Bayerischer Wald:Mit Sattelschleppern über den Forstweg

Staatsforsten steigern Gewinn

Ein Harvester erntet in Minutenschnelle ganze Bäume und macht sie transportbereit. Für diese Maschinen werden Schneisen in den Wald geschlagen.

(Foto: dpa)

Immer mehr Forststraßen durchziehen Bayerns Wälder. Das sei notwendig, sagt Forstminister Brunner. Doch Kritiker fragen: Warum muss sich der Wald der Technik anpassen?

Von Christian Sebald

Haymo Richter aus Bad Kötzting kennt den Bayerischen Wald wie nur wenige andere. Ob Osser, Arber, Falkenstein, Rachel oder Lusen - der 79-Jährige hat alle Gipfel in der Region bestiegen, die meisten sogar viele Male. Auch die Tallandschaften hat er oft durchstreift. Jetzt ist Richter der Kragen geplatzt.

Der Grund sind die immer größeren und breiteren Straßen, welche die Staatsforsten, aber auch private Waldbesitzer, in die Wälder seiner Heimat schlagen. "Diesen Herbst haben wir wieder Wanderwege erlebt, die von den riesigen Rädern der Forstmaschinen zerstört worden sind", sagt er zornig. "Warum lassen die Behörden so etwas zu?"

Er lässt seinem Verdruss freien Lauf

Richters Worte haben Gewicht. Seit Jahrzehnten engagiert sich der Kötztinger im Bayerischen-Wald-Verein. Seit 25 Jahren ist er außerdem der verantwortliche Redakteur der Vereinszeitschrift Der Bayerwald. Dazu muss man wissen, dass der Bayerwald-Verein mit seinen 60 Sektionen und gut 20 000 Mitgliedern der Heimatverein schlechthin ist in der Region. Die Vereinszeitschrift gilt vielen als sensibler Barometer für die Stimmung unter den Alteingesessenen. Wenn Richter also etwas im Bayerwald aufgreift, brennt es vielen auf den Nägeln.

In der aktuellen Nummer hat Richter seinem Verdruss über den Forststraßen-Bau freien Lauf gelassen. "Die Rückewege in den Forsten verursachen große Schäden, über Jahre hinweg sind die Schäden sichtbar", schreibt er. "Ohne Rücksicht auf den Jungwuchs wird alles niedergefahren."

Es ist tatsächlich ein gigantisches Netz aus Straßen und Wegen, das die Wälder in Bayern durchzieht - gleich ob in den Alpen, im Fichtelgebirge oder im Bayerischen Wald. Gesicherte Zahlen gibt es indes nur für die Staatswälder. Sie machen gerade mal ein Drittel der Wälder im Freistaat aus und werden von den Bayerischen Staatsforsten bewirtschaftet. Die anderen beiden Drittel sind in Privatbesitz oder gehören Kommunen, der Kirche und anderen Institutionen.

Nach einer Statistik von 2009 summieren sich allein die Forststraßen im Staatswald auf 22 600 Kilometer Länge. Zum Vergleich: Wenn man alle Autobahnen, Bundesstraßen und Staatsstraßen in Bayern zusammenzählt, kommt man auf 22 400 Straßenkilometer - das sind 200 Kilometer weniger. Dabei ist es mit den Forststraßen ja nicht getan im Wald. Hinzukommen die oft nur etwas schmäleren Forstwege, im Staatswald addieren sie sich auf weitere 11 800 Kilometer. Und dann sind da die Rückegassen. Das sind einfache Schneisen, auf denen die Waldarbeiter mit schwerem Gerät in den Wald hineinfahren. Die Rückegassen belaufen sich im Staatswald auf ungeheure 150 000 Kilometer Länge.

Jedes Jahr kommen neue Wege hinzu, die Kosten sind immens

Wer nun aber meint, damit gibt es ausreichend Straßen, Wege und Gassen in Bayerns Wäldern, der täuscht sich. Es kommen jedes Jahr neue hinzu. Im Staatswald sind es wenigstens 20 Straßenkilometer pro Jahr, im Privatwald zwischen 120 und 130 Kilometer. Die Kosten sind immens. Allein die Staatsforsten investieren ungefähr 13 Millionen Euro im Jahr in den Ausbau ihres Wegenetzes. Wenn ein Waldbauer eine neue Forststraße durch seinen Wald schlägt, übernimmt der Freistaat bis zu 90 Prozent der Investition. Bei Baukosten von 80 000 bis 120 000 Euro je Kilometer kommen da noch einmal etliche Millionen Euro pro Jahr zusammen.

Natürlich kennt Forstminister Helmut Brunner (CSU) den Frust nur zu gut, den Bayerwald-Redakteur Richter und viele andere im Bayerischen Wald schieben. Denn Brunner stammt nicht nur aus der Region. Er ist selbst Waldbauer und noch dazu Präsident des Bayerwald-Vereins. Als Forstminister aber rechtfertigt er den außerordentlichen Aufwand, den der Freistaat mit den Forststraßen treibt, gemäß dem Slogan: "Ein Wald ohne Weg ist wie ein Haus ohne Tür."

Aus Brunners Sicht sind die zigtausend Kilometer Forststraßen und -wege unverzichtbar für die nachhaltige Bewirtschaftung. "Nur mit guten Wegen und Straßen lassen sich die Wälder schonend nutzen und pflegen", sagt er, "nur so kann das Holz vernünftig bereitgestellt werden." Auch gegen Schadensfälle, sei es der Borkenkäfer oder ein Feuer, könne man nur bestehen, wenn die letzten Winkel der Wälder schnell erreichbar seien.

Land- und Forstwirtschaft sind hochtechnisiert - die alten Wege zu klein

Doch es gibt noch einen anderen Grund für den massiven Ausbau. Und der passt nicht wirklich zum naturfreundlichen Image der Forstwirtschaft. Die Zeiten, in denen die Arbeit im Wald Handarbeit war, sind vorbei. Wie die Landwirtschaft ist die Forstwirtschaft heute hoch technisiert und industrialisiert. Sogenannte Harvester sind Standard. Die gigantischen Maschinen mit ihren oft mehreren beweglichen Achsen fällen selbst mächtigste Fichten im Minutentakt und legen den Stamm millimetergenau zerschnitten zum Abtransport auf andere Spezialfahrzeuge ab.

Für so eine Forstwirtschaft taugen die alten, zwei Meter schmalen und unbefestigten Wege nicht, die Jahrhunderte lang die Wälder durchzogen. Nun müssen es vier Meter breite Straßen sein. Sie müssen 40 Tonnen schwere Lastwagen aushalten und für Sattelschlepper taugliche Kurvenradien haben. Bayerwald-Redakteur Richter hat kein Verständnis für so eine Forstwirtschaft. "Warum müssen sie den Wald der Technik anpassen?", fragt er. "Warum passen sie nicht die Technik dem Wald an?

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