US-Wahlen:Die Orakel haben versagt

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So gut wie alle Demoskopen und Medien sagten einen klaren Sieg Hillary Clintons voraus. Wie konnten sie so katastrophal irren?

Von Christoph Behrens, München

Alle waren sie sich einig, dass Hillary Clinton das Rennen machen würde. Die New York Times zeigte ihren Lesern noch am Dienstagabend ein Schaubild, wonach die Demokratin eine 84-prozentige Chance auf den Sieg habe. Die Onlinezeitung Huffington Post rechnete Clinton sogar eine Wahrscheinlichkeit von 98,2 Prozent auf die Präsidentschaft aus. So gut wie alle Medienhäuser, Meinungsforschungsinstitute und Statistiker sahen Trump verlieren, mit einem Abstand von bis zu fünf Prozentpunkten. Wie lässt sich diese beispiellose Fehleinschätzung erklären?

Für Demoskopen war 2016 alles andere als ein normales Jahr. Erst der Brexit, bei dem im Vorfeld ebenfalls fälschlich ein "Remain" vorhergesagt wurde, nun die US-Wahl. "Beide Kandidaten waren außergewöhnlich unbeliebt, die Wähler haben sich deshalb sehr spät für einen von ihnen entschieden", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Christina Holtz-Bacha von der Universität Erlangen-Nürnberg. Diese "Spätentscheider" in Umfragen richtig einzuschätzen sei sehr schwierig, bis zuletzt kämpften die Meinungsforscher daher mit einer hohen Unsicherheit. Die wurde noch dadurch verstärkt, dass die Befragten wohl nicht immer die Wahrheit sagten. "Populisten zu unterstützen gilt als etwas unfein", sagt Holtz-Bacha. "Viele mögen das nicht so recht zugeben." Diese Verzerrung zwischen Erhebung und Ergebnis könnte auch auf Europa zukommen, vermutet sie. Zudem habe Clinton stark auf Minderheiten gesetzt, die dann aber nicht in so großem Maße an die Urne gingen wie erhofft. Dagegen "hat man die Wahlbeteiligung der enttäuschten, gegen das Establishment protestierenden weißen unteren Mittelschicht, vor allem Männer, komplett unterschätzt", sagt Peter Filzmaier, Professor für Politische Kommunikation an der Universität Graz.

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Dabei gab es durchaus warnende Stimmen unter US-Wahlexperten. "Die öffentlichen Umfragen zeigen ein enges Rennen", schrieb Statistik-Experte Nate Silver kurz vor der Wahl auf der Nachrichtenseite fivethirtyeight.com. Selbst ein landesweiter Vorsprung von drei Prozentpunkten bedeute nicht viel, so Silver, denn schon die Fehlerquote in Umfragen liege häufig bei drei Prozent. Auch sagen landesweite Zahlen wenig über die Situation in den umkämpften Swing States aus. "Die Umfragen selbst waren nicht so falsch, aber viele Medien haben sie falsch interpretiert", sagt der Politologe Eric Linhart von der TU Chemnitz. "Man hätte viel stärker auf die Schlüsselstaaten schauen müssen."

Die "LA Times" sagte das Ergebnis korrekt voraus - und wurde dafür angefeindet

Einen klaren Sieg Trumps sah hingegen so gut wie niemand kommen. Außer etwa die Los Angeles Times, die mit Wissenschaftlern der University of Southern California Dornsife zusammenarbeitete. Während die meisten Statistiker auf Telefoninterviews setzten, also zufallsbasiert Wähler anriefen, gingen die Kalifornier einen mühsameren Weg. Sie stellten eine repräsentative Stichprobe aus 3000 Personen in den USA zusammen und befragten diese über Monate hinweg nach ihrer politischen Einstellung, aber auch nach vergangenen Wahlentscheidungen und persönlichen Werten. Anstatt das Ergebnis der LA Times ernst zu nehmen, feindeten andere Medien das Blatt an. Die Methode sei voreingenommen und "zu günstig für Trump", urteilte die Konkurrenz.

Jetzt immerhin üben sich manche in Selbstkritik. "Die Fehlzündung Dienstagnacht war mehr als ein Versagen der Umfragen", schreibt die New York Times. "Wir haben versagt, die kochende Wut eines großen Teils der amerikanischen Wähler einzufangen." Offenbar hätten die Medien ein völlig falsches Bild der politischen Realität gezeichnet, Journalisten die Umfragen nicht hinterfragt, solange ihr eigenes Bauchgefühl damit übereinstimmte.

"Wir haben wahrscheinlich auf die falschen Dinge geschaut", sagt Christoph Frei, Politikwissenschaftler an der Universität St. Gallen. Frei ist überzeugt, dass Forscher künftig verstärkt mit Methoden der Sozialpsychologie arbeiten müssen, um bessere Vorhersagen zu treffen. Anstatt etwa abzufragen, wie Wähler zu einzelnen Sätzen von Politikern stehen, müsse man "unterschwellige Ängste" sichtbar machen, etwa zur Globalisierung oder zur Einwanderung. "Trump hat es verstanden, genau diese Ängste aufzunehmen."

Doch kommen Demoskopen auch in Europa immer schwieriger an bestimmte Zielgruppen heran. So könne es vorkommen, "dass Meinungsforscher vor Wahllokalen angepöbelt werden, als Teil der Lügenpresse", sagt Manfred Güllner, Chef von Forsa. "Viele Leute lassen sich gar nicht mehr befragen."

© SZ vom 10.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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