Führungsstreit in der CSU:Der Tag, an dem Söder eine Stunde Ministerpräsident war

CSU-Vorstandssitzung

Der bayerische Finanzminister Markus Söder will endlich an die Spitze.

(Foto: dpa)

Fast sah sich Markus Söder schon am Ziel, Bayerns nächster Ministerpräsident zu werden. Doch Horst Seehofer hat das Heft des Handelns wieder in die Hand genommen.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Die Nacht war kurz, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Unterstützer von Markus Söder am Freitag mit dem Gefühl erwachen, sie hätte abends zuvor ein mittelgroßer Asteroid unvermittelt am Kopf getroffen. Der Donnerstag sollte der Tag der Entscheidung im CSU-Machtkampf sein, so hatten sich die Söder-Fans das ja ausgemalt. Und für einen langen Moment sah es auch genau danach aus: Horst Seehofer überlässt Söder das Amt des Ministerpräsidenten, das war die Eilmeldung, die um die Mittagszeit die CSU-Welt zum Beben brachte.

Es dauerte eine Weile, dann zerfiel die angeblich harte Nachricht zu Staub. "Ich hoffe sehr", sagt ein Söder-Mann am Tag danach, "dass der 23. November 2017 nicht als der Tag in Erinnerung bleibt, an dem Markus Söder für eine Stunde Ministerpräsident war."

Und dann war es zu spät

Die Geschichte dieses denkwürdigen Donnerstags ist eigentlich, dass die Söder-Leute den ganzen Tag über dachten, die Sache laufe für sie. Seehofer habe es eingesehen, endlich, er teile die Macht mit seinem ungeliebten Kronprinzen Söder. Sie waren sich so sicher. Und dann war es zu spät. Seehofer teilt noch gar nichts. Und wenn er es tut, Anfang Dezember laut neuem CSU-Zeitplan, dann eher nicht mit Söder.

Als Söder selbst erkennt, was da passiert ist, verlässt er die laufende Vorstandssitzung, es ist kurz nach halb zehn am Donnerstagabend. Er gibt dem "Heute-Journal" ein Interview, Live-Schalte ins Foyer der CSU-Zentrale, es ist ein fast verzweifelter Entlastungsangriff. Die Fassade der Harmonie wahren, die notdürftig seine krachende Niederlage verdeckt - das ist jetzt sein Ziel. Man habe einen "gemeinsamen Prozess" zur Klärung der Personalfragen "auf den Weg gebracht", beteuert er, am Ende werde ein "geschlossenes, einiges Ergebnis" stehen. Und dann noch kräftigen, glänzenden Lack drauf: "Es ist keine gespaltene Partei, es gibt auch keine Lager."

Marietta Slomka fragt also ungläubig nach: Keine Lager, ernsthaft?

Es ist der Augenblick, in dem plötzlich Riesentrümmer aus der Fassade brechen. Die Moderatorin Marietta Slomka kann das Lachen nicht zurückhalten. Sie weiß, alle wissen: Söders Divisionen haben seit dem CSU-Debakel bei der Bundestagswahl versucht, Seehofer wundzuschießen. Slomka fragt also ungläubig nach: Keine Lager, ernsthaft? Söder zögert, er ist ja sonst nie um ein schnelles Wort verlegen. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei. Dann sagt er: "Genau." Es ist so, als hätte Slomka gefragt, ob es zwischen dem FC Bayern und dem TSV 1860 München keine Rivalität gebe, und Söder hätte gesagt: "Genau."

Natürlich ist so ein Machtkampf keine öffentliche Großveranstaltung, zu der man Zuschauer ins Stadion bittet. Aber er ist öffentlich genug, dass man seine Existenz schwer leugnen kann. Söder versucht es trotzdem, er hat sich ja auch nie offen zu seinem offensichtlichen Ehrgeiz bekannt. Vielleicht ist es so, dass er und seine Leute sich an diesem Tag ein wenig verloren haben im Spiel aus Sein und Schein. Und dass der versierte Spieler Seehofer genau das ausgenutzt hat - jedoch, wie man später erfährt, erst auf Bitte interessierter Kräfte.

Söders Getreue verstanden den Donnerstag im Vorfeld als Tribunal in zwei Teilen: Mittags sollte der Wahlverlierer Seehofer in der Landtagsfraktion zum Rapport antreten, wo Söder sein Machtzentrum hat. Und abends dann noch im Vorstand. Die Abgeordneten in der Fraktion hatten sich auf eine fünfstündige Sitzung eingestellt. Finale Explosion, Aufstand gegen Seehofer: nicht unwahrscheinlich.

Seehofer spricht von "intensivem Kontakt" zu Söder

Anonymer CSU-Abgeordneter

"Edmund Stoiber, Theo Waigel, Barbara Stamm und Seehofer sind zusammen 295 Jahre alt, wie sollen die zusammen unsere Zukunft gestalten?"

Als Seehofer aus dem Landtag wieder abfährt, hat er bereits zwei wichtige Etappenziele erreicht. Erstens, er hat die vielen Tiefschläge der vergangenen Wochen weggesteckt, ohne selbst zurückzukeilen; mit seiner guten Laune hinterlässt er in der Fraktion ein Gefühl der Glückseligkeit. Und, zweitens, glauben nun viele in der CSU sogar an eine Annäherung der Intimfeinde. Seehofer spricht von "intensivem Kontakt" zu Söder, obwohl die beiden bis dahin nur ein paar SMS zur Terminabsprache ausgetauscht haben.

Noch mehr freut sich die Fraktion, dass Söder am Nachmittag zum Vieraugengespräch mit Seehofer in die Staatskanzlei gebeten wird. Ein vertraulicher Termin, niemand dürfte davon wissen. Doch die Nachricht sickert nicht nur durch, sondern wird von Seehofer auch noch bestätigt. "Die Atmosphäre war ernsthaft und gut", sagt er. Und dass es nicht das letzte Treffen gewesen sein werde. Erst viel später werden Söders Leute schäumen, weil ihnen dämmert, dass ihr Chef unfreiwillig eine Hauptrolle in einem großen Schauspiel übernommen haben könnte.

Was hat Seehofer nun wirklich zur Kursänderung getrieben?

Am Nachmittag aber bestaunt die Partei noch ein hübsches Stimmungsbild wie einen van Gogh im Museum. Auch wenn die Eilmeldung über eine Einigung Seehofers und Söders sich als falsch herausgestellt hat: Auf einmal scheint die Bitterkeit aus dem Streit der Alphatiere gewichen zu sein. Gibt der Ältere nach? Überlässt er die Staatskanzlei dem Jüngeren? Für einige Abgeordnete ist das nur noch eine Frage von Stunden oder Tagen. Seehofers Leute denken zu diesem Zeitpunkt wohl schon in ganz anderen Kategorien: Man ist nett zueinander, weil niemand Seehofer hinterher vorwerfen können soll, er wolle Söder aus persönlichen Motiven verhindern.

Vor der Abfahrt aus dem Landtag lehnt Seehofer lässig an der Tür seiner Dienstlimousine, um ihn herum eine Traube Journalisten. Er liege genau im Zeitplan, sagt er, alles durchgetaktet, wunderbar. Eineinhalb Stunden hat die Fraktionssitzung gedauert. Genau im Zeitplan? Das verwundert all jene Abgeordneten, die sich fünf Stunden für den großen Showdown reserviert hatten. Egal, alle sind irgendwie zufrieden. Aber nur einer ist nicht im Geringsten überrascht: Seehofer sagt, jetzt könne er all seine Einzelgespräche führen. Genau, wie er sich das vorgenommen habe.

Der gefürchtetste Schützenverein der CSU vergisst einfach, die Waffen auszupacken.

Nach dem Termin mit Söder fährt Seehofer in die Parteizentrale, es wartet sein engster Führungszirkel. Und nun ändert sich die ursprünglich vorgesehene Choreografie. Seehofer hatte zuvor wohl wirklich im Gespräch mit Vertrauten gesagt: Ich trete bei der Landtagswahl 2018 nicht mehr an. Und es gab wohl wirklich den Plan, dass er diesen Entschluss im Vorstand verkündet. "Heute Abend wird alles klar sein." Hatte er das nicht mittags noch gesagt? Und was, bitteschön, hat ihn umdenken lassen?

In der Vorstandssitzung sagt Seehofer zu seiner Zukunft einfach nichts. Die Söder-Freunde warten und warten, kauen immer nervöser an ihrem Salat. Seehofer redet eiskalt über Parteifinanzen. Und über eine Art Rat der Weisen mit Edmund Stoiber, Theo Waigel und Barbara Stamm, der ihm in Personalfragen beistehen soll. Waigel befindet sich außerhalb Bayerns, er erfährt am Telefon davon. Vielleicht, weil sie Seehofers Chuzpe kaum fassen können, verpassen die Söderianer den Moment, in dem sie noch Kontra geben könnten. Der gefürchtetste Schützenverein der CSU vergisst, die Waffen auszupacken. Dabei soll in der Staatskanzlei angeblich bereits ein vorgefertigtes Rückzugsschreiben Seehofers deponiert gewesen sein, wird in der Partei behauptet. Doch behauptet wird derzeit viel in der CSU. Wer will da seine Gegner in Sicherheit wiegen? Seehofer hat immer gesagt, er wolle bis zum Ende seiner Amtszeit 2018 Ministerpräsident bleiben. Aber was hat ihn nun wirklich getrieben? Später Nachmittag, vierter Stock der CSU-Zentrale. Seehofer bespricht sich mit den Generalsekretären Andreas Scheuer und Markus Blume, Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und weiteren Vertrauten. Wer Seehofer davon überzeugt, seinen Fahrplan zu ändern, lässt sich nicht sicher sagen. Vielleicht einer seiner Parteivizes: Manfred Weber, der Europapolitiker, den viele in der CSU seiner sachlichen Art wegen nur "Anti-Söder" nennen. Oder Barbara Stamm, die Landtagspräsidentin, die Söder auch wegen dessen scharfer Positionen in der Flüchtlingspolitik schon lange nicht mehr so nahe steht wie früher.

"Es hat sich was verändert in Bayern"

Klar ist nur: Söders Gegner halten es für einen Fehler, würde Seehofer jetzt schon erklären, dass er 2018 als Ministerpräsident geht. Sie befürchten einen Flächenbrand in der CSU. Sie argwöhnen, Söder werde von der nächsten Minute an Seehofers vorzeitige Ablösung vielleicht sogar noch in diesem Jahr betreiben. Und überhaupt: an einer so frühen Entscheidung zugunsten Söders als Ministerpräsident, daran haben sie nicht das geringste Interesse.

Also bleibt die simple Schlussfolgerung: Warum sollte Seehofer im Parteivorstand, seiner Machtbasis, seinen Teilrückzug erklären, wo er doch vor der Fraktion, Söders Machtbasis, so glimpflich davongekommen war? Dafür gebe es keine Notwendigkeit, finden Seehofers Berater. Auch er sieht das offenbar so. In der Pressekonferenz kurz vor Mitternacht sagt er: Er habe sich guten Ratschlägen gebeugt. Das könne doch keiner für Schwäche halten.

Und doch fehlt es Seehofer an der Stärke, um weiterzumachen wie bisher. "Es hat sich was verändert in Bayern", sagt ein Getreuer. Das Wahldebakel, die Verhandlungen in Berlin, die ständigen Attacken. Seehofer ist nun kein Streiter in eigener Sache mehr. Er streitet für andere, von denen er glaubt, sie könnten die Partei ohne Söder besser befrieden als mit ihm. Kämpft er für einen Parteichef Weber, falls er selbst nicht mehr antritt? Für einen Ministerpräsidenten Joachim Herrmann? Oder muss er am Ende doch teilen mit Söder? Sicher ist nur, was ein führender CSU-Mann sagt: "Jetzt geht es erst richtig los."

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