Schule und Corona:Pandemie vergrößert Bildungskluft

Lesezeit: 2 min

Für Kinder ist nach dem Ende der Corona-Einschränkungen längst nicht wieder alles gut. (Foto: Dirk Kittelberger/imago images/Westend61)

In verschiedenen Ländern hinken Schülerinnen und Schüler deutlich dem Lernstoff hinterher. Von alleine dürften die Defizite der "Generation Corona" kaum aufzuholen sein.

Von Vera Schroeder

Wenig überraschend und doch dramatisch: So lässt sich die bisher umfassendste Metaanalyse zu Corona-Lernrückständen bei Schulkindern zusammenfassen, die jetzt im Fachblatt Nature Human Behaviour erschienen ist. Demnach verloren Schülerinnen und Schüler während der Pandemie insgesamt und über mehrere Länder hinweg 35 Prozent des Lernfortschritts eines normalen Schuljahres. Am stärksten von den Defiziten betroffen sind Schülerinnen und Schüler, die aus ärmeren Familien stammen oder in ärmeren Ländern aufwachsen. Die Kluft zwischen Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen ökonomischen Verhältnissen hat sich in der Pandemie also vergrößert, ebenso die Kluft zwischen verschiedenen Ländern.

Für die Analyse wurden 42 Studien aus 15 Ländern herangezogen, die zwischen März 2020 und Mai 2022 veröffentlicht worden sind. Der Großteil der Daten stammt aus reicheren Ländern wie Großbritannien, den USA, der Schweiz oder auch Deutschland. Die Ergebnisse der Länder mit mittleren Durchschnittseinkommen wie Brasilien oder Mexiko zeigen noch größere Lernrückstände. Daten aus Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen fehlen, worauf auch die Autorinnen und Autoren rund um Bastian Betthäuser vom Forschungslabor zur globalen Ungleichheit CRIS in Paris einschränkend hinweisen. Schließlich waren nach Angaben der UNO während der Pandemie mehr als 1,6 Milliarden Kinder und Jugendliche in 190 Ländern von Schulschließungen betroffen - das Bildungsproblem der "Generation Corona" dürfte also global gesehen noch deutlich größer sein.

Die Defizite sind in Mathematik größer als im Lesen

Die in der Metaanalyse festgestellten Lerndefizite sind in Mathematik größer als im Lesen, was die Autoren und Autorinnen damit erklären, dass viele Eltern mit ihren Kindern zu Hause vermutlich besser Lesen als Mathematik üben konnten. Zwischen den verschiedenen Klassenstufen wurden keine signifikanten Unterschiede bei der Größe der Rückstände festgestellt, wobei Defizite im Grundwissen von Schulanfängern besonders schwerwiegende Auswirkungen für die Zukunft haben dürften.

Bildungsexperten sind sich einig, dass die entstandenen Lücken von alleine nicht verschwinden werden, sondern sich über die Zeit ohne Gegenmaßnahmen kumulieren und die Bildungsungleichheit weiter verstärken dürften. "Je früher es gelingt, gegenzusteuern, desto besser ist es", sagt etwa der Schulpädagoge Klaus Zierer von der Universität Augsburg. Dabei empfiehlt er, über verschiedenste Lösungen wie Sommerschulen nachzudenken, aber auch über kluge digitale Konzepte. Gleichzeitig warnt Zierer: "Was vielfach geschehen ist - Lernenden Tablets in die Hände zu drücken und zu hoffen, dass diese positiv wirken -, ist als gescheitert anzusehen."

In Deutschland weisen Bildungsforscher und Bildungsforscherinnen zudem darauf hin, dass viele Herausforderungen an den Schulen nicht erst seit Corona bestehen, sondern mit gesamtgesellschaftlichen Veränderungen zu tun haben, etwa einer größeren Vielfalt in der Schülerschaft oder dem wachsenden Lehrermangel. Nötig seien deshalb neben kurzfristigen Aufholkonzepten vor allem auch grundsätzliche Reformen. "Es ist wichtig zu sehen, dass viele der Probleme, die jetzt an den Schulen sichtbar werden, auch ohne Pandemie angegangen werden müssten. Es ist gut, dass der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler als Thema in der bildungspolitischen Debatte jetzt wieder präsenter geworden ist", sagt der Bildungsforscher Benjamin Fauth vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg.

Zumal ein Bereich, der mit Lernerfolgen und einer guten Schulzeit ebenfalls unmittelbar zusammenhängt, in der Metaanalyse überhaupt nicht berücksichtig wurde: die negativen Auswirkungen der Pandemie auf die psychosoziale Entwicklung und die körperliche Verfassung von Kindern und Jugendlichen.

Mit Material vom Science Media Center (SMC).

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCorona-Pandemie
:"Die meisten haben sich ganz gut erholt"

In der Pandemie litten viele Kinder und Jugendliche unter psychischen Belastungen. Die Lage ist besser geworden, aber noch immer geht es vielen jungen Menschen schlecht. Was Fachleute fordern.

Von Christina Berndt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: