Beschwerden von Arbeitslosen:Zu viel Freizeit macht krank

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Resignation und Apathie: Wer seinen Job verliert, hat zwar mehr Zeit, zahlt dafür aber einen hohen gesundheitlichen Preis - besonders Männer.

Thomas Öchsner

Wer wissen will, wie Menschen damit zurechtkommen, arbeitslos zu sein, stößt früher oder später auf eine 300 Meter lange Dorfstraße in Marienthal bei Wien. Vor mehr als 80 Jahren schloss dort eine Textilfabrik, ein ganzer Ort wurde damit praktisch arbeitslos. Drei Wissenschaftler der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle in Wien untersuchten damals unter anderem die Geschwindigkeit, mit der die Menschen die Dorfstraße entlang gingen. Dabei stellte sich heraus, dass arbeitslose Männer viel langsamer gehen als Menschen mit einer festen Stelle und ihre Zeit auf der Straße quasi totschlagen.

Studien belegen, dass Arbeitslose dreimal so viele Antidepressiva verschrieben bekommen, wie Beschäftigte. (Foto: Foto: iStock)

Tragisches Geschenk

Die Studie aus dem Jahr 1933 offenbarte zum ersten Mal, dass sich für die Menschen die unbegrenzte freie Zeit als "tragisches Geschenk" erwies. Die Arbeiter büßten die Fähigkeit ein, "die Zeit zu verwenden", heißt es in dem Klassiker der empirischen Sozialforschung "Die Arbeitslosen von Marienthal".

Der Verlust des Jobs führt aber nicht nur langfristig in Resignation und Apathie. Er kann auch krank machen oder Krankheiten verschlimmern. Neue, bislang unbeachtete Details enthüllte kürzlich der "Gesundheitsreport 2009" der Betriebskrankenkassen (BKK): Danach sind Erkrankungen, die normalerweise nur einen sehr geringen Anteil an den Arbeitsunfähigkeitstagen haben, bei Erwerbslosen stärker verbreitet. Dazu gehört zum Beispiel Krebs. In dem Gesundheitsreport heißt es dazu: Arbeitslose "verzeichneten mehr als doppelt so viele Krankheitstage durch Neubildungen (Krebserkrankungen) wie pflichtversicherte Beschäftigte."

Psychopharmaka und Antidepressiva

Laut dem Bericht werden fast ein Viertel der Krankheitstage bei Arbeitslosen mit einer psychischen Diagnose gemeldet. Im Vergleich zu den beschäftigten Mitgliedern bekommen die Jobsuchenden mehr als dreimal so viele Psychopharmaka und Antidepressiva verordnet. Ärzte schreiben Arbeitslose auch überdurchschnittlich häufig lange krank. Im Vergleich zu den beschäftigten BKK-Mitgliedern fielen bei den Empfängern von Arbeitslosengeld (ALG) I doppelt so viele Tage mit einer Arbeitsunfähigkeit an.

Der Anteil der Tage, an denen Krankengeld bezogen wurde, ist bei den ALG-I-Empfängern dreimal so hoch wie bei den Beschäftigten. Und ein Aufenthalt im Krankenhaus zieht sich bei Arbeitslosen länger hin: Sie müssen sich doppelt so oft einer Behandlung in der Klinik unterziehen wie Mitglieder mit einem festen Job und verbringen sogar die 2,8 fache Zeit im Krankenhaus.

Löst Arbeitslosigkeit Krebs aus?

Macht der Verlust des Jobs also psychisch krank? Löst Arbeitslosigkeit Krebs aus? Dies lässt der BKK-Bericht offen. "Anhand unserer Zahlen lässt sich das nicht klar erkennen. Für dieses Phänomen gibt es vermutlich keine monokausale Erklärung", sagt die Sozialwissenschaftlerin Janett Ließmann, Koautorin des Gesundheitsreports.

Sicher ist: Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, desto stärker die Belastungen. "Die finanziellen Ressourcen werden knapper, soziale Isolation und gesellschaftliche Stigmatisierung nehmen zu. Arbeitslosigkeit wird zum Stress eigener Art", heißt es in einer Analyse des DGB-Arbeitsmarktexperten Wilhelm Adamy.

Männer leiden besonders

Männer scheinen damit schlechter zurechtzukommen als Frauen. Nach den Erkenntnissen der BKK sind sie nicht nur länger krank. In dem Gesundheitsreport wird darauf hingewiesen, dass von sieben Männern, die ihre Stelle verloren haben, einer innerhalb der ersten sechs Monate nach Beginn der Arbeitslosigkeit unter einer Depression leide.

Matthias Stiehler, Vorstandsmitglied in der Gesellschaft für Mann und Gesundheit, führt dies auf zwei Faktoren zurück: Männer könnten sich mit dem Jobverlust nur schwer abfinden, weil sie sich "über das Schaffen, das Tun, ihre Arbeit definieren". Hinzu kommt ihr Umgang mit psychischen Problemen. Sie neigen dazu, "das eigene Unwohlsein mit sich allein auszumachen, ihre Probleme eher zu verstecken, als offen damit umzugehen und sich auch mal Hilflosigkeit zuzugestehen", sagt Stiehler. Nur wird dies nicht mehr so sichtbar, wie damals auf der Dorfstraße in Marienthal.

© SZ vom 29.01.2010/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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