Filmbranche:Fassadenfeminist im freien Fall

Filmbranche: Der Produzenten-Prototyp mit Monster-Händedruck und Megafon-Stimme, muss nun kleinlaut sagen, dass er "ein besserer Mensch" werden müsse.

Der Produzenten-Prototyp mit Monster-Händedruck und Megafon-Stimme, muss nun kleinlaut sagen, dass er "ein besserer Mensch" werden müsse.

(Foto: AFP)

Der Mogul Harvey Weinstein war ein Branchen-Idol - und hat jahrzehntelang Frauen belästigt. Dass ihm erst jetzt fristlos gekündigt wurde, zeigt, wie viel Hollywood noch aufarbeiten muss.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt dieses Foto, auf dem sieht Harvey Weinstein genau so aus, wie er gerne gesehen werden möchte: Der mächtige Filmproduzent protestiert in Parka und Pudelmütze für Frauenrechte. Im Januar war das. Kurz vor Amtsantritt des Grab-em-by-the-Pussy-Präsidenten gab Weinstein den Aktivisten. Nun ist durch Recherchen der New York Times bekannt geworden, was in Hollywood ohnehin jeder gewusst hat: Weinstein ist nur ein Fassadenfeminist, er hat offenbar mindestens acht Frauen Abfindungen bezahlt, damit sexuelle Belästigungen zumindest außerhalb von Los Angeles ein Geheimnis bleiben. Nun hat ihn seine Produktionsfirma mit sofortiger Wirkung entlassen.

Der Über-Feminist Weinstein (er finanzierte einen Lehrstuhl zu Ehren der Frauenrechtlerin Gloria Steinem, stiftete ein Stipendium für junge Regisseurinnen und produzierte den Dokumentarfilm "The Hunting Ground" über sexuelle Übergriffe), der Produzenten-Prototyp mit Monster-Händedruck und Megafon-Stimme, muss nun kleinlaut sagen, dass er "ein besserer Mensch" werden müsse.

Sie nennen ihn "König Midas" in Hollywood

Weinstein, 62, ist nicht in die Hollywood-Kaste hineingeboren worden. Sein Vater Max war Diamantenschleifer in New York, Mutter Miriam Hausfrau. Er organisierte nach dem Studium gemeinsam mit Bruder Bob und Kumpel Corky Burger erst einmal Rockkonzerte. 1979 gründete er die nach den Eltern benannte Filmfirma Miramax und produzierte auch nach dem Verkauf an Disney 14 Jahre später erfolgreiche Independent-Filme wie "The Crying Game", "Pulp Fiction" oder "The English Patient". 2005 verließ er das Unternehmen, gründete die Weinstein Company, erstellte lukrative und künstlerisch respektierte Werke wie "The King's Speech", "Django Unchained" und "Silver Linings Playbook". Sie nennen ihn "König Midas" in Hollywood - wegen des finanziellen Erfolgs und wegen der vielen goldenen Statuen.

Weinstein gilt als der Schlingel, der Oscar-Kampagnen (noch so ein Hollywood-Geheimnis) perfektioniert hat. Man darf niemanden bestechen, aber man kann Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio ("The Revenant") zum Papst schicken oder das Duo Ben Affleck/Matt Damon ("Good Will Hunting") als talentierte Drehbuchschreiber vermarkten. Man kann Erlöse aus Versteigerungen Organisationen für Frauenrechte überlassen. Harvey, der Aktivist, hat mit seinen Filmen mehr als 70 Oscars gewonnen.

Die Enthüllungen betreffen nicht nur den Produzenten selbst. Es geht um Hollywood an sich. Die Unterhaltungsbranche gibt sich gerne liberal und progressiv (Weinstein hat zahlreiche Demokraten unterstützt) - vergibt die wichtigsten Preise jedoch meist an hellhäutige Schauspieler und Regisseure. Männer erhalten in der Regel für den gleichen Job noch immer deutlich mehr als Frauen. Weinstein ist das Symbol dieser Branche. Nun sollte auch jeder außerhalb von Los Angeles wissen: Hollywood ist keineswegs so toll, wie es sich inszeniert.

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