SZ-Klimakolumne:Das große Schmelzen

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Der Thwaites-Gletscher auf einer Luftaufnahme. (Foto: Jeremy Harbeck/dpa)

Ewiges Eis? Von wegen. Die Eismassen der Arktis schwinden, auch die Antarktis bröckelt. Man kann sich das in fantastischen Visualisierungen anschauen - mit einer Mischung aus Faszination und Resignation.

Von Alex Rühle

Als Fridtjof Nansen von seiner Polarexpedition 1893 bis '96 zurückgekehrt war, schrieb er über die riesigen schwimmenden Gebirge, die sein Schiff, die Frams, eingeschlossen hatten: "Ungesehen und unbetreten, in mächtiger Todesruhe schlummerten die erstarrten Polargegenden unter ihrem unbefleckten, ewigen Eismantel vom Anbeginn der Zeiten." Von globalen Wärmephasen, geschweige denn vom Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum (PETM) vor etwa 55,8 Millionen Jahren hatte Nansen natürlich noch nie gehört. Mittlerweile aber weiß man, dass es während des PETM auf der ganzen Erde überhaupt kein Eis gab, und der Meeresspiegel rund 70 Meter höher als heute lag.

Mit anderen Worten: Der Topos vom "ewigen Eis" wurde von den Geowissenschaften längst widerlegt; heute schmilzt er vor unser aller Augen in beeindruckendem Tempo zusammen. Die Luft in der Arktis erwärmt sich mehr als doppelt so schnell wie irgendwo sonst auf dem Planeten. Nansens "mächtig erstarrtes" Nordpolareis ist im Vergleich zu 1979 um 80 Prozent seines Volumens geschrumpft.

Und damit schalten wir auf die andere Seite des Planeten, in die Antarktis. Von dort hört man immer dann, wenn wieder ein großer Eisberg abbricht: In diesem Jahr löste sich A76, mit 4320 Quadratkilometern der aktuell größte Eisberg der Welt (Mallorca ist 700 Quadratkilometer kleiner). A68 war 2017 mit 6000 Quadratkilometern noch größer, den Rekord hält bislang B15, ein rund 11 000 Quadratkilometer großer Tafeleisberg, der sich im Jahr 2000 vom Ross-Schelfeis löste.

All das aber ist gar nichts gegen das, was nun droht. Die meisten Gletscher der Antarktis schieben sich über die Küstenlinie hinweg noch Dutzende bis Hunderte Kilometer weit in den offenen Ozean hinaus. Trifft das Eis auf Untiefen, untermeerische Felsinseln oder Felsrücken, wird der langsame Gletscherfluss durch den Rückstau-Effekt auch auf dem Festland abgebremst. So auch beim riesigen Thwaites-Gletscher, dessen Schelfeis-Fläche allein zweimal so groß ist wie Belgien. Wie meine Kollegin Angelika Jung-Hüttl berichtet, droht diese streckenweise 600 Meter dicke Eisfläche in naher Zukunft zu zerbersten. Grund: Das Schelfeis wird von warmem Wasser unterspült und damit von unten kontinuierlich abgeschmolzen.

Das ist an sich schon keine gute Nachricht, die Folgen aber sind noch schlimmer: Das Schelfeis wirkt bisher wie ein Rückhaltedamm für den vom Festland nachdrängenden Riesengletscher, der nach dem Zerbersten des Schelfeis-"Korkens" noch schneller ins Meer abfließen würde. Der Thwaites-Gletscher wird auch deshalb oft "Doomsday-Gletscher" genannt.

Kollegen von der New York Times haben in dieser Woche eine so beeindruckende Visualisierung der antarktischen Gletscherstrukturen und des antarktischen Zirkumpolarstroms programmiert, (der sich ebenfalls dramatisch verändert), dass ich Ihnen diese Animationen unbedingt noch zeigen wollte. Man denkt dann halb faszi-, halb resigniert: Wir können so beeindruckend gut noch die geographisch abgelegensten Folgen des Klimawandels visualisieren und analysieren. Nur aufhalten können wir das Ganze anscheinend nicht mehr.

Ich hoffe, ich darf Ihnen trotz dieses eisig-düsteren Themas fürs Erste schöne Feiertage, wenn nicht gar weiße Weihnachten wünschen. Unser Newsletter macht zwei Wochen Pause. Ich selbst verabschiede mich hiermit in ein längeres Sabbatical, aber all meine Kolleginnen und Kollegen machen ja im Januar da weiter, wo ich jetzt aufhöre, beim Klimawandel und seinen Folgen.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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