Bisher galt auch für Populisten der Satz: Man muss wissen, wie weit man gehen kann. Es gab Grenzen des Sagbaren, auch für Populisten. Trump hat diese Grenzen gesprengt - und er war erfolgreich damit. Wenn Trump seinen Amtseid auf die US-Verfassung leistet, müsste diese - könnte sie die Farbe wechseln - rot werden vor Scham. Trump hat diese Verfassung mit und in seinem Wahlkampf wieder und wieder gebrochen. Schon bevor er als Präsident nun die Möglichkeit hat, Verfassungsrichter zu ernennen, hat er über die Verfassung gerichtet. Sein Wahlkampf hat gezeigt, dass sie ihm nichts bedeutet: Er hat die Rechte der Minderheiten verhöhnt und die Religionsfreiheit missachtet. Er hat Frauen verächtlich gemacht und seine politische Gegnerin bedroht.
Der Trump'sche Populismus, der nun weltweit giftig strahlt, ist ein anderer Populismus als der, der in Deutschland lange als solcher bezeichnet wurde; da galten und gelten ja Politiker wie Roland Koch oder Oskar Lafontaine oder Peter Gauweiler als Populisten. Aber diese Populisten wussten und wissen ganz gut: Wer stets nur simplifiziert, wird selbst zum Simpel. In den USA ist damit soeben ein Simpel, ein Aggressivpopulist, auf diese Weise Präsident geworden.
Auch der alte Populismus, wie man ihn in Deutschland kannte, war laut und aufmerksamkeitsheischend. Auch er hat, wie der neue Populismus, mit Ängsten gearbeitet - vor dem Terrorismus, vor der Kriminalität, vor Ausländern; auch der alte Populismus hat auf Instinkte gesetzt, er hat vergröbert, er hat das Angstmachende vergrößert und potenziert. So war das 1999 in Hessen, als der damalige CDU-Politiker Roland Koch in allen Fußgängerzonen Klapptische aufstellen ließ, auf denen man gegen Ausländer unterschreiben konnte - und damit die Landtagswahl gewann und Ministerpräsident wurde. Aber solche Erfolge, so war das Urteil hierzulande, sind nicht wiederholbar. Als Koch die Wiederholung versuchen wollte bei der Landtagswahl von 2008 mit einem Wahlkampf, in dem er die Jugendgewalt infam aufblies, unterlag er.
Politik, so heißt es nach dem Soziologen Max Weber, ist das Bohren harter Bretter. Der alte, der gewohnte Populismus war das Trommeln auf diesen Brettern. Diese Trommelei war oft aggressiv, und sie hatte und hat bisweilen einen rechtsradikalen Rhythmus - etwa dann, wenn es gegen Flüchtlinge ging und geht. Der neue Populismus belässt es nicht bei der Trommelei auf den harten Brettern. Er wirft mit den harten Brettern. Er wirft sie gegen Minderheiten, er erschlägt damit Grundrechte und Grundwerte, er drischt damit auf "das System" ein, auf die Demokratie, auf den Rechtsstaat, auf die Gewaltenteilung und auf den politischen Gegner, den er zum Feind erklärt, und dem er Verhaftung und Gefängnis androht.
Der neue aggressive Populismus ist die Zerstörung der politischen Kultur, sie ist die Entartung der politischen Auseinandersetzung. Zu den Lehren aus finsterer Zeit gehört das "Nie wieder". Wer die hasserfüllte Sprache hört, mit denen die für den Staat verantwortlichen Personen von Demonstranten auch in Deutschland als "Volksverräter" tituliert werden, der stellt besorgt fest: "Schon wieder".
Verachtung der Humanitas
Sein Wahlerfolg macht Trump zu einer globalen Leitfigur des neuen Aggressivpopulismus. Sein Rassismus, sein Nationalismus, seine Xenophobie und seine Verfassungsverachtung sind aufreizend und ansteckend. Der Erfolg, den Trump damit gehabt hat, stachelt Nationalisten und Rassisten auch in Europa an - dazu, jede Zurückhaltung fallen zu lassen, bisherige Grenzen des Anstands zu durchbrechen und den Tabubruch als politisches Rezept zu verkaufen. Trump hat die politische Feinderklärung in die Demokratie getragen. Das ist ein tödliches Gift. Bei Trump hat sich gezeigt, dass der mediale und digitale Tanz, der um seine Tabubrüche aufgeführt wird, dem Tabubrecher letztendlich hilft - weil die Dauerpräsenz, die er damit genießt, ihn wie mit einem Panzer umgibt.
Die europäischen Rechtspopulisten sollte man mit den Trumpisten nicht in einen Topf werfen. Aber gemeinsam ist ihnen die Missachtung und Verachtung der Humanitas. Es ist eine große Aufgabe, den von Globalisierungsängsten und gesellschaftlichen Umbrüchen verunsicherten Menschen zu zeigen, dass Gift ihre Lage nicht besser, sondern schlechter macht. Man sollte sich in Deutschland nicht darauf verlassen, das die Deutschen weniger anfällig sind für populistische Simplizitäten als die Amerikaner - auch wenn hierzulande politische Stabilität und politische Erfahrung höher geachtet werden mögen als in den USA. Es ist eine große, es ist ein gewaltige, aber bitter notwendige Aufgabe, die soziale Demokratie groß und den Aggressivpopulismus damit wieder klein zu machen.