Tipps für den Einkauf von Stevia:Wundersüße ohne Wunder

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Stevia ist eine schlichte Pflanze. Sie ist in der EU nicht zugelassen, sondern nur die aus ihr gewonnen Süßstoffe. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Man wähnt sich in einer Art gesundheitlichem Schlaraffenland: süßes Schlemmen ganz ohne Kalorien und Kariesgefahr. Stevia, die Pflanze aus Südamerika, soll es möglich machen. Mittlerweile gibt es den Süßstoff in jedem Supermarkt. Doch er hat mehr als einen Haken.

Berit Uhlmann

Mehr als 40.000 Artikel liegen in einem durchschnittlichen deutschen Supermarkt aus. Welche davon taugen etwas? Was nützt, was schadet der Gesundheit? Wie sinnvoll sind Bio-Nahrungsmittel und welche Werbefallen stellt die Lebensmittelindustrie dem Konsumenten? In regelmäßiger Folge bewerten wir hier weit verbreitete Lebensmittel für Sie. Teil 9: Stevia-Produkte.

Langsam verzogen sich die Mundwinkel in Richtung Schultern: "Ekelhaft", war der Kommentar einer Neunjährigen, die den Süßstoff aus der Stevia-Pflanze probierte und vielleicht ein bisschen viel erwischt hatte. "Schön leicht", "schmeckt irgendwie angebrannt", "als wenn man auf Alufolie beißt", "künstlich süß", lauten andere Einschätzungen. Stevia ist für die meisten Menschen gewöhnungsbedürftig. Nur: Lohnt sich die Gewöhnung?

Seit der Süßstoff Ende 2011 die EU-Zulassung erhielt, ist er in jedem Supermarkt erhältlich - pur oder als Zutat in Produkten wie Joghurt und Tee. Er ist bis zu 300 Mal süßer als Zucker, der Mensch aber verdaut ihn nicht, so dass der Stoff in der Kalorienbilanz nicht zu Buche schlägt. Auch die Kariesbakterien können mit der Süße nicht viel anfangen, die Zähne sind also nicht in Gefahr. Das klingt wunderbar.

Doch der Genuss hat Grenzen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit empfiehlt - stark vereinfacht ausgedrückt - nicht hemmungslos zuzugreifen. (Genau gesagt empfiehlt sie derzeit eine Tageshöchstdosis von vier Milligramm Stevioläquivalenten pro Kilogramm Körpergewicht, eine Formulierung, die nicht nur kompliziert, sondern auch im Alltag kaum praktikabel ist, da der Gehalt in der Regel auf den Lebensmitteln nicht angegeben wird). Bei einer normalen Ernährung wird dieser Rahmen nicht so leicht überschritten. Doch wer dauerhaft zu großen Mengen an Stevia-Produkten greift, geht bislang unkalkulierbare Risiken ein. Hans-Georg Joost vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIFE) sagt:"Man weiß noch nicht genug darüber, wie sich höhere Dosen auf längere Zeit auswirken."

Versuche an Ratten hatten Hinweise auf Unverträglichkeitsreaktionen gegeben. Die Tiere hatten deutlich an Gewicht verloren, wenn sie größere Mengen Steviolglykoside, wie die Süßstoffe genannt werden, zu sich nahmen. Inwieweit diese Beobachtungen auf den Menschen übertragen werden können, ist nicht klar, sagt Udo Kienle, Agrarwissenschaftler und Stevia-Experte an der Universität Hohenheim. Wer versehentlich einmal zu viel Süße erwischt, muss sich allerdings noch keine Sorgen machen. Die Höchstmengen sind für den lebenslangen Gebrauch berechnet.

Stevia klingt zunächst wie ein phantastisches Mittel, mit dem Süßmäuler abnehmen oder zumindest nicht zunehmen können. Doch leider ist es so einfach nicht. Zum einen ist Zucker in vielen Süßigkeiten nicht der alleinige Dickmacher. Zum anderen kann Stevia nicht allen Zucker ersetzen.

Beispiel Schokolade: "Mit Stevia-Süßstoff kann man maximal 20 Prozent der Kalorien einsparen", sagt Kienle. Denn der Großteil der Schoko-Kalorien stammt aus Fetten und dem Kakao.

Beispiel Gebäck: Zucker dient in Backwaren nicht nur zum Süßen, sondern liefert auch Volumen. Für eine Kastenform voll Rührteig kann man gut und gerne 250 Gramm Zucker verbrauchen. Diese Menge kann nicht einfach durch Stevia ersetzt werden, das wäre viel zu süß und die Höchstmengen würden weit überschritten. Also müssen andere Zutaten wie Mehl oder Butter das Volumen liefern. Die aber haben auch nicht gerade wenig Kalorien.

Beispiel Süßgetränke: Der Coca-Cola-Konzern hatte die Zulassung von Stevia wesentlich mit vorangetrieben. Doch wie auch andere Getränkehersteller experimentiert die Firma noch immer recht unschlüssig mit dem Süßstoff herum. Die bittere Stevia-Note bedroht den sorgfältig ausgetüftelten Eigengeschmack der Brausen. In Deutschland ist Fritz-Kola mit einer Stevia-Version vorangegangen. Laut Stiftung Warentest enthält sie nur halb so viel Kalorien wie das Original und schmeckt auf den ersten Schluck auch genauso süß. Danach protokollierten die Tester allerdings ein "stumpfes Mundgefühl".

Dagegen mogelt sich der Lipton-Eistee von Pepsi um das Geschmacksproblem herum. Obwohl er sich als besonders kalorienarm anpreist, ist seine Stevia-Menge so gering, dass Stiftung Warentest von einem "Marketing-Gag" spricht. Lediglich fünf Kilokalorien werden eingespart.

Ob man mit Stevia-Produkten wirklich abnehmen oder wenigstens Übergewicht vermeiden kann, ist also fraglich. Nachgewiesen ist dieser Effekt jedenfalls nicht, sagt Hans-Georg Joost.

Auch für Diabetiker sieht der Experte nur einen begrenzten Vorteil in den Stevia-Süßstoffen. Allenfalls bei Süßgetränken könnten Stevia-Produkte sinnvoll sein. "Herkömmliche Süßgetränke verursachen Blutzuckerspitzen, die Diabetiker nur schwer in den Griff bekommen." Stevia, aber auch andere Süßstoffe wie Aspartam könnten diese Spitzen vermeiden.

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Kaum eine Erwähnung des Stevias kommt ohne das Attribut "natürlich" oder "pflanzlich" aus. Die südamerikanische Planze suggeriert angenehmere Vorstellungen, als die üblichen synthetischen Süßstoffe dies vermögen. Doch die Stevia-Süße in den deutschen Läden ist keineswegs das Produkt des paraguayischen Kleinbauern, der unter der warmen Sonne eine jahrhundertelalte Tradition pflegt, um uns mit den wertvollen Blättern zu beglücken. Das Kraut war nach Angaben der Universität Hohenheim auch in Paraguay bis Ende der 90er Jahre wenig verbreitet.

In der EU ist die Pflanze zum Verzehr gar nicht zugelassen, sondern nur der Süßstoff, der in mehreren Schritten aus dem Gewächs extrahiert und anschließend gereinigt wird. "Dabei gehen etwa 90 Prozent der Inhaltsstoffe verloren", sagt Agrarwissenschaftler Kienle. So hochrein, wie der Süßstoff im Handel angeboten wird, kommt er in der Natur nicht vor. Das ist nichts Schlechtes, nur mit der vielgepriesenen Natürlichkeit hat es eben wenig zu tun.

Hinzu kommt: Die Herstellungsmethoden sind unter Umweltaspekten zweifelhaft. Hauptproduzent ist China. "Bei vielen Herstellern ist es fraglich, ob sie in Deutschland überhaupt eine Betriebsgenehmigung erhalten hätten", gibt Kienle zu bedenken. Die Chemikalien zur Herauslösung des Süßstoffes, etwa Aluminiumsalze, werden längst nicht immer umweltschonend entsorgt, sondern mitunter einfach auf den Acker gekippt.

Somit ist auch klar, warum es keine Bio-Steviasüßstoffe gibt. Selbst wenn die Pflanze unter streng ökologischen Methoden angebaut wird, ist ihre Verarbeitung ein so hochchemischer Prozess, dass die Bio-Qualität verloren geht. Anderslautende Behauptungen sind eine "Verhohnepipelung des Verbrauchers", kritisiert Kienle.

Doch warum ist die Pflanze nicht zugelassen? Steckt die Zuckerindustrie dahinter, wie so oft kolportiert wird? Die Erklärung ist simpler: Die Pflanze wurde noch nicht auf ihre Unbedenklichkeit überprüft. Bislang hat sich niemand die Mühe gemacht, die teuren toxikologischen Untersuchungen durchzuführen, die Voraussetzung für eine Zulassung sind.

Selbstanbau ist möglich

Für den Verbraucher heißt das: Wer sich die Pflanzenblätter dennoch besorgt - etwa in Reformhäusern, wo sie als Badezusätze angeboten werden, oder über Internethändler - verzehrt ein Produkt, dessen Wirkungen nicht klar sind.

Kienle rät auch zur Vorsicht, was den Selbstanbau der Pflanze angeht. Prinzipiell kann man Stevia rebaudiana im heimischen Garten oder in Kübeln in der Wohnung anpflanzen. "Sie ist zwar nicht winterhart, ansonsten aber pflegeleicht und kaum anfällig gegenüber Krankheiten und Schädlingen", sagt Christa Lankes, Gartenbauwissenschaftlerin an der Universität Bonn. Die Blätter können frisch oder getrocknet zum Süßen verwendet werden. Wer das Kraut nur privat anbaut und verzehrt, habe keine juristischen Probleme zu befürchten, so Lankes. Kienle weist dagegen darauf hin, dass die Pflanze mittlerweile mehrfach umgezüchtet wurde, es sind also viele unterschiedliche Stevia-Varianten im Umlauf. Welche Inhaltsstoffe sie enthalten, ist kaum untersucht.

Letztendlich sollte man nicht vergessen: Zucker ist ein physiologisch sinnloser Stoff. Der menschliche Körper braucht ihn nicht. Wer darangeht, sich an den Stevia-Geschmack zu gewöhnen, könnte auch einfach versuchen, sich mit weniger süßen Lebensmitteln anzufreunden - und beispielsweise den Durst mit Wasser statt zuckrigen Brausen zu löschen oder die meist viel zu süßen Fruchtjoghurts durch puren Joghurt zu ersetzen. Für das gelegentliche Dessert kann man durchaus auf Stevia zurückgreifen. Zwei Beispiel-Rezepte finden Sie auf der kommenden Seite.

Mittlerweile gibt es einige Kochbücher mit Stevia-Rezepten. Hier zwei Beispiele aus dem Buch: "Stevia - gesunde Süße selbst gemacht" von Peter, Monika und Thorsten Klock aus dem BLV-Buchverlag.

Erdbeer-Soufflé

Zutaten: 400 Gramm Erdbeeren, 4 Babybananen, 4 Eiweiß, 2 Messerspitzen Steviapulver, abgeriebene Schale einer halben unbehandelten Zitrone, 4 Eigelb, 30 Gramm Speisestärke, Butter oder Margarine zum Einfetten der Form.

Zubereitung: Das Obst pürieren. Eiweiß steif schlagen. Steviapulver, Zitronenschale, Eigelb und das Fruchtmark zufügen. Anschließend die Speisestärke vorsichtig unterziehen. Soufflèform einfetten, dann die Masse einfüllen. Die Form sollte nur zu drei Vierteln gefüllt sein, da Soufflès stark aufgehen. Im vorgezeizten Backofen zirka 30 Minuten bei 200 Grad backen. Während des Backens die Backofentür nicht öffnen. Soufflés fallen leicht zusammen, daher sollten sie sofort nach dem Backen serviert werden.

Apfeleis

Zutaten: 500 Gramm Äpfel (ohne Schale und Gehäuse gewogen), 250 ml Wasser, 2 EL Zitronensaft, 1 knapper gestrichener TL Steviapulver, 200 ml Milch, 400 Gramm Sahne, 2 frische Eigelb

Zubereitung: Die Äpfel in Spalten schneiden. Mit dem Wasser, Zitronensaft und Steviapulver weich kochen. Anschließend pürieren und abkühlen lassen. Die Milch mit 200 Gramm Sahne und dem Eigelb verquirlen und unter Rühren aufkochen lassen. Die Creme abkühlen lassen und mit dem Apfelpürree verrühren. Die verbliebenen 200 Gramm Sahne steif schlagen und ebenfalls unter die Masse heben. Anschließend in die Eismaschine geben und erkalten lassen.

Weiterführende Inforamtionen:

  • Wie dick Zucker macht
  • Was beim Abnehmen hilft
  • Stiftung Warentest zu Stevia
  • Alle Folgen dieser Lebensmittelserie.
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