Klimakolumne:Die IEA und der Weg zur Null

Lesezeit: 2 min

Zukunft und Vergangenheit: Windräder beim Braunkohlekraftwerk Niederaußem. (Foto: Volker Hartmann/Getty Images)

Wie sich Dinge doch verändern können: Die internationale Energieagentur wurde lange dafür kritisiert, zu fossil-orientiert zu sein. Dafür gibt es nicht mehr viel Anlass.

Von Marlene Weiß

Gesellschaftliche Entwicklungen haben oft ihre eigene Dynamik. Zuerst verändert sich etwas bei Pioniergruppen, der Avantgarde. Dann tröpfelt es in die breite Masse, und wenn am Ende noch der konservativste Landrat anfängt, auf einigermaßen geschlechtergerechte Sprache zu achten, dann weiß man: Das geht nicht mehr weg.

Aber es soll hier natürlich nicht ums Gendern gehen, so kurz vor Pfingsten breche ich keinen Sprachstreit vom Zaun. Sondern um den Umgang mit dem Klimawandel - und in diesem Zusammenhang um die internationale Energieagentur IEA, die OECD-Regierungen in Energiefragen berät. Die wirkte lange in etwa so veränderungsbegeistert wie der Bauernverband: Zuverlässig sagte sie jedes Jahr steigende Nachfrage nach Kohle, Öl und Gas vorher, ebenso zuverlässig musste sie ihre Prognosen für die Kosten von Solarenergie nach unten und für das Ausbaupotential nach oben korrigieren. Auch zuverlässig immer der Gleiche war der Mann, der diese IEA-Berichte prägte: Fatih Birol, seit 1995 bei der IEA, seit 2015 als Direktor, zuvor Chefökonom. Wenn ich noch etwas gesichtsblinder wäre, als ich tatsächlich bin, würde ich Birol wahrscheinlich vor lauter optischer Vertrautheit mit Jan Hofer verwechseln.

Vielleicht ist es ungerecht, der IEA einen gewissen Hang zu fossiler Energie vorzuwerfen; schließlich handelte es sich bei ihren Gutachten stets um Prognosen auf der Basis aktueller Entscheidungen, nicht um Empfehlungen für eine bessere Politik - das war jedenfalls immer die Entgegnung der Agentur auf entsprechende Kritik.

Aber wie dem auch sei, die Gegenwart verändert sich, und mit ihr die Zukunft - oder ist es andersherum? Jedenfalls hat die internationale Energieagentur (die noch 2007 empfahl, mehr Öl zu fördern, um eine drohende Knappheit abzuwenden) in den vergangenen Jahren immer deutlicher darauf hingewiesen, welche drastischen und schnellen Veränderungen im Energiesektor nötig sind, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. In dieser Woche hat sie nun einen Fahrplan veröffentlicht, wie der weltweite Energiesektor bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden kann. Das Fazit, wie es mein Kollege Michael Bauchmüller hier beschreibt, kann man etwa so zusammenfassen: "Ambitioniert, aber machbar".

Solche Einschätzungen hat man in letzter Zeit irgendwie schon öfter gehört. (Möge daraus niemals ein "Es wäre ambitioniert, aber machbar gewesen" werden.) Besonders gut gefallen mir in dem Bericht aber Grafiken wie diese hier: Sie zeigt Schritt für Schritt, was passieren muss, um die enorme Lücke zwischen Klimaneutralitäts-Ankündigungen und tatsächlichem Emissionsrückgang zu schließen.

Das bedeutet, ab sofort: Kein neues Kohlekraftwerk mehr genehmigen, jedenfalls keines ohne Vorrichtungen zum CO₂-Abfang. 2025: Keine neuen Öl- oder Gasheizkessel. 2030: Jedes Jahr werden 1020 Gigawatt neue Solar- und Windenergieanlagen installiert (im Jahr 2020 waren es 238 Gigawatt, also ist die Steigerung hoch, aber nicht absurd hoch. Zum Vergleich: Das Kernkraftwerk Isar 2 hat eine Nennleistung von 1,4 Gigawatt.) 2035: Keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor mehr. 2040: Die Stromerzeugung ist weltweit klimaneutral. 2045: Die Hälfte des Heizbedarfs wird per Wärmepumpe gedeckt. 2050: Geschafft. Mehr als 85 Prozent der Gebäude können als Passivhäuser betrieben werden, 70 Prozent der Stromerzeugung stammen aus Wind und Solarenergie, Restemissionen werden kompensiert.

Das muss die Welt jetzt eigentlich nur noch abarbeiten, mal sehen, wie gut das klappt. Übertriebenen Aktivismus wird einer Einrichtung wie der IEA jedenfalls kaum jemand vorwerfen.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Bleiben Sie optimistisch.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Polkappen
:Größter Eisberg bricht in der Antarktis ab

In einer Bucht des südlichen Weddell-Meers hat sich der derzeit weltgrößte Eisberg gelöst. Die Fläche von "A76" übersteigt die von Mallorca.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: