Sinnesphysiologie:Schön bunt!

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Leuchtende Farben, starke Kontraste: Die "Sternennacht" von van Gogh gefällt auch Babys. (Foto: imago stock/imago stock)

Bereits Babys schätzen besonders jene Bilder van Goghs, die auch Erwachsene mögen. Angeborener Kunstsinn? Vermutlich steckt etwas anderes dahinter.

Von Christian Weber

Wer traut sich schon, ein Gemälde Vincent van Goghs (1853 - 1890) uninteressant zu finden? Dass er zu den größten Künstlern überhaupt zählt, hat nun wirklich jeder auf der Schule gelernt. Nicht aber jene Nachwuchs-Kunstkritiker, die britische Forscher und Forscherinnen jetzt vor Werke des niederländischen Künstlers setzten. Die Probanden waren nämlich erst zwischen 18 und 40 Wochen alt.

Natürlich ging es dem Psychologen-Team um Philip McAdams vom Colour Group & Baby Lab an der University of Sussex im britischen Brighton weniger um die Ursprünge der Kunstkritik als um die visuellen Fähigkeiten und Präferenzen von Babys. Wie die Wissenschaftler in der neuesten Ausgabe des Fachmagazins Journal of Vision berichten, war das Ergebnis überraschend: Die Babys zeigten die gleichen Präferenzen wie 20 erwachsene Studienteilnehmer im Alter von 18 bis 43 Jahren.

Je mehr Sekunden der Blick des Babys auf einem Bild weilt, desto besser gefällt es ihm

Im Rahmen der Studie wurden beide Gruppen vor handelsübliche iPads gesetzt, auf denen ihn dann jeweils für fünf Sekunden insgesamt 45 Bilderpaare mit Landschaftsdarstellungen van Goghs gezeigt wurden. Auf Bilder von Menschen hatten die Forscher bewusst verzichtet, weil man schon weiß, dass Babys eine angeborene Präferenz für Gesichter haben. Bei den Kindern wurde dann die Zeit gestoppt, die sie jeweils mit der Betrachtung der unterschiedlichen Bilder verbrachten. Die erwachsenen Männer und Frauen hingegen wurden gebeten, bei jedem Paar anzugeben, welches der beiden Bilder ihnen besser gefalle.

Die Auswertung der Daten zeigte nun, dass die Babys tatsächlich jene Gemälde länger betrachteten, die auch den erwachsenen Probanden besser gefielen. Betrachtungszeit gilt in der Entwicklungspsychologie als Maß für das Wohlgefallen. Interessanterweise fanden Babys und Erwachsene ein eher randständiges Bild Van Goghs am schönsten: das im Juni 1888 in Arles entstandene Gemälde "Grüne Kornhalme".

Die spannende Frage ist nun, ob Kinder und Erwachsene ihre Präferenz in der Studie nach ähnlichen Kriterien ausgebildet haben. Schließlich vermutet man bei Babys dieses Alters keine ästhetischen Abwägungen, schon gar nicht lassen sie sich von großen Künstlernamen beeindrucken. Eine gewisse gemeinsame Entscheidungsgrundlage vermuten die Forscher aber schon: "Es scheint, dass da eine Verbindung sein könnte zwischen der erwachsenen ästhetischen Antwort und den frühen Sinneswahrnehmungen bei Faktoren wie Leuchtkraft und Farbkontrast", sagte Hauptautor Philip McAdams der britischen Tageszeitung Guardian.

Unklar bleibt, ob bereits die Babys so etwas wie ein ästhetisches Empfinden haben oder ob ihr Interesse eher sinnesphysiologisch bedingt ist, schließlich sehen diese noch etwas verschwommen. "Je stärker der Kontrast, desto mehr kann das Kind tatsächlich sehen, und desto leichter kann das Gehirn diese Information verarbeiten", sagt McAdams.

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