Grundlagenforschung:Dieses Mischwesen könnte die Medizin voranbringen

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Das grüne Leuchten in den Augen beweist: Äffchen Nummer zehn war eine Chimäre. (Foto: Cell Cao et al)

Ein chinesisches Team hat in einen Affen-Embryo Stammzellen eines anderen Affen injiziert - und ein lebendes Tier mit grün leuchtenden Augen geschaffen. Gruselig? Warum Experten das Experiment für einen Durchbruch halten.

Von Hanno Charisius

Auf den flüchtigen ersten Blick sehen die Punkte in den Augen des Äffchens aus wie Reflexionen. Aber dann, nanu, die sind ja grün? Was da schimmert, sind Zellen, denen ein Gen eingepflanzt wurde, das sie grün leuchten lässt. Auch die Fingerkuppen des Tieres strahlen in derselben Farbe. Es ist der Beweis, dass es einer Forschergruppe in China gelungen ist, eine lebende Chimäre zu erschaffen - ein Äffchen mit Zellen zweier Lebewesen. Vergleichbares war bislang nur mit Mäusen und Ratten gelungen, noch nie mit einem so großen Tier.

Dazu hatte das Team um Zhen Liu vom Forschungszentrum Cebsit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Shanghai aufwendig vorbereitete Stammzellen von Javaneraffen im Labor in Embryonen anderer Javaneraffen injiziert. Mehr als 200 Embryonen erzeugte das Team auf diese Weise. Nachdem diese im Labor zu sogenannten Blastozysten herangereift waren, konnte das Team in 74 dieser Zellhaufen ein grünes Leuchten erkennen. Dies rührte von einem Protein, das sie in die injizierten Stammzellen als Signal eingefügt hatten. Jede Zelle, die grün leuchtet, stammt demnach aus den Stammzellen und nicht aus dem behandelten Affen-Embryo.

Die Forschergruppe spülte die 74 leuchtenden Blastozysten in die Gebärmütter von 40 Affenweibchen, zwölf Schwangerschaften kamen so zustande. Sechs der Föten verstarben vor der Geburt, sechs kamen lebend zur Welt, nur eines der Neugeborenen, das Äffchen mit der Nummer zehn, zeigte bei den Analysen chimäre Eigenschaften, erkennbar an grünem Leuchten in einigen Geweben. Augen, Fingerkuppen, Lunge, Leber oder Gehirn hatten 20 bis 90 Prozent grün leuchtende Zellen - ein klares Zeichen dafür, dass Nummer zehn ein Mischwesen aus zwei Tieren war, deren Zellen zusammen funktionierten.

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Das taten sie allerdings nicht besonders gut. Affe Nummer zehn hatte Schwierigkeiten zu atmen und mit der Temperaturregulierung. Zehn Tage nach seiner Geburt wurde er eingeschläfert. "Man muss sich fragen, ob diese Untersuchungen das Leid rechtfertigen, das sie erzeugt haben", sagt deshalb Stefan Schlatt, Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster, der selbst auch Versuche an Primaten macht.

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Dass es grundsätzlich möglich ist, nach Ratten und Mäusen auch eine Affenchimäre mithilfe von Stammzellen zu erschaffen, wurde von den meisten Expertinnen und Experten nicht mehr bezweifelt, nur hatte bislang noch nie jemand die Fleißarbeit auf sich genommen, es auch wirklich zu zeigen. "Das Paper zeigt, dass die systematische und mühsame Suche nach optimalen Kulturbedingungen und Versuchsaufbauten notwendig ist, um von einer prinzipiellen Entdeckung zu einer effizienten Anwendung zu kommen", sagt Schlatt. Dies müsse "als grundlegender wissenschaftlicher Durchbruch betrachtet werden". Gleichzeitig zeige das Ergebnis, "dass die Nachkommen ungesund sind und nicht mehr als ein paar Tage überleben können. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass Chimärismus, in welcher Form auch immer, keine Strategie für den menschlichen Gebrauch ist".

Äffchen Nummer zehn am dritten Tag nach der Geburt: Haut, Augen und Fingerkuppen erscheinen durch die hinzugefügten Stammzellen grünlich. (Foto: Cell/Cao et al.)

Das Paper mache deutlich, so Schlatt, wie schwierig es sei, lebende chimäre Tiere zu erschaffen. Es werde "auf lange Sicht kaum gelingen, Mischwesen zweier Arten lebend zur Welt zu bringen". Rüdiger Behr vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen sieht potenzielle künftige Anwendungsmöglichkeiten vor allem in zwei Bereichen: bei der Erforschung von Möglichkeiten zur Herstellung von Organen aus menschlichen Zellen im Tier sowie bei der Entwicklung und Überprüfung neuer Therapien. In chimären Schweinen könnten womöglich Herzen oder Lebern aus menschlichen Stammzellen heranwachsen, so Behr.

Schweine sind für diesen Zweck schon wegen ihrer Größe weit besser geeignet als Javaneraffen. Auch sind sie leichter zu züchten. Doch für Stefan Schlatt fällt die neue Arbeit in den Bereich der Grundlagenforschung. Die Chimärenbildung bei Javaneraffen belegt vor allem die Anpassungsfähigkeiten der injizierten Stammzellen: Sie konnten in dem Embryo viele verschiedene Rollen übernehmen. Javaneraffen zählen zu den Primaten, wie auch der Mensch. "Die Arbeit ist ein weiterer spannender grundlagenwissenschaftlicher Durchbruch in der Stammzelltechnologie und Entwicklungsbiologie", sagt Schlatt. "Langsam, aber sicher werden die Rätsel am Anfang des Lebens gelöst. Gleichzeitig lernen wir, wie entscheidend zelluläre Zustände und Synchronisation bei der Bildung eines Organismus sind."

Mit Material vom Science Media Center.

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