Kunststoffmüll:Weniger Plastik als befürchtet gelangt ins Meer

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In einer Bucht in Hawaii hat sich der Plastikmüll gesammelt. (Foto: uncredited/AP)

Der Eintrag von Kunststoff in die Ozeane wurde überschätzt, behaupten Forscher. Doch das ist nur auf den ersten Blick eine gute Nachricht.

Von Christoph von Eichhorn

Seit Längerem stehen Ozeanforscher vor einem Rätsel: Einige Schätzungen deuten darauf hin, dass jedes Jahr zwischen vier und 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll in die Meere gelangt, etwa indem Flüsse weggeworfenen Kunststoff in die Ozeane tragen, oder weil in Küstenstädten vieles direkt ins Meer gekippt wird. Doch dazu passt nicht recht, dass im Meer selbst vergleichsweise wenig Kunststoff herumzuschwimmen scheint, wie Zählungen wiederholt ergeben haben - jedenfalls nicht genug angesichts der vermuteten hohen Plastikzufuhr von Land. Zersetzt sich der Kunststoff also einfach schneller als angenommen? Gibt es eine bislang verborgene Plastikmüllhalde irgendwo in der Tiefsee?

Wie Meeresforscher nun berichten, trifft keine dieser Erklärungen zu. Vielmehr gelange von vornherein deutlich weniger Kunststoff in die Ozeane, schreibt das Team um Mikael Kaandorp von der Universität Utrecht im Fachmagazin Nature Geoscience. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätzen, dass die Weltmeere jedes Jahr etwa eine halbe Million Tonnen Kunststoff aufnehmen, also nur einen Bruchteil der bislang geschätzten Mengen. Fast die Hälfte des Plastikmülls entsteht demnach infolge des Fischfangs, etwa weil Trawler regelmäßig Netze, Seile und Bojen einbüßen. Weitere 200 000 Tonnen Plastikmüll gelangen laut der neuen Schätzung direkt von den Küsten ins Meer, während Flüsse nur etwas mehr als ein Zehntel der Plastikmengen beisteuern. Grundlage für die Berechnungen sind mehr als 20 000 Messwerte von der Meeresoberfläche, an Stränden und aus dem tiefen Ozean.

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Der geringere Plastikeintrag ist nur auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Denn zugleich schätzen die Forscher, dass Kunststoff sich im Salzwasser viel langsamer zersetzt als angenommen, die Ökosysteme also länger belastet. Zwischen drei und 3,4 Millionen Tonnen Kunststoff schwimme derzeit in den Ozeanen herum, so die Wissenschaftler - der Großteil davon direkt an der Meeresoberfläche, ein Drittel in größerer Tiefe, während an den Stränden weniger als zwei Prozent anlande. Dabei dominieren überraschenderweise große Plastikteile mit einer Größe von mehr als 2,5 Zentimetern. Diese machen laut der Studie mehr als 95 Prozent der Gesamtmasse des Plastiks im Ozean aus. Mikroplastik-Partikel mit weniger als fünf Millimeter Durchmesser sind zwar insgesamt häufiger zu finden als große Plastikstücke, bringen aber zusammen viel weniger Gewicht auf die Waage.

"Wir müssen in allererster Linie die eskalierende Produktion minimieren"

"Die wesentliche neue Erkenntnis der Studie ist, dass ein großer Teil des Plastiks im Wasser der Ozeane eher größere Partikel sind", sagt Christian Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department Hydrogeologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Dies sei für den "Pazifischen Müllstrudel" - eine große Ansammlung von Kunststoffteilchen im Nordpazifik - schon belegt, "die Studie bestätigt das jetzt weltweit". Zugleich weist Schmidt darauf hin, dass die niederländischen Forscher weder Quellen noch Senken des Kunststoffmülls direkt modelliert hätten, "sondern es wurde abgeleitet, wie viel Plastik zum Beispiel aus Flüssen in die Meere gelangen muss, um die beobachteten Konzentrationen zu erklären". Daher sei es schwer abzuschätzen, inwiefern die Ergebnisse realistisch seien.

"Bedauerlicherweise wurden Kunststoffe ausgeklammert, die schwerer als Meerwasser sind", sagt Melanie Bergmann, Meeresökologin am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. So weist das Team um Kaandorp darauf hin, dass Kunststoffe wie Polyvinylchlorid (PVC) und Polyethylenterephthalat (PET) in der Bilanz nicht mit berücksichtigt wurden, die Schätzungen zufolge bis zu 40 Prozent des Plastikeintrags ausmachen. Berücksichtige man diese schneller sinkenden Plastiksorten, könnten sich höhere Kunststoffmengen am Meeresboden ergeben, sagt Bergmann. Dennoch sei die neue Studie "eine gute weitere Annäherung".

Die Forscher um Kaandorp schätzen, dass die Menge an Plastikmüll, die den Ozean erreicht, jedes Jahr um etwa vier Prozent wächst. Da der Kunststoff sich zudem langsamer zersetze als angenommen, nehme die Belastung der marinen Umwelt langfristig zu. "Wir müssen in allererster Linie die eskalierende Produktion minimieren und das Design von Kunststoffen so verbessern, dass weniger und gesundheitlich unbedenkliche Chemikalien eingesetzt werden", sagt Bergmann. Säuberungsaktionen im Meer, sogenannte Cleanups, seien dagegen "sinnlos", meint Christian Schmidt. Allein der pazifische Müllstrudel sei mehr als viermal so groß wie Deutschland. "Man würde nie fertig werden." Cleanup-Aktionen an Stränden seien besser, sie verhinderten, dass Material wieder ins Meer gespült werde, so Schmidt. "Strände sind außerdem viel leichter erreichbar als der offene Ozean. Das heißt, praktisch jeder kann beitragen."

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