Neu-Ulm:Dreijähriger Bub raucht im Kinderbett

Lesezeit: 2 min

  • In der Stadt Senden im Landkreis Neu-Ulm sorgt ein Facebook-Eintrag für Furore: Auf den mittlerweile gelöschten Fotos raucht ein dreijähriger Bub eine Zigarette.
  • Die Bilder soll die 37-jährige Babysitterin des Jungen angefertigt haben. Deren Lebensgefährte erpresste die Mutter anschließend mit den Fotos.
  • Die Polizei ermittelt. Der Lebensgefährte der Babysitterin hat sich in die Türkei abgesetzt.

Von Johann Osel, Neu-Ulm

Unzählige kleine Neuigkeiten aus dem Alltag der Bürger reihen sich auf der Facebook-Seite der Stadt Senden für gewöhnlich aneinander. Da präsentieren Autoliebhaber ihre Karren, Hobby-Fußballer posieren stolz im Tor, Restaurantbesitzer buhlen um Gäste, und Zugezogene sagen einfach hallo. Alles andere als harmlos war dagegen ein Beitrag vor einigen Wochen: Hochgeladen wurden Bilder, die ein rauchendes Baby im Kinderbett zeigten - ein dreijähriger Bub mit angezündeter Zigarette in der Hand und am Mund, nahezu "professionell" die Kippe zwischen Mittel- und Zeigefinger haltend und abaschend. So beschreibt die Polizei in Senden die mittlerweile von der Seite entfernten Aufnahmen. Die Beamten ermitteln wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung - sowie wegen Erpressung. Auch dieses Delikt spielt eine Rolle in der erschreckenden Causa, die in der zweitgrößten Stadt im Landkreis Neu-Ulm zu einem Aufregerthema geworden ist.

Nachdem die Stadt den Facebook-Eintrag bei der Polizei gemeldet hatte, konnten die Beamten die Familie ausfindig machen. Die Bilder soll demnach die 37-jährige Babysitterin des Jungen angefertigt haben, während die Mutter außer Haus war. Ins Netz gestellt wiederum wurden sie vom Lebensgefährten der Babysitterin. Nach bisherigen Ermittlungen und Aussagen der Mutter soll der Mann sie mit den Bildern erpresst haben. Die Mutter hat demnach anfangs Geld gezahlt. Als sie erneuten Forderungen nicht mehr nachkam, soll der Mann die Bilder veröffentlicht haben.

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Doch so einfach scheint der Fall nicht zu sein. "Die Ermittlungen sind noch komplett offen", sagt Thomas Merk, der Leiter der Polizeidienststelle Senden. So sei die genaue Beteiligung der Babysitterin nicht geklärt - ob diese also Teil eines Erpresser-Duos ist oder womöglich nur unbedarft einen Schnappschuss gemacht hat. Zudem steht nach wie vor die Mutter im Fokus der Ermittlungen; laut Merk gehe es darum, "wer dem Kind die Zigarette gegeben hat und wer wann etwas gewusst oder geduldet hat". Schwierigkeiten bereitet den Ermittlern vor allem der "geschlossene Personenkreis", der involviert ist - "eine Dreier-Konstellation ohne neutrale Zeugen". Die besagten Personen seien der Polizei als "problematische Klientel" bekannt. Der Lebensgefährte der Babysitterin hat sich in die Türkei abgesetzt, gegen ihn gibt es bereits weitere Haftbefehle. Inwiefern man mit den türkischen Behörden kooperieren kann, ist fraglich.

Die Polizei hatte rasch das Jugendamt verständigt und einen Arzt mit der Untersuchung des Dreijährigen beauftragt. Der Hausbesuch sollte zeigen, ob es sich um einen einzelnen Vorfall handelte, ob das Kind vielleicht nur versehentlich an die Zigarette gelangt war - oder ob es gezielt zum Rauchen gebracht wurde, womöglich gar häufiger. Die Neu-Ulmer Zeitung zitiert den Leiter des Jugendamtes, wonach es keine Hinweise dafür gibt, dass der Bub regelmäßig rauchte. In dem Bericht brachte der Chef das Amtes seine Bestürzung zum Ausdruck. In mehreren Jahrzehnten im Dienst habe er krasse Fälle gesehen, vernachlässigte Babys oder mit Likör abgefüllte Kinder - einen rauchenden Dreijährigen habe er "noch nie erlebt". Die ärztliche Untersuchung ergab: Offensichtlich hat der Bub keine gesundheitlichen Schäden davongetragen. Bisher. Wenn die Ermittlungen vorankommen - laut Polizei wohl in den nächsten Wochen - wird dies für die juristische Bewertung relevant sein. So bitter das klingt, es könnte um die Frage gehen: Liegt tatsächlich eine Körperverletzung vor?

Mediziner warnen vor den Folgen schon des Passivrauchens für Kinder. Fast jeder zweite Fall von plötzlichem Säuglingstod kann laut Deutscher Ärztezeitung dem Passivrauchen zugerechnet werden. Belastete Kinder schlafen zum Beispiel schlechter, haben öfter Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. Raucht ein Kind aktiv, könnten Nikotin und Giftstoffe theoretisch auch tödlich sein. In Senden wird über den Fall vielerorts diskutiert, berichtet Polizist Merk, "man kann sich das nicht im Entferntesten vorstellen". Erschüttert scheint gleichwohl nicht jeder zu sein - auf der Facebook-Seite hat vergangene Woche ein Scherzbold das Bild eines weiteren kleinen Buben eingestellt, mit Zigarette; allerdings nicht entflammt.

© SZ vom 13.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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