Technik:Freigegeben: Wie Alterskennzeichen auf Spiele kommen

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Berlin (dpa/tmn) - Fliegen schwirren um die Wunde des Mannes. Er wurde mit einer Harpune aufgespießt und ist eindeutig tot. Sherlock Holmes betritt den Raum. Er trägt einen Anzug, auf seinem Kopf ein schicker Hut. "Ganz schön eitel dieser Typ", sagt Lara, während sie die Spielfigur steuert.

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Berlin (dpa/tmn) - Fliegen schwirren um die Wunde des Mannes. Er wurde mit einer Harpune aufgespießt und ist eindeutig tot. Sherlock Holmes betritt den Raum. Er trägt einen Anzug, auf seinem Kopf ein schicker Hut. „Ganz schön eitel dieser Typ“, sagt Lara, während sie die Spielfigur steuert.

Draußen vor dem Fenster ragen der Berliner Fernsehturm und das Soho House in den Himmel. Laras Augen sind fest auf den Bildschirm gerichtet. Lara ist Sichterin.

Innerhalb von zwei Wochen spielt sie sich durch Computerspiele. Komplett. Für knapp 60 Euro pro Spiel - es ist ein Ehrenamt. Die 25-Jährige testet für die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) unveröffentlichte Spiele. Die freiwillige Selbstkontrolle der Computerspielewirtschaft organisiert das Verfahren, bei dem ein Spiel am Ende eine Altersfreigabe erhält.

„Wir testen Computerspiele und Apps auf ihre Jugendschutzaspekte“, sagt Felix Falk, Geschäftsführer der USK. Am Ende werden die Spiele für ein bestimmtes Alter freigegeben. Diese Freigaben müssen seit 2003 auf jedem für Kinder und Jugendliche zugänglichen Spiel im Handel abgedruckt sein. Fünf Stufen gibt es - von weiß (ohne Altersbeschränkung) bis rot (ohne Jugendfreigabe). Ein Spiel ohne USK-Kennzeichnung gilt automatisch als „Ab 18“.

„Wir testen hier auf Herz und Nieren“, sagt Falk. Bei einem Computerspiel kann das leicht 50 oder mehr Stunden dauern. Acht Sichter kämpfen, planen und rätseln sich für die USK durch unveröffentlichte Spiele. „Das muss hier vor Ort passieren - wegen der Geheimhaltung der noch unveröffentlichten Spiele“, sagt Falk. Auch deshalb hat Lara hier keinen Nachnamen - um Einflussnahme von außen zu verhindern. Unabhängigkeit ist wichtig.

Kinder und Jugendliche können nicht immer reflektiert darüber nachdenken, was ein Spiel vermittelt. „Manchmal wird man in einem Spiel für bestimmte Handlungen belohnt - zum Beispiel Gewalthandlungen“, erklärt Wolfgang Lenhard von der Universität Würzburg, der zum Thema Computerspiele forscht. Dass Gewalt zum Erfolg führt, kann ein Handlungsmuster sein, das Kinder und Jugendliche dann erlernen. Auch Traumata durch drastische Gewaltdarstellungen sind möglich.

Was aber nicht heißt, dass PC-Spiele automatisch Gewalt fördern, betont Lenhard. Und sie können sogar positive Effekte auf das räumliche Vorstellungsvermögen haben. Marek Brunner, Leiter des Testbereichs, kam aber über das Gewalt-Vorurteil zur USK. Schuld war eine heftige Gegenrede auf einer Podiumsdiskussion vor mehr als 20 Jahren. „Da hat jemand gemeint, Computerspiele seien der Untergang des Abendlandes und werden uns alle umbringen“, erzählt er. Die damalige Test-Leiterin wurde auf den 18-Jährigen aufmerksam. Er wurde Sichter. Mehr als 10.000 PC-Spiele hat er seitdem gespielt.

„Jedes Videospiel ist eine neue Welt. Und jeden Tag, wenn wir hier Pakete aufmachen, ist das wie Weihnachten.“ Mit „wir“ meint er auch die beiden Sichter, die hinter ihm sitzen. Mit Mate und Döner haben sie es sich vorm PC gemütlich gemacht, auf dem Bildschirm ist ein großes grünes Tier mit vielen Füßen zu sehen - es verschießt Blitze. Zwar gibt es eine Wunschliste mit den Spielen, die ein Sichter am liebsten spielen will. Fakt ist aber: „Alle müssen durch alle Genres.“

Wenn Lara von ihrer Arbeit spricht, wirkt sie sehr selbstbewusst. Über eine Anzeige ist sie auf die Stelle als Sichter aufmerksam geworden. „Ich fand's cool, eine Bewerbung zu schreiben, bei der ich meine Lieblingsspiele aufzählen durfte.“ Sie spielt aber nicht nur gern am PC, sie macht Sport, spielt Badminton, geht ins Fitnessstudio. Dem Klischee der Vielspielerin entspricht sie nicht. Gerade hat sie ihr Studium abgeschlossen.

Tag und Nacht können die Sichter in die Räume der USK zum Spielen kommen - völlig egal, ob sie Sonntagnacht hier sitzen oder Mittwochfrüh. Doch Spielen allein ist nur die halbe Arbeit - am Ende steht eine Präsentation für das Prüfgremium. Hier müssen sie vor allem die jugendschutzrelevanten Stellen des Spiels zeigen. „Wenn das Spiel zu 80 Prozent aus Rätseln besteht und nur zu 20 Prozent aus Kämpfen, dann kann ich nicht nur die Kämpfe zeigen“, erklärt Lara. Im Gremium sitzen ein staatlicher Vertreter und vier Jugendschutzsachverständige. Am Ende empfehlen die Sachverständigen eine Altersfreigabe, die übernommen oder angefochten wird. Die Arbeit der Sichter ist die Grundlage für diese Alterseinstufung.

Deshalb müssen sie gut präsentieren können, erklärt Falk. Meist sind die Sichter Studenten, die das nebenher machen. „Wir brauchen niemanden, der Tag und Nacht spielt oder sich nur mit einem bestimmten Spielegenre beschäftigt“, sagt er. Professionalität und Schweigsamkeit seien wichtig. Über die unveröffentlichten Spiele dürfen die Sichter mit ihren Freunden nicht sprechen.

Damit am Ende nicht ein anderes Spiel auf den Markt kommt, als getestet wurde, sind die Hersteller verpflichtet, das veröffentlichte Spiel der USK zu schicken. In all den Jahren sind deren Räume so zu einer wahren Schatzkammer geworden. Mittlerweile lagern hier mehr als 20 000 Spiele, zwischen CDs stehen auch Disketten und andere Datenträger in den Regalen, deren Namen die meisten wohl längst vergessen haben. Auch Laras Sherlock-Holmes-Spiel findet sich dort - freigegeben für Jugendliche ab 12 Jahren.

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