Entwicklungsbiologie:Künstliche menschliche Embryonen im Labor erschaffen

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Stammzellen werden im Labor behandelt. (Foto: Andrew Brookes via www.imago-images.de/Westend61)

Forschergruppen melden, diesen Schritt vollzogen zu haben. Das klingt unheimlich. Obwohl mit lebenden Menschenklonen aus dem Labor vorerst nicht zu rechnen ist, fordern Ethiker eine breite ethische Debatte. 

Von Hanno Charisius

Es kommt nicht oft vor, dass die Öffentlichkeit ein wissenschaftliches Wettrennen praktisch live verfolgen kann. Nachdem am vergangenen Mittwoch die Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz von der Universität Cambridge während eines Vortrags in Boston erklärte, ihr Team habe aus Stammzellen synthetische menschliche Embryonen geschaffen, berichtete zunächst der britische Guardian darüber - Fachartikel waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht. Am Donnerstag lud die konkurrierende Arbeitsgruppe um den Stammzellforscher Yaqub Hanna vom Weizmann-Institut in Israel einen Aufsatz in die online-Datenbank für biomedizinische Vorabveröffentlichungen BioRxiv, in der sie ein sehr ähnliches Ergebnis wie Zernicka-Goetz präsentierte, nur mit anderem Vorgehen. Zwei weitere Arbeitsgruppen veröffentlichten dort ebenfalls am Donnerstag Vorabberichte über Arbeiten mit künstlichen menschlichen Embryonen. Und am Freitag folgte schließlich der Aufsatz des Teams um Zernicka-Goetz, in dem die Forschenden Details zum Vortrag in Boston darlegten.

Keiner dieser Fachartikel wurde bislang von unabhängigen Fachleuten eingehend begutachtet. Doch Expertinnen und Experten sind sich einig darin, dass damit ein erwarteter, aber dennoch großer Schritt für das Forschungsgebiet vollzogen wurde. Bislang waren solche Experimente nur im Zusammenhang mit Tierembryonen beschrieben. In dem Wettstreit geht es aber nicht nur um wissenschaftlichen Ruhm, sondern auch um Schutzrechte für die Methoden. Forschende der Gruppen um Zernicka-Goetz und Hanna erklärten, an Patentanmeldungen beteiligt zu sein.

Ein ganzer Mensch könnte aus den Zellhaufen bislang nicht erwachsen

Die im Labor aus Stammzellen geschaffenen Embryonen muss man sich als Zellhaufen vorstellen. Sie haben vielleicht das Potenzial, zu einem Menschen zu erwachsen, doch im Labor gibt es dafür keine Techniken. Und in die Gebärmutter einer Frau könnte man diese Konstrukte auch nicht übertragen, weil sie einen dazu notwendigen Entwicklungsschritt auslassen.

Die Forschenden bezeichnen ihre synthetischen Embryonen deshalb auch als "Modelle" - womöglich hilfreich für die regenerative Medizin, die Fortpflanzungsmedizin und Entwicklungsbiologie. "Darüber hinaus wird die Diskussion um diese Art der Embryonenherstellung auch den rechtlichen und ethischen Rahmen in Deutschland, und darüber hinaus, vor eine neue Herausforderung stellen", schreiben Nils Hoppe und Sara Röttger vom Centre for Ethics and Law in the Life Sciences (CELLS) an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover in einer gemeinsamen Stellungnahme zu den Berichten aus England und Israel. "Sind synthetische Embryonen weniger schutzwürdig als zum Beispiel überzählige Embryonen aus einer Kinderwunschbehandlung? Wir werden uns da noch einmal gesellschaftlich neu orientieren müssen."

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Das Team um Zernicka-Goetz veränderte menschliche Stammzellen gentechnisch so, dass diese anfingen, nicht nur einzelne Gewebetypen, sondern einen kompletten Embryo zu entwickeln. Hannas Gruppe benutzte statt Gentechnik einen Cocktail aus Biochemikalien, um diese Transformation anzustoßen. Dass es möglich sein müsste, aus einzelnen Stammzellen ganze Embryonen mit verschiedenen Zelltypen zu züchten, war bereits zuvor in Versuchen an Affen und Mäusen gezeigt worden. Insofern war die Übertragung auf menschliche Zellen nur eine Frage der Zeit.

Es sei beeindruckend zu sehen, "wie mehr als ein Jahrzehnt sehr grundlegender Forschung" zu diesem Ergebnis führte, sagt Jesse Veenvliet, Leiter der Arbeitsgruppe Embryogenese am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, der nicht an den Arbeiten beteiligt war. Die Ähnlichkeit der künstlichen Embryonen mit den natürlichen Äquivalenten bezeichnet er als "bemerkenswert, fast unheimlich."

Markieren die Experimente eine Renaissance des Klonens?

Auch Michele Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe "Mouse Embryology" am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster ist beeindruckt von den Arbeiten, "ich sehe allerdings die verwendete sprachliche Nomenklatur kritisch, bei der die kreierten embryonalen Strukturen als bloße 'Modelle' der menschlichen Embryonalentwicklung bezeichnet werden." Als Mausbiologe sieht er die Sache so: Wenn die Funktion der Entwicklung gegeben ist, seien die Konstrukte schlicht als Embryo zu betrachten - unabhängig von der biologischen Herkunft. "Insofern diese die frühe menschliche Entwicklung rekapitulieren, sollten sie Embryonen genannt und nicht wie bloße Modelle behandelt werden - gerade auch im rechtlichen Sinne."

Dem stimmt Ingrid Metzler zu, sie arbeitet im Fachbereich für Biomedizinische Ethik und Ethik des Gesundheitsheitswesen der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems. Die Gruppen um Hanna und Zernicka-Goetz "scheinen zu suggerieren, dass Arbeiten mit stammzellinduzierten Embryonenmodellen eine ethische Alternative zur Forschung an Embryonen sein könnten", sagt Metzler. "Aus der Sicht der Gruppen ist das eine nachvollziehbare Position. Ich denke aber, dass es vorschnell wäre, diese Positionierung zu einer allgemeingültigen Einordnung mit der Forschung an und mit diesen neuartigen Objekten zu machen."

Prinzipiell wäre ähnliche Forschung auch hierzulande denkbar. "In Deutschland ist die Herstellung artifizieller embryoähnlicher Strukturen nicht verboten", sagt der Medizinrechtler Jochen Taupitz von der Universität Mannheim. Aus ihnen könne sich niemals ein geborener Mensch entwickeln. Daher findet er es auch richtig, die im Ausland teils geltende 14-Tages-Regel, wonach an Embryonen nur bis zwei Wochen nach der Befruchtung geforscht werden soll, nicht auf sie anzuwenden. Wenn die künstlichen Embryos allerdings wie im aktuellen Fall aus embryonalen Stammzellen erzeugt werden, greift das Stammzellgesetz, das solche Forschung nur mit strengen Vorgaben erlaubt. Anders wäre es, wenn iPS-Zellen verwendet würden, umprogrammierte Körperzellen: "Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) und daraus abgeleitete Entitäten dagegen sind nicht vom Stammzellgesetz erfasst", sagt Taupitz.

Aus Sicht von Michele Boiani handelt es sich bei den geschaffenen Zellhaufen nicht nur um Embryonen, sondern auch um Klone, die aus den Stammzellen im Labor gezüchtet werden. Demnach stellen die Experimente "letztlich eine Renaissance des Klonens von menschlichen Embryonen" dar.

Mit Material vom Science Media Center

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