Angstforscher:"Wir müssen lernen, diese Ängste auszuhalten"

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Ein Frau sitzt auf den Treppenstufen vor dem Olympia-Einkaufszentrums in München vor Blumen und Kerzen, die auf dem Gehweg liegen. (Foto: dpa)

Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, Opfer eines Anschlags zu werden. Warum fürchten wir uns trotzdem davor? Angstforscher Borwin Bandelow über den einfach gestrickten Teil unseres Gehirns und gesunden Fatalismus.

Interview von Julian Dörr

Nizza, Würzburg, München, Ansbach. In den vergangenen Tagen häufen sich die Meldungen von schrecklichen Gewalttaten. Die Angst vor dem Terror ist auch in Deutschland angekommen, viele Menschen spüren in ihrem Alltag eine deutliche Verunsicherung. Wir haben den Angstforscher Borwin Bandelow gefragt, wie wir mit diesen Ängsten umgehen können.

SZ.de: Herr Professor Bandelow, haben Sie heute mehr Angst als früher?

Borwin Bandelow: Eigentlich nicht. Ich bin ja ein rational denkender Mensch und sage mir, dass die Wahrscheinlichkeit, das nächste Opfer eines Terroranschlags zu werden, extrem gering ist. Genauer gesagt: eins zu 27 Millionen.

Dessen sind sich viele Menschen bewusst. Und dennoch beschleicht einige gerade ein mulmiges Gefühl, wenn sie am Morgen in die U-Bahn steigen.

Unser Vernunftgehirn hat längst verstanden, dass die Wahrscheinlichkeit relativ gering ist, Opfer eines Anschlags zu werden. Auf der anderen Seite gibt es aber ein Angstsystem in unserem Gehirn, das sehr einfach gestrickt ist. In etwa wie das eines Huhns. Das versucht uns Restzweifel einzureden: Was, wenn dieser arabisch aussehende Mann da hinten doch ein Terrorist ist? Und er eine Bombe in seinem Rucksack hat?

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Was kann man tun gegen diese Ängste? Wie finden wir zurück zur Vernunft?

Da gibt es kein einfaches Rezept. Man kann es niemandem nehmen, derzeit mit einem mulmigen Gefühl in die U-Bahn zu steigen oder demnächst aufs Oktoberfest zu gehen. Das sind Gefühle, mit denen wir leben müssen. Wir müssen lernen, das auszuhalten. Gleichzeitig können wir natürlich versuchen, mit dem Vernunftgehirn gegen Ängste vorzugehen. Indem man sich etwa sagt, dass die statistische Wahrscheinlichkeit viel höher ist, durch einen Haushaltsunfall zu sterben. Dadurch sterben in Deutschland jedes Jahr 9000 Menschen. Oder durch einen Freizeitunfall - ebenfalls etwa 9000 Tote pro Jahr. Das sind in beiden Fällen dreimal so viele Opfer wie im Straßenverkehr.

Gefahren, um die wir uns im Alltag meist nicht sorgen.

Ehrlich gesagt müsste man jeden Morgen als Fußgänger mit einem Helm losgehen. Man könnte ja von einem Auto angefahren werden.

Wir können und müssen uns also nicht vor allen Gefahren schützen?

Richtig. Ein gesunder Fatalismus ist angebracht. Denken Sie einmal an die Menschen in den Townships von Kapstadt, den Favelas von Rio oder in Bagdad, wo alle paar Tage ein Bombenattentat passiert. In diesen Gegenden sieht man merkwürdigerweise sehr viele fröhliche Gesichter. Obwohl die Gefährdung da deutlich höher ist, gelingt es diesen Menschen, weiter fröhlich zu bleiben.

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In der Küchenpsychologie heißt es ja: Stell dich deinen Ängsten! Vielen Menschen ist bei der aktuellen Nachrichtenlage aber eher nach Verdrängung. Darf man einfach weghören?

Verdrängung ist an sich eine gute Maßnahme: Ich schaue mir jetzt die Nachrichten nicht mehr an, setze mich in meinen Schrebergarten und versuche, mich auszuklinken. Denn diese Nachrichten verderben uns das schöne Sommerleben. Es schadet keinem, wenn er sich mal eine Auszeit nimmt und sagt: "Ich will das alles nicht mehr hören."

Verstärken die Medien durch ihre Berichterstattung das Klima der Angst?

Ich würde nicht den Medien die Schuld geben, sie erfüllen nur den Wunsch des Publikums. Menschen wollen komischerweise auch schreckliche Nachrichten hören. Auch wenn es ein bisschen paradox klingt: Das dient dem Angstabbau. Man sieht dieses Muster beim Tatort am Sonntagabend: Wir lassen uns erschrecken, aber um 21:40 Uhr wird der Täter gefasst und wir fühlen uns besser. Wir fühlen uns erleichtert, wenn wir Schreckensnachrichten hören und gleichzeitig feststellen: Es war zwar ganz in der Nähe, aber es hat mich nicht getroffen. Journalisten und Medien bedienen diesen Mechanismus. Und mit etwas zeitlichem Abstand beruhigt sich die Lage wieder und die Journalisten schreiben über etwas anderes.

In den vergangenen Tagen gab es keine Beruhigung mehr. Nizza, Würzburg, München, jetzt Ansbach. Wird das irgendwann ungesund?

Ich glaube kaum, dass jemand gesundheitliche Schäden erleidet, weil sich gerade die Horrormeldungen häufen. Sie hinterlassen zwar ein Grummeln im Magen, aber die wenigsten bekommen Panikattacken, wenn sie morgens die Zeitung aufschlagen. Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt eine Gesellschaft der Angst werden und unsere Lebensqualität dadurch massiv eingeschränkt wird. Das wird im Moment etwas überzogen dargestellt.

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