"Wolke 7" von Gzuz:Ich bin reich, du Opfer!

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Rapper Gzuz: Raubtierkapitalismus-Prototyp! (Foto: Universal Music)
  • Rapper Gzuz hat sein neues Album "Wolke 7" veröffentlicht und damit wieder eine Debatte über Frauenverachtung und Gewaltverherrlichung im Gangsta-Rap losgetreten.
  • Der Hamburger inszeniert sich in seiner Musik - und auf Instagram - glaubwürdiger und vor allem weniger ironisch als andere als gewaltbereiter Kleinkrimineller.
  • Das vermeintlich rebellische Image, das ihm dadurch anhaftet, ist aber unverdient: Gzuz zeigt sich eher als strammer, streng marktkonformer Kapitalismusjünger.

Von Jakob Biazza

Mal eine andere Frage zu dieser so irre rohen Gewalt-, Waffen, Geld-, Frauenverachtungs- und Drogenkiste: Muss man sich Gzuz eigentlich als glücklichen Menschen vorstellen? Oder wenigstens als einen, der Erfüllung findet in dem, was er tut? Ist jetzt natürlich ein sehr bürgerlicher Blick, aber glückliche Menschen rammen anderen ja eigentlich keine Klingen in den Hals. Sie "zerfetzen" Frauen nicht. Sie zertrümmern keine Aschenbecher auf Schädeln. Sie fuchteln und ballern nicht mit Glocks, Uzis, Pumpguns herum. Und wahrscheinlich sind sie auch nicht ständig auf Koks, Codein, Gras, Oxycodon, Ecstasy, Wodka, Jack.

Gzuz schon. Sagt er. Genauer: rappt er. In quasi jedem Takt seines eben erschienenen zweiten Soloalbums "Wolke 7".

Und man glaubt dem Hamburger Rapper ja überdurchschnittlich viel von dem, was er so sagt. Und zeigt. In seinen Songs und Posts und Videos. Deshalb funktioniert er gerade so gut. 1,2 Millionen Menschen sehen auf Instagram seine Bilder mit Sturmhauben, Drogen, dicken Knarren und noch dickeren Karren (ungefähr doppelt so viele also, wie bei SZ, SZ-Magazin, Spiegel, FAZ und Zeit zusammen).

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Gzuz, ausgesprochen wie eine auf Hustensaftüberdosis vernuschelte Version des englischen "Jesus", ist unter den ohnehin gerade relativ medienwirksam herumschmutzenden deutschen Gangster-Rappern der aktuell - ja, was eigentlich genau? Der Authentischste? Da ist man ihm vielleicht schon auf den Promo-Leim gegangen. Und macht sich außerdem mit der sehr langweiligen These gemein, gute oder erfolgreiche Popkultur habe irgendwas mit Authentizität zu tun. Am Ende also vielleicht: der Gefährlichste?

Warum eigentlich nicht. Gzuz strahlt ja tatsächlich eine kalte, nackte Gewalt aus.

Zur erweiterten Legendenbildung des Hamburgers gehören denn auch: eine mehrjährige Haftstrafe wegen räuberischen Diebstahls - vom Rest der 187er Straßenbande, seiner Crew, PR-mäßig als "Free Gzuz"-Tour ausgeschlachtet. Anzeigen wegen Körperverletzung. Angeblich Drogenhandel. Angeblich illegaler Waffenbesitz. Und natürlich: achtfaches Hausverbot im Hamburger Club "Übel & Gefährlich". Sein Video zur Vorabsingle "Was hast du gedacht" (etwa 20 Millionen Views) ist derart dichtbepackt mit Pistolen, Gewehren, großkalibriger Munition, maskierten Horror-Clowns, Gangster-Gehabe, Sexismus, Plastikkübeln voll mit Marihuana, Sprite-Flaschen voll mit Codein und Augen leergefegt von Zeug, das die Empathie gegen Null zu drücken scheint, dass es einem beim Zusehen die Beklemmung literweise durch die Arterien spült.

Natürlich ist da also auch die Diskussion, ob Gzuz die nächste Stufe der Verrohung im Deutschrap ist (eher ja), und ob er die Jugend gefährdet (sicher nicht zwangsläufig, aber ganz spurlos können solche Bilder auch nicht verklingen).

Das ist die eine Seite seines Erfolgs: Man kann sich fürchten vor der dumpfen, reptilienhaften Wut, die dem Rapper aus dem volltätowierten Körper zu kriechen scheint. Und man kann seine Kinder vor ihr schützen wollen. Auf der anderen Seite ist es schlicht große Kunst, die dieser Kristoffer Jonas Klauß, wie er bürgerlich heißt, falls er denn je bürgerlich ist, macht. Kunst vor allem in dem Sinn, dass sie eine peinigende Wirklichkeit im Extrem widerspiegelt, die fast jeder in einer gemäßigten Form kennt.

Die Texte des Rappers brüllen gegen eine Welt an, die sich seelenbedrückend, eng und klaustrophob anfühlt. Überall Mauern, überall Autoritäten, überall Strafen und überall Konkurrenten, die den Weg zur Freiheit verstellen. Die die Luft rauben. Und den Entfaltungsdrang einengen. Gzuz wirkt in dieser Welt wie ein Rebell aus der Unterschicht. Wie ein Rolemodel für Underdogs. Einer, der sich dagegen wehrt, dass er in dieser Gesellschaft, wie so viele andere, nichts galt. Dass ihm sein (niemals bezweifelter) Erfolg so lang verwehrt war.

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Der Erfolg wäre nun da. Er geht auf "Wolke 7" aber wieder einher mit einer weithin widerwärtigen Parade aus Verachtung gegen Frauen ("Man sagt, ich bin frauenverachtend/Aber Frauen sind Schlampen), Arme ("Bring' deine Alte zum Sternekoch/Tau du schon mal deine Pizza auf") und jede Form von Eliten und Autoritäten von Lehrern bis - natürlich - Polizisten. Für alles also, was ihm schwächer oder weniger erfolgreich erscheint.

Was nun wieder zur Eingangsfrage führt (glücklicher Mensch: ja/nein). Und der vielleicht gar nicht so gewagten These: Nein, nicht glücklich. Gzuz erscheint auf seinem neuen Album - in diesem ekelhaft kapitalistischen Sinne - eher wie ein Mangelwesen. Einer, der ein Zuwenig an quasi allem an sich festgestellt hat: an Geld, Erfolg, Frauen, Zuspruch, Unterstützung, Lob oder Liebe ("Hab' es mit Liebe probiert, aber da war ich noch klein / Denn niemand erwiderte sie, deshalb ließ ich es sein - egal ich bin reich!"). Und das jetzt mit einem manischen Zuviel an quasi allem kompensiert. Ohne dabei Glück zu finden oder auch nur Erfüllung.

Im Gegenteil: Der Erfolg verwandelt seinen Apologeten in ein dauerhungriges Wesen: "Eine Mio auf dem Konto - ich will zehn / Gib mir, gib mir, gib mir, gib mir mehr von dem!" Raubtierkapitalismus-Prototyp. Ein zermürbender Kreislauf aus Gier, Maßlosigkeit und anschließendem Kater übersetzt in Musik. Die Beat-Schleier hängen entsprechend tief und dicht auf dem Album. Die Synthies plätschern wie dicke Regentropfen, die Schlieren auf den Scheiben ziehen, aus ihnen heraus. Und in all diesem Grau schwimmt Gzuz wie ein prähistorisches Raubtierfossil (Hausnummer: Megalodon) und fletscht und grient und keift und bellt und spuckt seine Machtphantasien hervor. Und wirkt dabei zwar sehr groß - vor allem aber: sehr verloren.

Was nun den vielleicht sinnvollsten Zugang zu diesem Künstler bietet - sei es für besorgte Eltern oder verschreckte Autoritäten: Gzuz' Narrativ vom Aufstieg und vom Bruch mit Konventionen und Regeln ist eines des Scheiterns. Er sucht ein Glück, das er nicht findet. Und er unterwirft sich am Ende als Idealtypus genau jenen Regeln, die ihn zuvor eingeengt und unterdrückt haben. Nein, Gzuz ist kein Rebell - er ist ein strammer, streng marktkonformer Kapitalismusjünger, der jetzt eben von oben herunter spuckt. Was für ein Drama, diese Geschichte.

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