Debatte um Schulsystem:Abgehängt in NRW

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NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hält im Wahlkampf am dreigliedrigen Schulsystem fest. Dafür erntet er sogar Kritik aus der eigenen Partei.

D. Graalmann und T. Schultz

Manchmal reicht ein Blatt Papier, um eine Revolte auszulösen. Als die von der CDU nominierten Bürgermeister der münsterländischen Gemeinden Horstmar und Schöppingen einen Blick auf die Schülerzahlen warfen, war klar: Lange würden ihre Schulen nicht mehr zu halten sein. Gerade einmal 16 Anmeldungen verbuchte die Hauptschule in Schöppingen für das Schuljahr 2005/06.

Ein Freund der Kinder und des traditionellen Schulsystems: Jürgen Rüttgers. (Foto: Foto: dpa)

Kein wolkiger Beschluss aus Düsseldorf

Und weil Bürgermeister Josef Niehoff eine ortsnahe Schule wichtiger war als irgendein wolkiger Beschluss im fernen Düsseldorf, machte er sich gemeinsam mit dem Kollegen der Nachbargemeinde daran, eine Gemeinschaftsschule zu planen: eine "Schule für alle", wie sie bisher nur linke Politiker gefordert hatten. Es war die pure Not, die die beiden konservativen Bürgermeister zum Umdenken bewegte.

Nordrhein-Westfalens Schulministerin Barbara Sommer (CDU) jedoch widersetzte sich lange den Plänen der renitenten Münsterländer. Am Ende stand ein Kompromiss: Horstmar und Schöppingen durften eine sogenannte Verbundschule gründen, in der die Schöppinger einen Realschulzweig dazubekamen und in Horstmar eine Zweigstelle des Steinfurter Gymnasiums eingerichtet wurde. Die Anmeldezahlen sind nun wieder ordentlich. Noch immer besuchen die Schüler unterschiedliche Schulformen, die Übergänge aber sind flexibler als früher.

Scheitern an der Realität

In dieser Woche räumte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ein, dass ein starres Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem an der Realität scheitern könnte. Gröhe, der seinen Heimatkreis Neuss im Bundestag vertritt, weicht damit die kompromisslose Linie seines Landesverbandes auf. Die Aufgabe, sich um starke wie schwache Schüler gleichermaßen zu kümmern, sagte Gröhe im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe, sei viel wichtiger als die Frage, "ob wir die Hauptschule erhalten oder stärker in Richtung Zweigliedrigkeit gehen".

Das ist ein kleiner Affront gegen den Ministerpräsidenten und CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers, der mit Vehemenz auf den Marktplätzen für den Erhalt der Hauptschule und für das gegliederte Schulsystem kämpft. Die Ideen von SPD, Grünen und Linken, die das frühe Aufteilen der Kinder nach der vierten Klasse kritisieren, weist Rüttgers schroff zurück.

"Sinnlose" Strukturdebatte

Er warnt vor einer "Einheitsschule" und einer Zerschlagung der Gymnasien. Auch mit der Forderung des Koalitionspartners FDP nach einer "regionalen Mittelschule", in der auf Wunsch der Kommunen Real- und Hauptschulen zusammengeführt werden, kann sich Rüttgers nicht anfreunden. Seine Schulministerin nennt die Strukturdebatte "sinnlos", und der Philologenverband, in dem überwiegend Gymnasiallehrer organisiert sind, springt ihr bei und warnt vor einem neuen "Schulkrieg".

Dabei hat man in Düsseldorf nicht nur Hamburg vor Augen, wo die Bürger im Sommer über die umkämpfte Schulreform des schwarz-grünen Senats abstimmen werden. In Nordrhein-Westfalen sitzt auch die Erinnerung an den Konflikt um die "kooperative Schule" tief im kollektiven Gedächtnis: 1978 scheiterte eine Schulreform der damaligen sozial-liberalen Koalition an einem Volksbegehren, das von der CDU unterstützt wurde. SPD und FDP wollten damals Haupt-, Realschulen und die Sekundarstufe I der Gymnasien zu einer "kooperativen Schule" zusammenführen. Die Gegner fürchteten um das gymnasiale Niveau. Der Parole "Stop Koop!" folgten mehr als 3,6 Millionen Bürger. Es war eine der herbesten Niederlagen in der Geschichte der nordrhein-westfälischen SPD.

Behutsame Reformen

SPD und Grüne wollen nun alles vermeiden, was erneut eine Massenmobilisierung auslösen könnte. Reformen, so beteuern sie im Wahlkampf, wollen sie behutsam betreiben, von unten aus den Kommunen heraus. Ihr Ziel ist eine Gemeinschaftsschule, die die Jugendlichen bis zur zehnten Klasse zusammenhält. In den Klassen 5 und 6 soll es einen gemeinsamen Unterricht geben. Ob von der siebten Klasse an integriert oder differenziert nach Abschlussziel unterrichtet wird, könnten dann Eltern, Schule und Schulträger entscheiden.

Außerdem soll der Elternwille beim Wechsel nach der Grundschule wieder Vorrang vor den Gutachten der Lehrer bekommen. So soll der Leistungsdruck von den Grundschülern genommen werden. Studien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass ein freier Elternwille den Einfluss der sozialen Herkunft auf die Schulkarriere verschärft. Denn vor allem Akademiker schicken ihr Kind auch dann aufs Gymnasium, wenn die Noten in der Grundschule eher mäßig sind.

Gesellschaft driftet auseinander

Die SPD wirft Rüttgers vor, seine Bildungspolitik habe die "soziale Spaltung" im Land vertieft. Sie beruft sich auf ein Gutachten des Bildungsforschers Klaus Klemm, in dem es heißt, Kinder aus sozial schwächeren Familien seien in Nordrhein-Westfalen "abgehängt wie eh und je". Allerdings bescheinigt das Gutachten der schwarz-gelben Landesregierung auch Erfolge. So würden Schüler besser gefördert, es gebe weniger Sitzenbleiber als zu Beginn der Regierungszeit. Insgesamt biete sich in Nordrhein-Westfalen aber das Bild einer Gesellschaft, "die weiter auseinanderdriftet".

© SZ vom 06.05.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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