Staatsballett München:Bangen um Bayerns Tanz-Elite

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Bei den Winter-Matineen werden auch die jüngeren Akademie-Schüler auftreten, wie 2016 in der Vivaldi Suite. (Foto: Charles Tandy)
  • In München gibt es kein Internat für die jungen Tänzer und Tänzerinnen der Ballett-Akademie. Sie müssen bisher jeden Tag von ihren Eltern zum Training gefahren werden.
  • In anderen Sportarten wie Fußball sind Internate längst Standard.
  • Den Standort-Nachteil merkt man in München bereits jetzt. Die Akademie hofft auf Unterstützung aus der Politik.

Von Anna Günther, München

Magisch ist der Moment in der Münchner Staatsoper, wenn der Kronleuchter langsam in die Höhe steigt, die Lichter erlöschen und der Vorhang zur Seite saust. Wenn die Tänzer des Bayerischen Staatsballetts dann anmutig über die Bühne fliegen, ist die Härte dieses Knochenjobs für die Zuschauer nicht zu sehen. Dafür trainieren die Tänzer von frühester Kindheit an. Das Staatsballett hat weltweit Renommee.

Die Absolventen der Ballett-Akademie an der Hochschule für Musik und Theater München sind international gefragt. Also ist alles super? Offensichtlich nicht. Jan Broeckx, der Chef der Ballett-Akademie, und auch Ivan Liška, ehemaliger Direktor des Staatsballetts und Vorsitzender der Heinz-Bosl-Stiftung, fürchten, die besten Tanztalente Bayerns an andere Akademien zu verlieren und damit letztlich auch dem Staatsballett zu schaden.

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Anders als an den meisten großen Ballett-Akademien in Europa und Russland gibt es in Bayern bisher kein Internat für die jüngsten Ballerinen und Tänzer. "Das ist ein Riesenproblem für alle Schüler, die nicht in München oder Oberbayern leben", sagt Broeckx. Viele hochbegabte Tänzer werden derzeit jeden Tag nach der Schule von ihren Eltern nach München gefahren, wo sie stundenlang trainieren und dann wieder zurück nach Hause fahren. "Das ist sehr anstrengend für die Kinder, also schicken die Eltern sie in die Ballett-Internate nach Hamburg, Stuttgart, Berlin oder Zürich", sagt Broeckx.

Mit Bernd Redmann, dem Präsidenten der Hochschule für Musik und Theater, habe er schon bei Kunstminister Ludwig Spaenle und auch bei Ministerpräsident Horst Seehofer vorgesprochen. Bisher ohne Erfolg. Auch Spaenles Ministerium hält sich bedeckt.

An diesem Mittwoch sollte über das Internat im Hochschulausschuss des Landtages diskutiert werden. Der Ballett-Frotzelei seiner Fraktion zum Trotz brachte Michael Piazolo (Freie Wähler) einen entsprechenden Antrag ein. Die Bedingungen in München seien nicht mehr gut genug, um international mithalten zu können, sagt Piazolo. "Das ist wie beim Fußball, die jungen Talente müssen sehr früh ausgesucht und gefördert werden." Die großen Münchner Fußballvereine betreiben eigene Internate, aber auch in Berchtesgaden, Oberstdorf, Nürnberg und München gibt es je ein Internat, das den Eliteschulen des Sports angegliedert ist. Ballett wird dort nicht unterrichtet.

Mit der Rundumversorgung anderer Städte kann München nicht mithalten

Akademie-Chef Broeckx wünscht sich daher ein eigenes Internat mit 40 Plätzen für minderjährige Kinder. Die Ausbildung beginnt bei professionellen Balletttänzern spätestens mit elf Jahren. Die Zeit auf der Bühne ist kurz, die meisten müssen sich mit Mitte Dreißig neu orientieren. Mit 20 Jahren sollten Ballerinen ihre Ausbildung abgeschlossen und ein festes Engagement haben. Die Teenagerjahre sind daher entscheidend. Im Moment lernen 35 Mädchen und Buben zwischen acht und elf Jahren an der Akademie.

Broeckx geht es aber vor allem um die Tänzer der Mittelstufe, die zwischen zwölf und 15 Jahre alt sind. 30 Schüler trainieren sechs Tage in der Woche nach der Schule an der Münchner Wilhelmstraße, aber sie sind zu jung, um im Wohnheim der Heinz-Bosl-Stiftung zu leben. Also müssen sie teilweise weite Wege zurücklegen. "Aber wir wollen Hochbegabte aus ganz Bayern fördern, nicht nur Münchner Schüler", sagt Broeckx.

Mit 17 Jahren dürfen Ballett-Studenten im Wohnheim einziehen. 45 Plätze gibt es, 21 belegen derzeit Bachelor-Studenten der Akademie. Stiftungschef Liška würde auch jüngeren Eleven ein Zimmer anbieten, sagt er, aber diese müssten viel intensiver betreut werden. "Wir schaffen es alleine aber nicht, ein Betreuungsniveau wie etwa in Stuttgart zu erreichen." An der John-Cranko-Schule kümmern sich Erzieher um die Zehn- bis 16-Jährigen, helfen bei den Hausaufgaben, essen gemeinsam.

Der Standort-Nachteil sei schon zu spüren, sagen Liška und Broeckx. Wenn der Akademie-Chef bei internationalen Wettbewerben versucht, Talente nach Bayern zu holen, kann er mit der Rundumversorgung anderer Städte nicht mithalten. Und wenn Tänzer fürs Bachelorstudium an die Akademie kommen, müssten sie teilweise die Technik umlernen. Das koste Zeit. Auch Ballettdirektor Igor Zelensky ziehe die Ausbildung aus einem Guss vor, sagt Broeckx, "und wir sind doch der Brunnen fürs Bayerische Staatsballett". Sieben Studenten der Akademie sind Stipendiaten der Heinz-Bosl-Stiftung und bilden mit neun Volontären des Staatsballetts das Bayerische Jugendballett. Sie trainieren mit den Profis, setzen gemeinsame Projekte um, nehmen an Wettbewerben teil und treten bei der Matinee der Bosl-Stiftung auf.

Profitieren würde von der Nachwuchsförderung mit Internat wohl auch das Ballett am Staatstheater Nürnberg. Dort wurde 2015 eine Young Company geschaffen, um begabte junge Tänzer enger ans Haus zu binden. Die ersten beiden Mitglieder kommen aus Spanien und den USA.

© SZ vom 08.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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