Gleichberechtigung:Kann es Gleichberechtigung ohne das Recht auf Abtreibung geben?

Frauendemonstration gegen Paragraph 218 in Frankfurt am Main 1974

Heimchen am Herd und mundtot: Frauen demonstrieren gegen den Abtreibungsparagrafen 218. Das war im Jahr 1974 - doch nun ist die Debatte wieder da.

(Foto: AP)

Die Debatten um Trumpcare und um rechtspopulistische Positionen in Europa verweisen auf ein ungelöstes Problem.

Von Susan Vahabzadeh

Das Recht auf etwas ist nicht dasselbe wie eine Erlaubnis; ein Recht kann man nicht zurücknehmen, eine Erlaubnis schon. Sind das, was Frauen in den letzten Jahrzehnten erstritten haben, nun Rechte - oder doch nur Genehmigungen mit Ablaufdatum? Die Frage ist nicht so absurd, wie sie für manchen vielleicht erst einmal klingt. Über das Recht auf den eigenen Körper scheint neuerdings wieder verhandelt zu werden. Man darf dazu zumindest Meinungen kundtun, die bis vor Kurzem einem beruflichen Selbstmord recht nahegekommen wären. Das geht schon mit Pussygate los, mit dem Tape, auf dem Donald Trump prahlte, was er bei Frauen alles darf, ohne zu fragen. Bewerber um das amerikanische Präsidentenamt konnten sich bis vor Kurzem noch wegen einvernehmlicher außerehelicher Sexualkontakte alle Hoffnungen abschminken. Vorbei. Es wäre noch viel zu tun für die Gleichberechtigung der Geschlechter, aber statt über Lohngleichheit zu diskutieren, befindet sich die Debatte derzeit im Rückwärtsgang, in den USA und zum Teil auch in Europa.

Das klingt nach Mittelalter, ist aber aus der Gegenwart

In Washington fanden in der vergangenen Woche die Befragungen des designierten neuen Richters am Supreme Court statt. Dabei war auch seine Haltung zur geltenden Abtreibungsgesetzgebung immer wieder ein Thema: Würde Neil Gorsuch versuchen, das Urteil im Präzedenzfall Roe vs. Wade, das die Grundlage für die derzeitige Abtreibungsregelung in den USA ist, gerne kippen? Gorsuch hielt sich bedeckt, und allein seine Stimme würde dafür bislang die Mehrheitsverhältnisse noch nicht ändern. Am Freitag wurde die erste Fassung von Trumpcare zurückgezogen - wie aber soll eine zweite Fassung aussehen, die dem rechten Flügel der Republikaner gefällt? Schon jetzt sollten Krankenversicherungspolicen künftig durch Steuerermäßigungen subventioniert werden, was aber nicht für Policen gelten sollte, die eine Kostenübernahme im Fall einer Abtreibung vorsehen. Zur Debatte standen bis zuletzt auch Mammografien und Schwangerschaftsvorsorge. Um Prostata-Untersuchungen ging es dabei allerdings nicht. Selbst wenn sich bei einer Neufassung von Trumpcare die moderaten Republikaner durchsetzen, könnte das Abtreibungsrecht bald im Supreme Court zur Debatte stehen. Viele Staaten erschweren Abtreibungen schon jetzt und haben Verbotsgesetze für den Fall in der Schublade, dass es gelingt, Roe vs. Wade zu kippen.

Im US-Staat Oklahoma wird derzeit ein neues Abtreibungsrecht diskutiert, wonach für jede Abtreibung die schriftliche Genehmigung des Kindsvaters erforderlich wäre. Der republikanische Abgeordnete Justin Humphrey, der dieses Gesetz durchdrücken will, erklärt seine Position so: "Ich kann schon verstehen, dass sie" - die Frauen - "das Gefühl haben, das sei ihr Körper." Verstehen kann er es, er sieht es nur anders und erklärt dann weiter, Frauen seien halt eher "hosts", Gastgeber.

Das Zitat klingt nach Mittelalter, stammt aber aus dem Februar 2017.

Damit rührt Humphrey an einen zentralen Punkt. Er stellt tatsächlich gar nicht die Abtreibung an sich in Frage, sondern wer die Kontrolle hat über den Körper einer Frau. Das ist noch einmal etwas ganz anderes als eine Diskussion darüber, ob es sich bei einem Fötus im ersten Trimester einer Schwangerschaft bereits um ein eigenständiges Lebewesen handelt, dessen Recht schwerer wiegt als das Recht der Frau, in deren Uterus es heranwächst. Es gibt durchaus Gründe, warum Gleichberechtigung ohne eine Abtreibungsregelung nur schwer vorstellbar ist. Die Frage, ob Männer Frauen dazu zwingen dürfen, Kinder auszutragen, schien aber eigentlich schon einmal geklärt.

Kann man tatsächlich Gleichberechtigung hinbekommen ohne ein Abtreibungsrecht?

Das hat sich geändert. Und mehr noch, es gibt Fotos von der Diskussion des Freedom Caucus, der sehr rechten Gruppe republikanischer Abgeordneter, die am vergangenen Donnerstag über Trumpcare diskutierten - alles Männer. Schon im Januar hat Donald Trump im Kreise von Männern ein Dekret unterschrieben, das der NGO Planned Parenthood die Finanzierung entzog. Die Organisation steht seit Jahren unter Beschuss von rechten Abtreibungsgegnern, denen jedes Mittel recht ist, die ihr sogar Handel mit Organen von Föten unterstellen, obwohl vor Gericht längst geklärt wurde, dass das nie passiert ist.

Um den Women's March im Januar herum wurden mehrere Forderungen laut, die gesamte Frauenbewegung unter einem Dach zu versammeln - die Pro-Life-Bewegung fühlt sich ausgeschlossen. Es gibt aber kaum Pro-Life-Anhänger, die ihre Abtreibungsgegnerschaft und den Kampf gegen die Benachteiligung von Frauen unter einen Hut bekommen, oder auch nur ihr eigenes Weltbild. In der vergangenen Woche hat sich beispielsweise die republikanische TV-Moderatorin Tomi Lahren in einer Sendung zur geltenden amerikanischen Abtreibungsgesetzgebung bekannt. Ihre Begründung: Ein Grundzug konservativer Politik sei für sie Deregulierung, und sie sehe nicht ein, warum sie ausgerechnet eine Regulierung befürworten solle, die über die Körper von Frauen bestimmt. Ihr Arbeitgeber, das konservative Medienunternehmen The Blaze, hat sie daraufhin suspendiert. Die Republikaner sind ja tatsächlich die großen Deregulierer, nur halt nicht in dieser Frage.

Kann man, in Amerika oder in Europa, tatsächlich die Gleichberechtigung hinbekommen ohne ein Abtreibungsrecht? Eher nicht. Manche Gründe dafür sind rein pragmatisch. Es hat Abtreibungen wahrscheinlich immer gegeben, mindestens aber haben sich mit Schwangerschaftsabbrüchen schon die sumerische Gesetzgebung und jene im antiken Griechenland befasst. Natürlich stand der Abbruch unter Strafe, sofern die Frauen ihn überlebten.

Jedes Jahr sterben 47 000 Frauen durch illegale Abtreibungen

Wie viele Frauen auch heute noch in aller Welt an stümperhaften Abtreibungen sterben, in Ländern zumal, in denen sie legalisiert wurden, darüber sind schreckliche Schätzungen im Umlauf. Die WHO glaubt, dass jedes Jahr 47 000 Frauen durch illegale Abtreibungen sterben. In Südafrika beispielsweise wurden Abtreibungen 1996 legalisiert, die Todesfälle sanken danach drastisch. Insgesamt zeigen Studien, dass die Abtreibungsrate gar nicht sinkt, wenn Abtreibungen strafbewehrt sind. In Lateinamerika und Afrika sind die Raten viel höher, dort lassen etwa dreißig von 1000 Frauen eine Schwangerschaft abbrechen, in Westeuropa sind es aber nur 12 von 1000. Das hat auch damit zu tun, dass wir zwar in einem Zeitalter leben, in dem es ganz vielfältige Verhütungsmethoden gibt; nur kosten sie alle Geld, und das spielt in ärmeren Ländern eine große Rolle. Und für arme Leute in reichen Ländern tut es das auch.

Kinderkriegen ist ein monströses Armutsrisiko. Es gibt Heerscharen alleinerziehender Mütter, und nein, das liegt nicht allein daran, dass Vätern von Gerichten das Sorgerecht versagt wird, auch wenn das im Einzelfall passiert. In Deutschland leben laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung (2014) 1,6 Millionen Frauen mit ihren Kindern allein, die Zahl ist in den letzten zwei Jahrzehnten gestiegen, das Armutsrisiko auch, die Lohngleichheit aber bleibt in weiter Ferne. In fast allen westlichen Gesellschaften sind alleinerziehende Mütter die größte Gruppe innerhalb der Sozialhilfeempfänger. Mütter haben schlecht bezahlte Teilzeitjobs - und da kann eine Schwangerschaft übers wirtschaftliche Überleben entscheiden.

Manche glauben, die Pille mache Frauen unsexy und dumm

Victoria Woodhull, eine amerikanische Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts, wird von Abtreibungsgegnern gern zitiert, weil sie sich eine Welt ohne Abtreibungen wünschte; allerdings auch eine ohne ungewollte Schwangerschaften. Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast der Kindererziehung. Wer für Gleichberechtigung ist und sich Woodhulls Welt wünscht, eine Welt ohne Abtreibungen, der muss gleichzeitig für einen gesellschaftlichen Umbau sein.

In Deutschland und in vielen westlichen Ländern sind die Abtreibungsraten rückläufig, im Gegensatz zum antiken Griechenland gibt es heute zuverlässige Verhütungsmittel. Wer Abtreibung verbieten will, ebnet dennoch Quacksalbern und Engelmacherinnen den Weg. Obamacare, Barack Obamas Affordable Care Act, hatte das übrigens im Blick - das Gesetz verpflichtet Krankenkassen dazu, eine von fünf Verhütungsmethoden abzudecken. Auch das würde Trumpcare abschaffen. Ach, es sind schon tolle Dinge salonfähig geworden: Auf Breitbart News erschien, als Trumps Berater Stephen Bannon die rechte Website noch leitete, unter anderem ein Pamphlet, das nachweisen wollte, die Pille mache Frauen unsexy, dumm und zu Schlampen.

Die Idee, die all das verbindet, führt zurück in eine Zeit, als Gleichberechtigung nicht einmal ein Thema war, als Frauen zwar alle Verantwortung für die Reproduktion aufgebürdet wurde, sie dann aber nicht mal über ihren eigenen Körper bestimmen durften. Frauen, die ungewollt schwanger sind, müssten, so Justin Humphrey, der Abgeordnete aus Oklahoma, ihre "Verantwortungslosigkeit" ausbaden.

Selektion, die ein Welt- und Menschenbild spiegelt

Man kann über Abtreibungsregelungen ja durchaus streiten. Beispielsweise über die Regelung (Roe vs. Wade), wonach Abtreibungen erlaubt sind, bis der Fötus außerhalb des Mutterleibs als überlebensfähig gilt. Als das Urteil 1973 erging, waren das 28 Wochen, später wurden 24 draus, in den Anhörungen um Neil Gorsuch wurde auch die Absenkung auf 20 Wochen diskutiert. In den USA finden trotzdem fast alle Abtreibungen im ersten Trimester statt, und auch bei uns gibt es andererseits Fälle, in denen die Frist verlängert wird, etwa aus medizinischen Gründen. Von einem Zellhaufen kann man da aber meist nicht mehr reden.

Oder, ein anderes Beispiel: Darüber, dass die selektive Abtreibung weiblicher Föten in Indien und China ein Skandal ist, sind sich alle westlichen Feministinnen einig. Sie sind es aber nicht, wenn es um die selektive Abtreibung behinderter Föten geht. Obwohl man sehr wohl die Position vertreten kann, dass Behinderungen die schwächste aller Begründungen sind, ein Kind nicht auszutragen. Selbst, wenn man letztlich zu dem Schluss kommt, dass jede Frau das eben selbst entscheiden muss, sollte klar sein: Auch das ist eine Selektion, die ein Welt- und Menschenbild spiegelt. Jede Unterscheidung zwischen guten und schlechten Abtreibungsgründen tut das. Das Dickicht ethischer Abwägungen macht es nur zwingender, jede Frau selbst entscheiden zu lassen, was für sie relevant ist - und was nicht.

Kontrolle ist ein Feind der Gleichberechtigung

Es gibt eben einen entscheidenden Unterschied zwischen jenen Leuten, die Abtreibungen verbieten wollen, und jenen, die sich für Regelungen einsetzen, die das Individuum entscheiden lassen. Niemand, der für legale Abtreibungen auf die Straße geht, will Abtreibungsgegner dazu bringen, selbst Schwangerschaften abzubrechen; sie sollen es nur anderen erlauben. Umgekehrt ist das eben nicht so - Abtreibungsgegner verlangen die Kontrolle über andere. Und diese Kontrolle ist ein Feind der Gleichberechtigung.

Dieser Geist steckt in vielen Parteipapieren. Die französische Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen vom Front National sagt, es sei eine Unterstellung, der Front National wolle die "Frauen zu den Stricknadeln zurückschicken", aber die Erstattung durch die Krankenkasse soll trotzdem reduziert werden. Die Auslegung einer "Notlage" - einer von zwei Gründen, die nach französischem Gesetz vorliegen müssen, damit die Abtreibung in Frankreich überhaupt legal ist, geht ihr zu weit.

Und wie stehen die Dinge bei uns? Die AfD bleibt in ihren Positionen ausweislich des Parteiprogramms ziemlich unkonkret. Im Prinzip ist Abtreibung nicht so toll, soviel ist klar. Das Rezept dagegen ist die "Familie als Leitbild", es geht um "elterliche Betreuung". Über diesem Abschnitt steht: "Diskriminierung von Vollzeit-Müttern stoppen". Nur für den Fall, das irgendwer noch nicht kapiert hat, wer mit "elterlich" eigentlich gemeint ist.

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