Georgensgmünd:Die wirre Welt der "Reichsbürger"

Georgensgmünd: Szene aus einem Youtube-Video, gedreht, als die Polizei den Angreifer von Georgensgmünd vor längerer Zeit besucht hat. Der gelbe Strich: Grenze seines Reichs.

Szene aus einem Youtube-Video, gedreht, als die Polizei den Angreifer von Georgensgmünd vor längerer Zeit besucht hat. Der gelbe Strich: Grenze seines Reichs.

(Foto: Youtube)
  • Wolfgang P. hat auf Polizisten geschossen, ein 32-jähriger Beamter erlag seinen Verletzungen. Nun wurde gegen P. Haftbefehl erlassen wegen Mordes.
  • P. versteht sich als "Reichsbürger", eine Gruppierung, die die Bundesrepublik in den heutigen Grenzen ablehnt. An vielen Orten in Bayern gab es bereits teils sehr kuriose Auseinandersetzungen.
  • Ein Polizeibeamter wurde als offenkundiger "Reichsbürger" suspendiert. Drei weitere Polizisten sollen bei der Gruppierung aktiv sein, gegen sie laufen interne Ermittlungen.
  • Laut Experten dürfe man die "Reichsbürger" nicht als Spinner abtun. Vielmehr gebe es zahlreiche Berührungspunkte mit extrem Rechten.

Von Matthias Köpf, Stefan Mayr, Olaf Przybilla und Uwe Ritzer, Georgensgmünd

Die "Erklärung unter Eid", die einen Einblick liefert in die verquaste Welt von Wolfgang P., ist von zwölf Zeugen mit Fingerabdruck unterzeichnet. Der sogenannte Reichsbürger P. hat sie auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht und unter anderen Umständen würde der handgeschriebene Text wohl Anlass bieten, einfach den Kopf zu schütteln über so viel krudes Gedankengut. Aber der Fall P. ist längst keiner mehr zum Schmunzeln.

Der Mann hat auf Polizisten geschossen und vier Beamte verletzt, einer erlag später seinen Verletzungen. Gegen den 49-jährigen P. wurde Haftbefehl erlassen wegen Mordes.

P. hat die Erklärung offenbar vor sechs Monaten auf seine Seite gestellt und mit einer Bemerkung flankiert: "Wer wissen will, warum, soll mich kontaktieren." Er sei "im Monat September im Jahre 1967 zu Roth geboren", in diesem Stil ist das Schriftstück gehalten. "Auf diesem Planeten, genannt Erde", sei er "körperlich, seelisch und geistig voll anwesend", immer noch "am Leben und weder auf hoher See, noch sonst irgendwo im Universum verschollen".

Die "Urkunde" sei laut verlesen worden in dem Kreis der zwölf "Zeugen". Diese unterzeichnen in Sperrschrift und mit Fingerabdruck, was ein Eingeweihter erklärt: "Namen haben nur juristische Personen und Sachen. Der Mensch hat einen Ruflaut, welcher in Sperrschrift und klein zu schreiben ist." Eine Facebook-Freundin, die mit den "Reichsbürgern" offenbar nichts am Hut hat, fragt daraufhin an: "Wie etz? Was ist denn bei dir los?"

Gute Frage. P. weigerte sich, Steuern zu zahlen, zu Jahresbeginn gab er seinen Personalausweis auf der Gemeinde Georgensgmünd ab, die "Urkunde" sollte wohl eine Art Ersatz sein für das Dokument. Zuletzt sammelte der arbeitslose P. ziemlich alles, was er zum Thema "Reichsbürger" im Netz finden konnte.

Und das war viel: Eine Frau, die sich als "Souveräner Mensch, Gründerin und Präsidentin des Staatenbundes Österreich" zu erkennen gibt, führt auf einem Videokanal ein Gespräch mit einem österreichischen Polizisten, der "Kenntnis darüber erlangt" haben will, dass die Landespolizeidirektion als Unternehmen geführt werde. Er sehe sich dadurch im rechtsfreien Raum und nicht mehr in der Lage, seinen Dienst zu verrichten. P. teilt das Gespräch, das in weiten Teilen wie eine Satire wirkt. Nur lachen kann seit Mittwoch keiner mehr über die Welt der "Reichsbürger". Und schon gar nicht darüber, dass sich Wolfgang P. mal als Trainer für "Gewaltprävention" angeboten hat.

reichsbürger

"Wir, lebendig beseelte Männer und Weiber aus Fleisch und Blut": "Reichsbürger" Wolfgang P. ließ sich seine "Urkunde" von Zeugen besiegeln.

(Foto: Facebook)

Wobei den Beamten im Kreis Roth das Lachen über P. schon lang vergangen war. Im Internet ist verstörend dokumentiert, wie P. mit ihnen umging. Man findet ein Video, in dem er in schwarzer Stoffhose und weißem Hemd vier Beamte vor seinem Grundstück in Georgensgmünd empfängt, das Areal ist mit gelber Farbe gekennzeichnet. Er lässt sich nicht mit Nachnamen ansprechen und schreit die Beamten an. "Wir reden jetzt erst mal darüber, dass Sie hier jetzt fremdes Staatsterritorium betreten." "Nein, da reden wir jetzt nicht drüber", antwortet ein Beamter. "Doch da reden wir drüber", herrscht P. zurück.

Ein Beamter in Zivil, wohl ein Gerichtsvollzieher, begleitet von zwei Polizisten, versucht das Wort zu ergreifen. Er fügt sich der Maßgabe von P., ihn nur mit Vornamen anzusprechen und sagt: "Herr Wolfgang, ich fordere Sie zur Zahlung Ihrer Steuer auf." Nein, brüllt der Mann mit der Glatze zurück, "allgemeine Rechtskunde." P. hebt zu Tiraden an, worauf die Beamten den Rückzug antreten. Die Stimme von P. überschlägt sich jetzt fast: "Ich frage Sie", kreischt er, "stehen Sie auf dem Boden des Grundgesetzes in der gültigen Fassung von 1949?" Immer wieder. Wer in die Gesichter der Beamten blickt, sieht vor allem: Fassungslosigkeit. Aber auch Angst.

Es gibt Gemeinsamkeiten mit Rechtsextremen und Antisemiten

Ein Irrer? Für die Rechtsextremismus-Forscherin Birgit Mair ist er das nicht. Auf Facebook ist P. mit einem ultrarechten Pegida-Mann aus Nürnberg befreundet, hat Mair beobachtet. Und sie finde dort auch antisemitische Andeutungen und Verschwörungstheorien über Juden. Auch habe P. eine Fotomontage geteilt, auf der Mitglieder der Bundesregierung und der Bundespräsident auf einer Anklagebank sitzen. Darüber stehe: "Schuldig - hängen!" "Mit so etwas", sagt sie, "sind wir bei den extrem Rechten angekommen." Man könne den Mann nicht als Spinner abtun.

Der Kreis Roth scheint obskure Reichsbürger schon länger anzuziehen. Jahrelang war Schwanstetten eine Art inoffizielle Hauptstadt von "Germanitien" - ein altes Gasthaus in der Ortsmitte, von einer Heilpraktikerin gekauft, war quasi das Regierungsgebäude. Neben Esoterikern und Verschwörungstheoretikern tummelten sich dort Neonazis, 2012 lud ein Holocaust-Leugner zur "Holocaust-Konferenz".

Schwanstetten spielte auch eine Rolle bei einem großen Betrugsverfahren, in dem es um Umwelttechnik ging. Im Februar 2014 verurteilte das Landgericht Nürnberg elf ehemalige Manager der Gesellschaft für Erneuerbare Energien (GFE) wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu Haftstrafen zwischen drei und sechseinhalb Jahren. Die Firma hatte für 62 Millionen Euro Blockheizkraftwerke mit angeblichem Wundermotor verscherbelt. Anlegern wurden Renditen von 30 Prozent versprochen, mehr als 1400 Leute fielen auf die Luftnummer rein.

Zu den elf Verurteilten gehörte auch Karl M. aus Schwanstetten, der Entwickler des mutmaßlichen Wundermotors. Er gehörte zum innersten Kreis des Schwanstettener "Germanitiens". Seine Lebensgefährtin war die Besitzerin des Gasthauses; beide waren Gründer des "Zentralrats Souveräner Bürger", ebenfalls eine "Reichsbürger"-Organisation.

Zwar scheint Roth besonders von Umtrieben der "Reichsbürger" getroffen zu sein. Auch anderswo in Bayern aber gab es Vorfälle. So hatte ein offenkundiger Reichsbürger im oberbayerischen Ainring sogar Seminare am Fortbildungsinstitut der Polizei gegeben. Der Beamte war schon 2015 aufgefallen, als er auf einem einschlägigen Portal vom Fortbestehen des Deutschen Reichs sprach. Suspendiert wurde er im Februar nach einem Vortrag bei der "Heimatgemeinde Chiemgau", die den "Reichsbürgern" ähnlich ist: Es amtiert eine Art Reichsbürgermeister, die Mitglieder der Gruppe wollten eine Weile nur Autokennzeichen mit den Buchstaben "Mens:ch" montieren.

Außer dem Hauptkommissar sollen noch drei weitere Polizisten bei den "Reichsbürgern" aktiv sein. Gegen sie laufen interne Ermittlungen: "Sobald wir begründete Zweifel haben, dass die Beamten in dem Gedankengut tief verwurzelt sind, werden wir sie aus dem Dienst entfernen", teilte das Innenministerium mit.

Im Amtsgericht Kaufbeuren war es am 20. Januar zu Übergriffen einer Gruppe von Menschen gekommen, die die Legitimität des Gerichts anzweifelten. In der Verhandlung erhob sich ein Mann und rief der Richterin zu: "Sie sind verhaftet!" Andere Zuhörer erhoben sich und redeten laut dazwischen. Die Angeklagte ging sogar hinter den Richtertisch, nahm die Strafakte und warf sie einem anderen Störer zu. Nach einigen Minuten verließen etwa 20 Personen den Saal und nahmen die Akte mit.

Die Angeklagte wurde in Abwesenheit wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig, wurde aber noch nicht vollstreckt: Die Frau ist untergetaucht. Im November hatte die Münchner Polizei einen Sympathisanten der "Reichsbürgerbewegung" aus der Sicherheitswacht entfernt. Und auch das Amtsgericht Augsburg berichtet von vermehrtem Auftreten renitenter Personen, vor allem die Gerichtsvollzieher seien betroffen.

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