Hannover:Erinnerungskultur an der Grenze muss junge Menschen abholen

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Ein großer Teil der Gedenkmuseen an der innerdeutschen Grenze hat nach Angaben der Universität Hannover mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Dazu zählten etwa...

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Hannover (dpa) - Ein großer Teil der Gedenkmuseen an der innerdeutschen Grenze hat nach Angaben der Universität Hannover mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Dazu zählten etwa der Nachwuchs bei der Personalplanung und Finanzierungsfragen, sagte Christian Hellwig von der Forschungsgruppe „Grenzgeschichte(n)“ an der Universität Hannover der Deutschen Presse-Agentur. Das Projekt nimmt vor allem Erinnerungsorte zwischen Lübeck und dem südlichen Wendland in Augenschein. Hellwig ist der operative Leiter der Forschungsgruppe. Im Interview erklärt der 35-Jährige, weshalb viele Grenzmuseen in Gefahr sind, ob die Teilung in den ehemaligen Grenzgebieten auch in den Köpfen überwunden ist und welche niedersächsische Gedenkstätte einen Besuch lohnt.

Frage: Entlang der innerdeutschen Grenze gibt es rund 900 Gedenkorte und Museen. Braucht man die eigentlich alle?

Antwort: Wenn man mal an die ehemalige Grenze fährt, dann sieht man ja, dass ein Großteil der ehemaligen Grenzbefestigungen abgebaut ist und es nur noch wenige Überbleibsel gibt. Wenn jetzt aber zum Beispiel junge Leute an der Elbe Fahrrad fahren und da einen alten Wachturm sehen und dann ist da kein Kontext, keine Information - dann wissen die unter Umständen nicht einmal, warum dieser Wachturm da steht und dass da die Grenze entlang gelaufen ist. Und deswegen ist es natürlich wichtig, dass in der jetzigen Bundesrepublik solche Erinnerungsorte vorhanden sind, an denen man sich mit der Geschichte der deutschen Teilung auseinandersetzen kann.

Frage: Wie steht es denn derzeit um die Grenzmuseen?

Antwort: Ganz generell muss man sagen, dass diese Museen in sehr vielen Fällen mit Problemen zu kämpfen haben. Das liegt daran, dass sich viele kleine Museen nach der Wende auf ehrenamtlichem Engagement gegründet haben und auch mit den entsprechenden Mitteln betrieben werden. Es bestehen ganz große Probleme, was den Nachwuchs angeht, was die personelle Ausstattung angeht, was die Finanzierung angeht und was die Konservierung und Sicherung der Sammlungen angeht, die nach der Wende ja mit viel Akribie zusammengetragen wurden. Und da muss man sich schon die Frage stellen: Was passiert eigentlich mit diesem erinnerungskulturellen Schatz, wenn nicht entsprechende Strukturen geschaffen werden, dass das bewahrt werden kann?

Frage: Ist die Erinnerungskultur 30 Jahre nach dem Mauerfall in Gefahr?

Antwort: Ich sehe jetzt nicht direkt die Gefahr, dass das Thema komplett aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet. Aber man muss in der Vermittlungsarbeit schon ein bisschen darauf achten, dass man heutige Generationen, die die Teilung nicht mehr miterlebt haben, abholt. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Frage: Warum ist die Auseinandersetzung mit der Deutschen Teilung für junge Menschen noch interessant?

Frage: Gerade nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen wurde in Deutschland verstärkt über das Ost-West-Verhältnis diskutiert. Viele sagen, dass die Grenze in den Köpfen immer noch existiert. Wie sind Ihre Erfahrungen aus den Grenzregionen - ist die Teilung tatsächlich überwunden?

Antwort: Seit der Öffnung der innerdeutschen Grenze und dem Fall der Berliner Mauer sind gerade einmal 30 Jahre vergangen und das ist viel zu kurz, um bei den Menschen, die über Jahrzehnte in der DDR oder direkt an der Grenze in Westdeutschland gelebt haben, aus den Köpfen verschwunden zu sein. Die Erfahrung der Teilung spielt in der eigenen Lebensbiografie schon noch eine wichtige Rolle. Man merkt das auch in den Museen, wenn Führungen von Zeitzeugen gemacht werden: Je nachdem, auf welcher Seite der Grenze die gelebt haben, ist natürlich auch die Perspektive dann entsprechend gefärbt.

Frage: Angenommen, ich will mich in Niedersachsen über die innerdeutsche Grenze informieren und habe einen Tag Zeit: Wo sollte ich hinfahren?

Antwort: Eine gut erreichbare Anlaufstelle wäre die Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn am ehemaligen Grenzübergang an der A2. Das ist so ein erster Anlaufpunkt, wo man anhalten und sich klarmachen kann: Okay, hier war vor Jahrzehnten mal die Grenze, hier war die Grenzübergangsstelle. Generell empfiehlt es sich aber auch, einfach mal mit dem Fahrrad an der Elbe entlang zu fahren und sich auf die Spuren der deutschen Teilung zu begeben.

ZUR PERSON: Christian Hellwig (35) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Didaktik der Demokratie an der Universität Hannover.

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