Jugendfußball:Wie sich Bundesligisten die Talente abjagen

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Trikottausch: Nemanja Motika, von dem es heißt, er schieße Tore am Fließband, zog von der blau-weißen Hertha zum rot-weißen FC Bayern um.

(Foto: Jan-Philipp Burmann/Getty Images)
  • Der FC Bayern holt für sein Internat drei Spieler im Alter von 13 und 14 Jahren von Hertha BSC.
  • Der Umzug des Trios steht beispielhaft für den Trend, dass die Vereine immer heftiger um die besten Jugendspieler ringen.
  • Doch mit dem Bemühen um immer jüngere Fußballkinder wächst auch die Kritik.

Von Thomas Hummel

Der FC Bayern München hatte nie Skrupel, der nationalen Konkurrenz die besten Spieler wegzuholen. Das gehört zur DNA des Klubs, auch so festigt er seit Jahrzehnten seinen Status als Nummer eins im Land. Wenn zum Beispiel Hertha BSC einen echten Ausnahmekicker beschäftigt, können die Verantwortlichen vorsorglich das Telefon in die Hand nehmen - der Anruf aus München kommt bestimmt. Dennoch sind sie in Berlin jetzt aufrichtig konsterniert, denn in diesem Sommer haben sie eine neue Erfahrung machen müssen. Sie verlieren gleich drei Spieler an den FC Bayern. Spieler im Alter von 13 und 14 Jahren.

Torben Rhein, Nemanja Motika, beide 14, und der kleine Bruder Nikola Motika wechseln von Berlin nach München. "Das ist schon etwas Besonderes, dass drei Jungs in dem Alter alle zu einem Verein gehen", sagt Benjamin Weber. Der Leiter der Jugend-Akademie von Hertha BSC bezeichnet Torben Rhein als einen der Topspieler Deutschlands im Jahrgang 2003. "Und wenn einer wie Nemanja Motika über Jahre so viele Tore schießt, fällt das auf."

Der Umzug des Trios aus der Hauptstadt nach Süden steht beispielhaft für den Trend, dass die Vereine immer heftiger um die besten Jugendspieler ringen. Da die Klubs die Kicker erst ab dem 15. Geburtstag per Fördervertrag verbandsrechtlich fest an sich binden können, hat sich unterhalb dieser Marke ein regelrechter Transfermarkt entwickelt. Insider nennen die jüngeren Fußballer "Freiwild", Spielerberater wittern das Geschäft von morgen, Vereine buhlen mit Versprechungen.

Die drei Berliner Talente sind nur der Anfang

Dabei hatte Hertha versucht, den Wechsel des Trios zu verhindern. Der Klub lässt seine Jugendlichen unter 15 Jahren eine Art Ausbildungsvertrag unterschreiben, im Falle von Rhein und den Motikas wären diese Kontrakte für die neue Saison gültig gewesen. Die Berliner glauben, sie hätten bei einem Zivilgericht auf Einhaltung pochen können. Der FC Bayern bezweifelt zwar die Rechtmäßigkeit der Verträge, scheute aber wohl einen langen, öffentlichen Streit vor Gericht. Weshalb für das Trio eine Ablöse floss, die allerdings laut FC Bayern unter den kolportierten 200 000 Euro liege. Benjamin Weber sagt: "Man hat sich einvernehmlich verständigt."

Diese Wechsel sind zudem das erwartete Signal, dass der größte und finanzstärkste Klub des Landes voll in das Geschäft im Jugendfußball einsteigt. Der FC Bayern eröffnete kürzlich sein 70 Millionen Euro teures Leistungszentrum in Sichtweite seiner Arena im Norden der Stadt. Zentraler Bestandteil ist das Internat mit mehr als 30 Plätzen. Das will gefüllt sein. Weshalb dessen neuer Leiter, Jochen Sauer, erklärt: "Durch den FC-Bayern-Campus haben wir deutlich bessere Unterbringungs- und Betreuungsmöglichkeiten geschaffen. Auch deswegen können wir unser Augenmerk im Scouting auch mehr über die Region München und Bayern hinaus legen."

Die drei Berliner Jungs sind da nur der Anfang, für die U14 kommt zum Beispiel in Tom Ritzi Hülsmann ein Torwart aus Trier. Die Münchner fühlen sich von der Konkurrenz praktisch dazu genötigt, in diesen Markt früh einzusteigen, weil sie sonst bei den besten Talenten kaum noch eine Chance hätten. Der FC Bayern hatte in den vergangenen Jahren derart den Anschluss verloren, dass sich sogar Uli Hoeneß intensiv in die Belange des Jugendbereichs einarbeitete, bevor er wieder Präsident wurde.

Ist es ratsam, dass 13-Jährige die Stadt wechseln?

Vereine wie die TSG Hoffenheim, der VfL Wolfsburg, RB Leipzig oder Borussia Dortmund locken seit Jahren Jugendliche aus der Republik. Schafft einer den Sprung in die Bundesliga-Mannschaft, ist das gut fürs Image. In München leidet das sogenannte "Mia san mia"-Gefühl bedrohlich, wenn nicht bald ein gebürtiger Bayer wie Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm oder aber ein neuer Toni Kroos (wurde 2006 aus Rostock geholt) und David Alaba (kam 2008 aus Wien) ins Licht der ersten Mannschaft rücken. Die Fans fürchten einen Verlust an rot-weißer Folklore. Die absurd steigenden Transfersummen im Profibereich versprechen zudem enorme Renditen. Hertha BSC nimmt in diesem Jahr 17 Millionen Euro ein mit dem Transfer von John Anthony Brooks zum VfL Wolfsburg, dieser war als 14-Jähriger in den Klub gekommen.

Doch mit dem Bemühen um immer jüngere Fußballkinder wächst auch die Kritik. Ist es ratsam, dass 13-Jährige die Stadt wechseln? Obwohl selbst bei den augenscheinlich größten Talenten niemand präzise prognostizieren kann, ob sich da wirklich gerade ein Profi-Fußballer entwickelt? Was wird aus einem Enttäuschten, der den großen Sprung nicht schafft?

Benjamin Weber sagt, Hertha wolle seine Spieler möglichst lange im gewohnten Umfeld belassen und habe damit gute Erfahrungen gemacht. Außerdem wolle sich der Klub nicht "finanziell mit den Topvereinen messen. Wir können das gar nicht." In Berlin hält sich hartnäckig das Gerücht, einer der abgegebenen Spieler würde für sein Engagement in München monatlich einen höheren vierstelligen Betrag erhalten. Bei den anderen soll es etwas weniger sein. Der FC Bayern sagt dazu nichts, dementiert die Angaben aber auch nicht.

Andererseits kann niemand einer Familie samt Jung-Fußballer verbieten, die Stadt zu wechseln. Beim FC Bayern heißt es, die Eltern Rhein und Motika würden ihre Kinder begleiten, sie hätten sich selbst um Jobs und Wohnungen bemüht. Nach einer Übergangszeit im Internat ziehen die Jungen zu ihren Familien. Auch die Familie des Trierer Torwarts Hülsmann hat sich eine Wohnung in München besorgt. Mutter Hülsmann sagte dem Sender SWR, sie sei "weiß Gott keine ehrgeizige Fußballmutter", aber wenn sie zu dem Angebot des FC Bayern Nein sage, würde der Sohn ihr das nie verzeihen. So wechseln sich die Eltern Hülsmann nun ab: Eine Woche wohnt der Vater bei Tom Ritzi in München, eine Woche die Mutter. Die drei weiteren Kinder bleiben in Trier.

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