SZ-Klimakolumne:Vergessen ist so leicht

Lesezeit: 2 Min.

Eine der zahlreichen Folgen des Klimawandels ist eine zunehmende Trockenheit des Bodens. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Haben Sie den neuen Bericht des Weltklimarats bislang ignoriert? Von den Verlockungen des Nicht-Wissen-Wollens - und warum es damit nicht getan ist.

Von Pia Ratzesberger

Zu Beginn mal eine Annahme. Sicher sind Sie in dieser Woche im Spiegelkabinett der Mobiltelefone einer Meldung begegnet, die so klang wie diese:

"Bericht des Weltklimarates: Globale Erderwärmung könnte 1,5 Grad bald überspringen"

"Abschlussbericht des IPCC: Weltklimarat mahnt zu sofortigem Handeln"

"Bericht des Weltklimarates: Fünf vor Zwölf war gestern"

Und noch eine Annahme: Sie haben nicht weitergelesen.

Sie haben die Überschrift weggewischt als wäre sie die nächste Whatsapp im Familienfeierplanungschat, objektiv schien das alles wichtig, doch subjektiv auch gähnend bekannt, und was soll ich sagen, Sie haben ja recht.

Was der Weltklimarat IPCC in seinem neuesten Bericht, dem sechsten, bilanziert, hat mein Kollege Christoph von Eichhorn hier eingeordnet, ich empfehlen Ihnen diesen Text gerade dann, sollten Sie bislang den Kopf lieber schnell weggedreht haben. (Spoiler: Das Ziel einer maximal um 1,5 Grad erwärmten Erde, das wir uns im Pariser Klimavertrag mal vorgenommen hatten, ist nicht mehr realistisch. Die zwei Grad werden auch nicht leicht, dafür müssten wir die Kohlenstoffdioxid-Emissionen bis 2030 weltweit um 30 Prozent senken.)

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Scrollt man sich durch die Veröffentlichungsjahre der Berichte, die uns schon drei Jahrzehnte treu begleiten, sinkt eine vertraute Erkenntnis tief in die Magengrube. An Wissen mangelt es nicht, die Fakten sind da, und im Übrigen nicht erst seit dem ersten Bericht des Weltklimarats 1990, sondern schon seit Ende der Siebziger.

Die Wissenschaft verlegt den faktischen Boden, auf dem im besten Fall jede Debatte aufbaut, ihre Theorie und Empirie sind die Leitplanken, an denen entlang wir durch die Jahre kurven. Sie sollen uns vor dem größtmöglichen Aufprall schützen, doch dass sie schon so lange die Straßen säumen, führt dazu, dass man sich an ihren Anblick gewöhnt hat. IPCC, Warnung, Hitze, alle Jahre wieder.

Da mag es verlockend sein, sich erst gar nicht mehr auf die Autobahn der Nachrichten zu begeben, sondern sich einzugraben im Iglu des Lieber-nicht-wissen-Wollens. Doch, dritte und letzte Annahme, auch dort entkommt man einer Sache nicht.

Denn auch wer sich nicht in Details der Kohlendioxidbilanzen einrechnet, wer nicht weiß, was ein CO₂-Äquivalent ist, oder was Kipppunkte bedeuten, wer den Verbrennermotor in seinem SUV liebt oder seine Holzschnitzel mit Ökosiegel, kurzum, wer auf welche Weise auch immer mit den Vorzügen des globalen Nordens lebt (also wir alle), der weiß tief in seinem Innersten, dass dies häufig auf Kosten anderer geht.

Die anderen, das sind die Menschen in Ländern, die heute schon stärker unter der Klimakrise leiden als wir. Das sind auch die, die jetzt noch jung genug sind, um sich mehr als ein kleines bisschen Veränderung zu erhoffen.

In der Fachwelt nennt man dieses Abwälzen auf andere Externalisierung, und vielleicht verlagern wir nicht nur die Kosten unseres Lebensstils an Orte, wo wir sie nicht mehr sehen müssen, sondern gleich dazu auch noch unsere Gefühle.

In diesem Text hat meine Kollegin Vera Schroeder aufgeschrieben, warum Emotionen in der Debatte um die Klimakrise unterschätzt werden, und dem ist wenig hinzuzufügen, vor allem dem Punkt, dass es die Politik eben doch nicht ohne den Einzelnen richten kann - weil die Einzelnen zusammen nun mal die Politik bestimmen.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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