Wer frustriert ist, dass es in Deutschland auch Mitte Mai noch kühl und regnerisch bleibt, mag sich in etwas südlichere Gefilde träumen. Aber so ganz anders sieht es dort auch nicht aus: Selbst in Italien, Südfrankreich oder in Norden der Türkei ist es momentan bestenfalls mild. Um es richtig heiß zu haben, müsste man schon bis Südspanien reisen - oder aber in die entgegengesetzte Richtung, nach Nordwestrussland in die Arktis.
Dort herrscht seit Tagen große Hitze, die die Temperaturen an vielen Orten selbst jenseits des Polarkreises über die 30-Grad-Marke getrieben hat. Absolute Temperaturrekorde wurden zwar nicht gebrochen, wohl aber solche für die Jahreszeit. Am Donnerstag wurden in Narjan-Mar 31,9 Grad Celsius gemessen, mehr als vier Grad über dem bisherigen Rekordwert für den Monat Mai. Die arktische Stadt liegt nördlich des Polarkreises nicht weit von der Küste zur Barentssee. Nie zuvor war es dort so früh im Jahr so heiß, die mittlere Höchsttemperatur um diese Jahreszeit liegt dort bei etwa sechs Grad. 31,7 Grad waren es in Nischnjaja Pjoscha, ebenfalls innerhalb des Polarkreises.
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Die Hitze ist nicht nur extrem, sondern kam auch sehr plötzlich: Noch vor rund zwei Wochen hätten etwa im karelischen Kalewala nahe der finnischen Grenze 17 Zentimeter Schnee gelegen, schreibt Etienne Kapikian vom französischen Wetterdienst Météofrance auf Twitter. Nun sei dort mit fast 29 Grad Celsius ebenfalls ein Monatsrekord erreicht.
Natürlich liegt es nahe, den Klimawandel für das ungewöhnliche Wetter verantwortlich zu machen, und er spielt mit Sicherheit eine Rolle. Man sollte aber bedenken: Die russische Arktis war schon immer eine Region der Extreme. Im Süden der arktischen Küste reicht die Landmasse des riesigen eurasischen Kontinents Tausende Kilometer nach Süden. Wenn wie an den vergangenen Tagen ein - gegen den Uhrzeigersinn drehendes - Tiefdruckgebiet im Westen dazu führt, dass warme Luftmassen aus Kasachstan vom Kaspischen Meer entlang des Uralgebirges weit nach Norden strömen, kann es dort sehr schnell sehr heiß werden. Erst recht bei klarem Wetter, wenn die Sonne an den im Norden bereits sehr langen Tagen viel Zeit hat, zusätzlich zu heizen.
Die Arktis hat sich bereits um mehr als drei Grad erwärmt
Umgekehrt sind jederzeit drastische Temperaturstürze möglich, wenn der Wind aufs Eismeer dreht und eisige Luft herantransportiert. Das ist auch jetzt bereits zu sehen: An den vergangenen Tagen hat sich die heiße Zone etwas nach Osten bewegt. An der Küste des arktischen Ozeans verläuft nun eine scharfe Luftmassengrenze, wo heiße Luft aus dem Süden auf kalte aus dem Norden trifft, über wenige Kilometer fallen die Temperaturen von hochsommerlichen Werten in den einstelligen Bereich.
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Doch dass dieses an sich nicht ganz ungewöhnliche Wettergeschehen diverse neue Temperaturrekorde produziert hat, dürfte natürlich auf den Klimawandel zurückzuführen sein. Am Donnerstag hat das Arctic Monitoring and Assessment Programme (Amap) zum Ministertreffen des Arktischen Rates in Reykjavik einen Bericht vorgestellt, wonach sich die Arktis bereits um 3,1 Grad Celsius erwärmt hat, rund dreimal so schnell wie der Rest der Welt. Die Amap ist eine der internationalen Experten-Arbeitsgruppen des Arktischen Rates, ein Zusammenschluss der Arktis-Staaten rund um den Nordpol.
In der Arktis wird die globale Erwärmung durch verschiedene Mechanismen verstärkt. Unter anderem liegt es daran, dass das Meereis rapide schwindet und dadurch dort, wo früher helle Eisflächen die Sonnenstrahlung reflektiert und die Region gekühlt haben, dunkles Meerwasser viel Wärme absorbiert und zu weiterer Erwärmung führt. Aber auch die Struktur der Luftschichten am Nordpol spielt eine wichtige Rolle.
Bis zum Ende des Jahrhunderts, heißt es im Bericht, dürfte die Temperatur in der Arktis laut den neuesten Klimamodellen im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 1985 bis 2014 um 3,3 bis zehn Grad Celsius ansteigen - je nachdem, wie sich die Emissionen weiterentwickeln. Ziemlich unabhängig von künftigen Klimaschutzbemühungen ist indes eine andere Vorhersage, die der Bericht erneut bestätigt: Den ersten weitgehend eisfreien Sommer am Nordpol dürfte es noch vor 2050 geben.
Die steigenden Temperaturen bringen neben der Eisschmelze noch viele weitere Probleme mit sich. Unter anderem haben extreme Wald- und Tundrabrände in Alaska und Sibirien bereits zugenommen. In Sibirien hat die Brandsaison in diesem Jahr nach den heftigen Bränden des vergangenen Jahres schon wieder begonnen. Möglicherweise sind auch sogenannte "Zombie-Brände", die seit dem vergangenen Herbst unter Eis und Schnee im Torfboden schwelten, mit den steigenden Temperaturen wieder zum Leben erwacht.