Psychologie:Wer weiß gut Bescheid, und wie färbt das auf das Weltbild ab?

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Vermummte Demonstranten entzünden am 1. Mai in Berlin Kreuzberg Rauchtöpfe und Pyrotechnik. (Foto: Christian Mang/imago/Christian Mang)

An beiden politischen Rändern dünnt das Wissen zunehmend aus. Das stärkste Fundament aus Fakten haben hingegen Leute, die sich leicht links oder rechts der Mitte einsortieren.

Von Sebastian Herrmann

Die Debatten der Gegenwart wirken oft wie ein kollektives Abfahrtsrennen. Die Teilnehmer überbieten sich darin, auf ihren ideologisch präparierten Steilhängen Richtung Abgrund zu rauschen. Der Absturz kommt, das Ende ist nah - nur welches Ende gemeint ist, das unterscheidet sich je nach Lager. Die Zeit der Polykrisen ist auch die Zeit der Bescheidwisser, jener Stimmen, die sich zu wirklich allem äußern und ihre Wahrheit bevorzugt in Form von Parolen predigen. Da gleichen sich die fremdenfeindliche Rechte und die identitätsbornierte Linke. Und noch ein Element könnte die beiden Enden des politischen Spektrums vereinen: Mutmaßlich fußen viele ihrer finsteren Zeitdiagnosen sowie die daraus abgeleiteten Patentlösungen auf wackeligem Wissensgerüst. Wobei: Wie so oft fällt die Diagnose komplexer aus, als das für einen groben Rundumschlag gut ist.

Psychologen um Jonas De Keersmaecker von der Universität Gent, Belgien, haben sich mit dem Zusammenhang von politisch relevantem Wissen und weltanschaulicher Orientierung befasst. Wer weiß gut Bescheid, und wie färbt das auf das Weltbild ab? Für ihre im Fachjournal Scientific Reports publizierte Studie haben die Forscher repräsentative Daten von 63 544 Probanden aus 45 Ländern ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass an beiden Enden der politischen Arena, dort wo die lautesten Rechthaber plärren, im Vergleich geringeres politisches Wissen zu Hause ist. Am besten informiert waren jene, die moderat nach links oder rechts tendierten. Ganz in der Mitte des politischen Flusses beobachteten die Forscher eine kleine Untiefe, auch hier war das Wissen eher flach.

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Extremisten aller Lager sind also ignorant, und die erschlaffte Mitte ist desinteressiert? Die Forscher warnen in ihrer Publikation vor Pauschalurteilen. Das beschriebene Muster finde sich vor allem, aber nicht ausschließlich, in den Staaten des sogenannten Westens, schreibt das Team um De Keersmaecker. Auch in den Daten aus Deutschland zeigt sich diese beschriebene flache M-Kurve mit zwei Wissenshöckern links und rechts der Mitte. In anderen Staaten stießen die Wissenschaftler jedoch auch auf andere Muster. In sieben Ländern - darunter Südkorea, Irland und die Türkei - ergab die Auswertung keinen Zusammenhang von relevantem Wissen und der politischen Einstellung. In Ländern wie Finnland, Chile oder Taiwan zeigten die Daten einen linearen Trend: Das Wissen stieg im Schnitt von links nach rechts kontinuierlich an. Und in Argentinien, Brasilien und weiteren Staaten war es genau umgekehrt.

Woran das liegen mag, dass sich die Muster des Westens nicht in allen Ländern zeigen? Was relevantes Wissen sei und was als links oder rechts gelte, sei hochgradig kulturabhängig, argumentieren die Forscher. Was etwa in Südafrika als politisch moderat betrachtet werde, sei in den USA oder anderswo vielleicht eine extreme Haltung - und umgekehrt. Unstrittig scheint hingegen laut anderen Studien zu sein: An den Rändern sind extreme Meinungen zu Hause, die oft auf Kollisionskurs mit der sogenannten Realität sind, ihren Haltern aber ein süßes Gefühl der Überlegenheit spendieren.

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