Munster:Chemiewaffenreste in der Heide: Sanierung kann Jahre dauern

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Munster (dpa/lni) - "Kommt schnell", ruft ein Mann mit Schutzanzug und Gasmaske an dem Loch, um das sich hier alles dreht. Ein Arbeitsunfall mit Chemiewaffen wird geübt, am Boden liegt nur eine Puppe. Eilig wird sie zur Entgiftung in eine Dekontaminationsschleuse gebracht, aus dem Overall befreit und in einen Krankenwagen getragen.

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Munster (dpa/lni) - „Kommt schnell“, ruft ein Mann mit Schutzanzug und Gasmaske an dem Loch, um das sich hier alles dreht. Ein Arbeitsunfall mit Chemiewaffen wird geübt, am Boden liegt nur eine Puppe. Eilig wird sie zur Entgiftung in eine Dekontaminationsschleuse gebracht, aus dem Overall befreit und in einen Krankenwagen getragen.

Das Loch mit dreieinhalb Metern Durchmesser hat es in sich. „Das dürfte eine der größten Altlasten chemischer Kampfstoffe in Deutschland sein“, sagt Carsten Bubke, Umwelttechniker des Heidekreises und Sprengstoffexperte. Er beaufsichtigt die Arbeiten. Nach 1945 wurden hier im Dethlinger Teich unweit von Munster Munition der Wehrmacht und andere Funde versenkt, 1952 wurde er zugeschüttet.

„Art, Menge und Zustand des Materials ist uns im Einzelnen nicht bekannt“, sagt Landrat Manfred Ostermann am Dienstag. Das soll sich ändern, vom 16. September an wird der Teich geöffnet. Im Grundwasser wurden Reste chemischer Kampfstoffe nachgewiesen, darunter auch Abbauprodukte von Lost, also Senfgas. Das Hautgift verätzt Schleimhäute, Augen und Atemwege.

Der Teich hatte nur einen Durchmesser von rund 60 Metern. Wie weit sein gefährlicher Inhalt genau in den Boden reicht, ist nicht bekannt, zunächst soll es sechs Meter tief gehen. Für die Arbeiten wurde ein großes Zelt von rund 600 Quadratmetern am Waldrand zwischen Oerrel und Dethlingen aufgebaut, darin das Loch in der etwa dreißig Zentimeter dicken Betondecke. Splitterschutzmauern und Erdwälle wurden errichtet, ein Notarzt wird am Ort sein. Mit Blick auf die nächsten Ortschaften soll nur bei Westwind gearbeitet werden, die vorbeiführende Bundesstraße wird für den Verkehr gesperrt.

Die Erkundungsarbeiten sollen rund drei Monate dauern, dann wird entschieden, wie es weitergeht. Eine Gesamtsanierung könnte noch Jahre dauern, sagt Ostermann - und die würde ins Geld gehen. „Wir gehen von mindestens 50 Millionen Euro Gesamtsanierungskosten aus - eher mehr.“ Allein die Kosten für den ersten Schritt liegen bei 3,6 Millionen Euro, 70 Prozent zahlt das Land, den Rest der Kreis. „Dazu kommt die Vernichtung der Munition, die Kosten übernimmt der Bund“, sagt Andreas Krüger, Geschäftsführer der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH (Geka).

Die bundeseigene Geka übernimmt die gefährlicheren Arbeiten, sie ist das einzige deutsche Unternehmen mit der Berechtigung zur systematischen Vernichtung von Chemiewaffen, ihre Anlagen liegen nur wenige Kilometer entfernt. Am einstigen Gasplatz Breloh, ein Ortsteil der Stadt Munster, wurden schon im Ersten Weltkrieg C-Waffen produziert. Bei einer gewaltigen Explosion wurden 1919 weite Gebiete verseucht - die Geka reinigt jedes Jahr rund 5000 Tonnen des kontaminierten Erdbodens.

Belastete Böden sind ein bundesweites Problem. Allein in Niedersachsen gibt es weit mehr als 90 000 betroffene Flächen. Dazu gehören aber keineswegs nur militärische Altlasten, sondern auch frühere Standorte etwa von Tankstellen. In ganz Deutschland gibt es laut Umweltbundesamt auf Basis von Zahlen der Länder mehr als 260 000 „altlastverdächtige Flächen“. Auf Liegenschaften der Bundeswehr sind dem Verteidigungsministerium rund 10 600 Flächen mit Kontaminationsverdacht bekannt, wie eine Sprecherin sagte. Davon seien etwa 370 Rüstungsaltlasten zuzuordnen. „Kontaminationen mit chemischen Kampfstoffen sind sonst auf keiner anderen von der Bundeswehr genutzten Liegenschaft bekannt“, sagte sie mit Blick auf den Truppenübungsplatz Munster.

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) spricht vom Dethlinger Teich als einer „bundesweit einzigartigen Rüstungsaltlast“. Dies sei nicht von heute auf morgen zu lösen, betont er. „Dennoch schaue ich optimistisch in die Zukunft und bin zuversichtlich, dass wir mit den aktuellen Ansätzen eine Technik entwickeln können, die die Sanierung ermöglicht.“ Immerhin: Die Experten gehen nicht davon aus, dass Bomben oder Granaten mit Zündern gefunden werden. Ganz sicher ist aber auch das nicht. „Wir schließen nichts aus“, sagt Ostermann.

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