Konjunktur:Es droht die nächste große Wirtschaftskrise - und alle schauen zu

Wall Street - Passanten vor der New Yorker Börse

Passanten im Jahr 2008 vor der New Yorker Börse: Man könnte meinen, dass die großen Wirtschaftsnationen heute besser vorbereitet sein müssten als damals.

(Foto: dpa)

Sollte die Weltwirtschaft tatsächlich einbrechen, wäre es eine Rezession mit Ansage. Und die großen Nationen sind keinesfalls besser vorbereitet als 2008 - im Gegenteil.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, New York

Als 2008 die größte Finanzkrise seit acht Jahrzehnten über die westliche Welt hereinbrach, wurden Politiker und Notenbanker von der Wucht der Turbulenzen völlig überrascht. Hektisch wurden Notfallpakete geschnürt, Firmen verstaatlicht, Banken zwangsfusioniert. Die Finanzminister der G-7-Staaten hingen in einer Art Dauertelefonschalte fest, Notenbanker auf allen Kontinenten senkten die Leitzinsen, die Regierungschefs der G 20 eilten zum Krisengipfel nach Washington. Obwohl es schließlich gelang, die einzelnen Konjunkturprogramme grob aufeinander abzustimmen und die Ausarbeitung neuer Bankenregeln in Auftrag zu geben, brach die Wirtschaft vor allem in den USA und in Deutschland dramatisch ein.

2020 könnte das Jahr der nächsten großen Wirtschaftskrise werden - und anders als vor elf Jahren wissen diesmal alle seit Monaten Bescheid. Sollte es tatsächlich zum Einbruch kommen, wäre es die Krise mit der wohl längsten Vorwarnzeit, die es je gab, eine Rezession mit Ansage gewissermaßen, ein langsamer, freiwilliger Abstieg in die Schlangengrube.

Man könnte meinen, dass die großen Wirtschaftsnationen deshalb viel besser vorbereitet sein müssten als 2008, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Warnleuchten blinken grell, aber statt um gemeinsame Gegenrezepte drehte sich der G-7-Gipfel in Biarritz vor allem um das Selbstwertgefühl des US-Präsidenten: Alle Amtskollegen hätten ihn um die Wirtschaftskraft seines Landes beneidet, twitterte Donald Trump noch während des Treffens. Dass er diese Kraft gerade dafür einsetzt, den globalen Konjunkturaufschwung zu demolieren, erwähnte er hingegen nicht.

Dabei ist völlig klar, dass es Trumps aggressive Handelspolitik ist, die die Turbulenzen in der Welt ausgelöst und befeuert hat. Welcher international tätige Konzern soll noch investieren, wenn völlig unklar ist, ob er nicht alle Kostenkalkulationen mit dem nächsten Zollbeschluss Trumps über den Haufen werfen muss? Natürlich gibt es weitere Gründe für die Flaute - Missmanagement in der deutschen Autoindustrie etwa, politisches Chaos in Großbritannien und Italien, die schiere Länge des weltweit immer noch laufenden Aufschwungs, der irgendwann zu Ende gehen muss. Das größte Problem aber ist ein irrlichternder Präsident, der sich "der Auserwählte" nennt und glaubt, über den ökonomischen Grundregeln zu stehen.

Dabei ist es aus Trumps Blickwinkel sogar nachvollziehbar, dass er die Augen vor der Realität verschließt: Die bisher noch sehr ordentliche Wirtschaftslage in den USA ist sein wichtigstes Argument, warum ihn die Amerikaner bei der Wahl in gut einem Jahr mit einer zweiten Amtszeit belohnen sollen. Ihm wird daher keine Lüge zu peinlich, keine Verschwörungstheorie zu abwegig sein, um die Gefahren entweder zu leugnen oder, so der Plan B, andere verantwortlich zu machen: die US-Notenbank Fed, die Medien, die Deutschen.

Statt die Kräfte zu bündeln, zerfallen die Europäer in Grüppchen

Damit fallen im Kampf gegen die Flaute die USA als wichtigste Wirtschaftsmacht der Welt aus. Das bedeutet, dass Europa sich auf sich selbst besinnen und zügig einen eigenen Krisenplan ausarbeiten muss. Die Voraussetzungen dafür sind eigentlich sehr gut: Viele Länder können praktisch zum Nulltarif Kredite aufnehmen, in Deutschland ist die Staatsschuld so gering wie seit 15 Jahren nicht mehr. "Ich kann mir heute keinen Ort auf der Welt vorstellen, wo es mehr Argumente für einen staatlich finanzierten Konjunkturimpuls gibt als in Deutschland", hat Jason Furman, einst Chef-Wirtschaftsberater von Barack Obama, dieser Tage gesagt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Das gilt umso mehr, als die Fed und die Europäische Zentralbank im Kampf gegen eine Rezession diesmal längst nicht jene Rolle werden spielen können wie beim letzten Mal. Die EZB ist noch von der Euro-Krise ausgelaugt, beide sind zudem politisch angeschlagen, sturmreif geschossen von vermeintlichen Staatsmännern, die selbst nichts zustande bringen und nach Sündenböcken suchen. Es ist geradezu niederträchtig, dass der scheidende EZB-Präsident Mario Draghi für seine Nullzinspolitik ausgerechnet in jenem Land am meisten angefeindet wird, das auf dem größten Geldkoffer sitzt, aber zu geizig ist, diesen zu öffnen: Deutschland wird dafür von Ökonomen in aller Welt zu Recht kritisiert, ja teilweise gar verachtet.

Statt die Kräfte zu bündeln, zerfallen die Europäer in Grüppchen: Deutschland und Frankreich, einst gemeinsam Motor der Integration, sind in zentralen Fragen uneins, Großbritannien und Italien mit ihrer Selbstzerstörung beschäftigt. Die Lage ist deshalb womöglich kritischer als im Jahr 2008, als zumindest nicht infrage stand, dass die großen Wirtschaftsnationen im Zweifel zur Kooperation bereit sind. Das sollten sich gerade in Deutschland all jene vor Augen führen, die immer noch Jubeltänze über den Titel des "Exportweltmeisters" aufführen und sich ansonsten auf andere verlassen. Niemand wird der Bundesrepublik zur Hilfe eilen, wenn das Land in die Krise schlittert - schon gar nicht "der Auserwählte".

Zur SZ-Startseite
Container im Hamburger Hafen

Leserdiskussion
:Drohende Wirtschaftskrise - wie gegensteuern?

2020 könnte das Jahr der nächsten großen Wirtschaftskrise werden, kommentiert SZ-Autor Claus Hulverscheidt. Im Gegenteil zu 2008 wüssten die großen Nationen jedoch Bescheid - nur keine sei vorbereitet.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: