt der Welt angemessen sind. In norddeutschen Provinzhauptstädten reichen ein Bobby-Car und ein Wiesn-Besuch für einen Skandal.

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München braucht mehr: Fast 30 Millionen Euro haben die beiden insgesamt an Steuern hinterzogen, mit weltweiten Währungsgeschäften, Bierfässern und unzähligen Champagnerflaschen. Das hat Stil, das ist bayerischer Barock, das ist München. Hier ist eben doch alles größer, schöner, besser als anderswo, weshalb Bayern-Trainer Pep Guardiola völlig zu Recht ein "super-" vor nahezu jedes Adjektiv setzt.

Ein Brauch, den übrigens Ministerpräsident Horst Seehofer inzwischen übernommen hat: Kardinal Marx sei ein "europäischer Super-Bischof", sagt er. Anlass für den Satz war einer der wenigen Münchner Lichtblicke dieser Woche. Der Erzbischof ist zum Vorsitzenden aller deutschen Bischöfe erwählt worden, der Papst kürte ihn zum Chef seines Wirtschaftsbeirats - das fühlt sich fast schon wieder ein bisschen an wie "Wir sind Papst" auf Münchnerisch.

Himmelfahrt und Höllensturz

Aber kann die Himmelfahrt des Erzbischofs den Höllensturz von Hoeneß und Krätz wirklich wettmachen? Das wird zumindest schwierig, da Marx so viel zwischen Rom, Bonn, Berlin und Brüssel jetten muss, dass er für die Psyche der Münchner vielleicht gar keine Zeit mehr hat.

Also müssen die sich einen Ude-Hoeneß-Krätz-Ersatz, den neuen Super-Münchner doch noch selbst erwählen. Weshalb der OB-Entscheidung am Sonntag entscheidende Bedeutung zukommt. (Für Horst Seehofer ist das übrigens eine Super-Wahl, denn danach hätte er gerne eine schwarz-grüne Koalition in München als Vorbild für Bayern, Europa, die Welt, hat er diese Woche gesagt.)

Zwölf Kandidaten für Udes Posten gibt es immerhin, so viel Auswahl also, dass die Bürger in zwei Wochen wohl zur Stichwahl gehen müssen - auch das sind die Münchner seit 30 Jahren nicht mehr gewohnt. Doch wird am Ende wirklich ein neuer Super-Held für die Stadt hervortreten?

Skepsis ist angebracht, denn ausgerechnet von den aussichtsreichsten Kandidaten kamen in dieser Woche auch noch diese Nachrichten: Die Polizei hat den Wahlkampf-Bus von Josef Schmid kurzerhand abgeschleppt, und Dieter Reiter bekannte öffentlich, was sein bayerischer Lieblingsausdruck ist: "Passt scho!"

© SZ vom 15.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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