Gleichberechtigung:Jeder muss sich kümmern

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Der Großteil der sogenannten Care-Arbeit wird von Frauen geleistet.

(Foto: imago)

Frauen sorgen viel mehr für andere als Männer. Doch in der Debatte um Care-Arbeit geht es nicht um Gleichberechtigung - sondern darum, was wir wichtig finden.

Von Barbara Vorsamer

"Who cares" lässt sich mit "Wen interessiert's" übersetzen - eine rhetorische Frage, auf die die Antwort meistens lautet: Niemanden. Wörtlich übersetzt könnte es aber auch "Wer kümmert sich?" bedeuten. Gerade am Equal Care Day ist das eine gute Frage.

Wer kümmert sich um die Kinder, um die Alten und um die Kranken? Wer besorgt Geburtstagsgeschenke? Wer organisiert, dass jemand zu Hause ist, wenn der Heizungsableser kommt und schaut, dass etwas fürs Abendessen im Kühlschrank ist?

Haben Sie gerade "Ich" gedacht? Dann sind Sie vermutlich eine Frau, denn der Großteil der sogenannten Care-Arbeit wird von Frauen geleistet. Das Fürsorgeproblem jetzt aber flugs zum Frauenthema zu machen und zu denken: "Dann kann es mir ja egal sein" wäre fatal. Das eigentliche Problem ist, dass wir jede und jeden, der sich kümmert, abwerten und nur Erwerbsarbeit gelten lassen.

Wer Arbeit sagt, meint Geldverdienen

Das zeigt schon das Vokabular. Wer Arbeit sagt, meint eine Tätigkeit, für die jemand bezahlt wird und die im Allgemeinen außerhalb der eigenen Wohnung stattfindet. Für all die anderen Aufgaben, die tagtäglich zu erledigen sind, fehlt uns ein Begriff - obwohl dafür mehr Zeit draufgeht als fürs Geldverdienen. 20,5 Stunden pro Woche verbringen die Deutschen laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich mit Erwerbsarbeit, 24,5 Stunden verwenden sie auf unbezahlte Aufgaben wie Wohnung putzen, Gartenarbeit oder Kinderbetreuung. Falls die Zahlen irritieren: Es sind Durchschnittswerte, in die alle Deutschen miteingerechnet werden - Angestellte und Selbständige, Hausfrauen und Renter et cetera.

Männer arbeiten demnach insgesamt 44 Stunden in der Woche, davon entfallen 25 Stunden auf Erwerbsarbeit und 19 auf den Rest. Frauen stecken zwei Drittel ihrer Arbeit in unbezahlte Arbeit, nur für ein Drittel der Zeit werden sie entlohnt. Haben die Menschen Kinder, arbeiten sie fast 60 Stunden in der Woche und das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern verstärkt sich weiter.

Auf der Website für den Equal Care Day heißt es: "80% der Care-Arbeit wird von Frauen geleistet, sowohl im professionellen Bereich und mehr noch im privaten." Die Initiative um Almut Schnerring und Sascha Verlan will auf diesen Missstand aufmerksam machen und hat dafür den 29. Februar zum Equal Care Day ernannt. Es ist ein Schalttag, den es nur alle vier Jahre gibt - weil Männer angeblich vier Jahre brauchen, um die Fürsorgearbeit zu leisten, die Frauen schon im Jahr 2012 geleistet haben. Basis für diese Behauptung ist ein Papier der Bundesagentur für Arbeit, wonach im Gesundheits- und Pflegesektor vier von fünf Beschäftigten weiblich sind.

Gleichberechtigung heißt: Alle arbeiten Vollzeit

Kümmerarbeit, wie sie im Folgenden genannt werden soll, ist also nicht gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt, egal, ob es um professionelle oder um private Fürsorge geht. Das ist ein Problem für die Frauen - und ein noch viel größeres Problem für uns alle. Die Publizistin Antje Schrupp schreibt: "Unser gesellschaftlicher Wohlstand, unser aller Wohlergehen, wäre ohne diese unsichtbare Arbeit nicht denkbar."

Politische Bemühungen um die Gleichberechtigung erschöpfen sich oft darin, mehr Frauen in besser bezahlte Berufe und höhere Positionen zu bringen. So entsteht eine große Lücke: Wenn Frauen mehr (erwerbs-)arbeiten - wer kümmert sich dann? Die Antwort lautet oft: andere Frauen.

Paare müssen vieles delegieren

Die meisten Paare, die Gleichberechtigung leben, tun dies indem beide Partner Vollzeit (erwerbs-)arbeiten und vieles delegieren. Um die Kinder kümmern sich Erzieherinnen, um die alten Eltern Pflegerinnen und sauber gemacht werden die Wohnungen von Putzfrauen. Dass hier nur die weibliche Form steht, soll die Männer in den genannten Berufen nicht diskriminieren, sondern deutlich machen: Es gibt wenige. Die, die es gibt, werden genauso schlecht bezahlt wie ihre Kolleginnen, was einmal mehr verdeutlicht, dass es nicht nur ein Geschlechter- sondern auch ein generelles Fürsorgeproblem ist.

Arbeit an Erzieherinnen, Pflegerinnen, Putzfrauen abzugeben ist nicht verwerflich. Doch gleichberechtigt ist dann nur das Vollzeit-arbeitende Paar, auf der gesellschaftlichen Ebene hat sich wenig verändert: Die Fürsorgearbeit hat sich nur von der gar nicht bezahlten Ehefrau auf die schlecht bezahlte Profi-Kümmerin verlagert. Weiterhin ist eine Frau zuständig, die wenig Anerkennung für ihre Arbeit bekommt - weil uns Fürsorge einfach nicht viel wert ist.

Denn warum sind diese Berufe so schlecht bezahlt? Doch nicht, weil sie so einfach, so wenig belastend, so anspruchslos sind.

Klischee der opferbereiten Frau

Von Erzieherinnen erwarten wir, dass sie Expertinnen in Kleinkindpädagogik sind, dass sie eine vertrauensvolle Bindung zu unseren Kindern aufbauen, sie tragen, wickeln, füttern und trösten und all das für nicht einmal 3000 Euro brutto im Monat (Gehalt nach acht Berufsjahren). Bei der Pflege gibt es Bemühungen, die Ausbildung zu professionalisieren, was den Beruf attraktiver machen soll. Dass er es nicht ist, beschreibt Krankenpflegerin Beatrice Haberger auf jetzt.de. Das Problem liegt jedoch nicht nur bei Ausbildung und Bezahlung, sie wünscht sich vor allem mehr Wertschätzung. Ihr Fazit: "Was auch immer die Zukunft der Pflege bereithält, ich wünsche mir, dass das Bild der sich aufopfernden Pflegerin nicht mehr Teil davon ist."

Mit dem Klischee der sich aufopfernden Pflegerin spricht sie an, was in der ganzen Diskussion um Kümmerarbeit zu selten offen ausgesprochen wird. Noch immer sind viele Menschen überzeugt, dass Frauen sich einfach gerne um andere kümmern, dass es in ihrer Natur liegt, sich für andere aufzuopfern. Wenn jemand nicht anders kann, als sich zu kümmern - dann muss man diejenige nicht fair bezahlen, oder?

In der Diskussion um den Gender Pay Gap, also die unterschiedlichen Stundenlöhne von Männern und Frauen (hier geht es ausschließlich um die Erwerbsarbeit), wird oft argumentiert, dass Frauen nun mal die falschen Berufe wählten. Wer Krankenschwester lernt statt Informatik zu studieren, so die Logik, sei selbst schuld am geringen Gehalt. Wer das sagt, blendet völlig aus, wie unverzichtbar Pflegeberufe sind. Schon jetzt gibt es in den Fürsorgebranchen einen extremen Fachkräftemangel.

Wer sich kümmert, wird abgewertet

Anne-Marie Slaughter hat mit "Unfinished Business" ein Buch über den Care-Konflikt geschrieben. Die Politikprofessorin war Beraterin der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton und lehnte einen weiteren Karriereschritt ab, weil sie mehr Zeit für ihre pubertierenden Söhne haben wollte. Über diese Entscheidung schrieb sie den Essay "Why women still can't have it all" (deutsch: "Warum Frauen immer noch nicht alles haben können"). Das Stück traf einen Nerv und hat eine internationale Debatte darüber losgetreten, warum Frauen in Top-Positionen doch nicht nach ganz oben wollen oder können. Es ist das am häufigsten gelesene, am meisten diskutierte Stück in der 150jährigen Geschichte des Magazins The Atlantic.

Für ihre Sichtweise wurde Slaughter hart kritisiert: Auch Männer könnten nicht alles haben, hieß es. Auch Männer würden, wenn sie Haushalt und Kindern zu Liebe beruflich zurücksteckten, benachteiligt. Und sie fokussiere sich zu stark auf die Situation privilegierter Frauen, die frei entscheiden können, was und wie viel sie arbeiten. Für die Mehrheit der Menschen trifft das aber nicht zu, sie jonglieren verzweifelt Erwerbs- und Care-Arbeit, haben kaum Zeit für Schlaf, Kontakte und Hobbys - und keine Wahl.

Was nun zu tun ist

Für ihr Buch, das im März auf Deutsch erscheinen wird, hat sich die Autorin die Kritik zu Herzen genommen und geht der Frage nach, warum wir Menschen, die sich um andere kümmern, so abwerten. In einem Interview sagt sie: "Eine Frau ohne Fürsorgeaufgaben verdient zwischen 92 und 96 Prozent von dem, was Männer in vergleichbaren Positionen verdienen. Eine Frau mit Fürsorgeaufgaben liegt bei 70 bis 72 Prozent." Es geht um den Stundenlohn, wohlgemerkt. Teilzeit kann diese Differenz also nicht erklären. Slaughter sagt weiter: "Was hier passiert, ist, dass wir Menschen diskriminieren, die sich um andere kümmern. Die Gesellschaft braucht es aber, dass Menschen das tun."

An dieser Stelle müssten nun Lösungsvorschläge kommen. Was können wir tun, was müssen Politiker und Unternehmen tun, um die Fürsorge und Menschen, die sie leisten, zu stärken? Anne-Marie Slaughters Buch ist mehrere hundert Seiten dick, doch der größte Teil handelt lesenswert die Beschreibung des Ist-Zustandes ab. Der Titel lautet in der deutschen Übersetzung "Was noch zu tun ist". Doch so richtig weiß das die Autorin auch nicht.

Hier Siggi-Superpapa, dort Mal-wieder-nicht-da-Manu

Sie rät, unsere Sprache zu verändern, nicht mehr nur von berufstätigen Müttern zu sprechen, sondern auch von berufstätigen Vätern. Sie wünscht sich, dass Frauen und Männer, die sich um andere kümmern, gleich behandelt werden und beschreibt das "Heiligenschein-Syndrom": Männer, die sich kümmern, werden in den Himmel gelobt, weil sie etwas außergewöhnliches tun. Von Frauen wird es erwartet, sie bekommen nichts - oder sogar Kritik.

Das konnte man vor Kurzem gut an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Familienministerin Manuela Schwesig beobachten. Ersterer nahm sich zwei Tage frei, weil seine Tochter Scharlach hatte und Spiegel Online jubelte über offensive Vaterschaft und lobte Gabriel dafür, seine Elternrolle ernst zu nehmen. Am selben Tag berichtete das Magazin Der Spiegel über Schwesig mit der Überschrift "Nicht erreichbar". Der Text malte ein abschreckendes Bild einer Ministerin, die zu oft abwesend ist und es einfach nicht hinkriegt, Familie und Beruf zu vereinbaren. Hier Siggi-Superpapa, dort Mal-wieder-nicht-da-Manu, so fasst es die taz treffend zusammen.

Slaughter fordert weiter, dass sich die Unternehmen verändern müssten und Teilzeitkarrieren zulassen und Auszeiten aus dem Job weniger hart abstrafen sollten. Ein frommer Wunsch - der Menschen, die gerade konkret damit beschäftigt sind, Erwerbs- und Fürsorgearbeit irgendwie zu kombinieren, sehr wenig bringt. Hilfreicher ist ein anderer Tipp: Reden. Und zwar mit dem Partner beziehungsweise der Partnerin.

Zu viele Paare überspringen das Gespräch darüber, wie sie sich Erwerbs- und Fürsorgearbeit einmal aufteilen wollen und glauben, dass es schon irgendwie alles gleichzeitig geht. Wenn die Kinder da oder die Eltern pflegebedürftig sind, stellen sie überrascht fest, dass das nicht der Fall ist. Sich gegenseitig Fragen zu stellen, sei weder pessimistisch noch zwanghaft, sagt die Autorin - sondern realistisch:

Wenn ich eine Beförderung bekomme, für die ich viel reisen muss, übernimmst du die Fürsorgepflichten zu Hause? Ziehen wir um, wenn einer von uns beiden einen besseren Job in einer anderen Stadt bekommt? Wenn unser Kind eine schwierige Phase hat, kannst du dir vorstellen, Stunden zu reduzieren? Wie würde es sich für dich anfühlen, wenn ich mehr verdiene als du?

Wir müssen uns ums Kümmern kümmern

Slaughter beschäftigt sich hauptsächlich mit der Fürsorge im privaten Bereich, doch bei der professionellen Pflege und Betreuung gilt das Gleiche: Es muss mehr darüber diskutiert werden, unangenehme Fragen müssen gestellt werden. Denn "Who cares?" - Wer kümmert sich und wen interessiert das? - ist eine Frage, die wir künftig besser mit "Jeder" beantworten sollten. Fürsorge und eine bessere Wertschätzung und Bezahlung derselben geht uns alle an.

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