Ressourcen:Wem gehört das Wasser?

Ressourcen: Hier wird Wasser in einem Hochbehälter im Forstenrieder Park nahe München gelagert.

Hier wird Wasser in einem Hochbehälter im Forstenrieder Park nahe München gelagert.

(Foto: SWM/Heinrich Hülser (Ziggy))

Wegen des Klimawandels könnte das Wasser bald auch in Deutschland knapp werden. In einer Stadt in Franken hat der Verteilungskampf schon begonnen.

Von Uwe Ritzer

Seit Wochen kommt die Frage immer wieder auf, an Bierzelttischen, bei Bürgerversammlungen und in den Leserbriefspalten der Lokalzeitungen. Wirklich beantwortet hat sie allerdings noch niemand. Wer sie in einen der aufgewühlten Säle wirft, erntet viel Beifall, aber auch ratlose Blicke von zuständigen Beamten. Denn mithilfe von geltenden Paragrafen ist diese Frage kaum zu beantworten: Darf man einem privaten Mineralwasser-Konzern erlauben, 10 000 Jahre altes, reines Tiefengrundwasser 250 Meter an die Erdoberfläche hochzupumpen, in Einweg-Plastikflaschen abzufüllen, durch die Republik und womöglich sogar ins Ausland zu karren und in Discountern zu verkaufen? Und zwar immer mehr davon?

Es ist ein harter Verteilungskampf, der da im Altmühltal ausgebrochen ist. Man kennt solche Konflikte aus armen, trockenen Ländern auf der südlichen Halbkugel oder aus den französischen Vogesen, wo der Lebensmittelriese Nestlé der Kleinstadt Vittel ihr Wasser abgräbt. Im wasserreichen Deutschland ist es eine krasse Ausnahme, dass sich Bürger, öffentliche Versorger und eine Firma um Wasser streiten. Noch, muss man dazu sagen.

"Das kann sich schnell ändern, wenn der Klimawandel sich beschleunigt und wir mehr trockene Sommer bekommen wie 2018", sagt Jörg Rechenberg, Wasser-Experte im Umweltbundesamt. Dann werde sich schnell "die Frage stellen, welche Nutzung Priorität haben soll: die öffentliche Trinkwasserversorgung oder die Mineralwasserproduktion?"

Im Altmühltal wird genau das gerade diskutiert. Es geht also um große Fragen: Wem gehört eigentlich das Wasser, und wie geht man sparsam damit um? Schauplatz ist die Kleinstadt Treuchtlingen. Dort betrieb die Unternehmerfamilie Schäff lange und nicht immer skandalfrei eine Brauerei, ehe sie auf alkoholfreie Getränke umstieg, und speziell Mineralwasser. Sie dehnte ihre Geschäfte aus und erschuf so einen der größten deutschen Getränkekonzerne. Ein verschachteltes, verschwiegenes Konglomerat, zu dem auch die Firma Altmühltaler Mineralbrunnen gehört.

Anders als der Name suggeriert, ist der Firmensitz im brandenburgischen Baruth. In Treuchtlingen darf die Firma bereits 250 000 Kubikmeter Tiefengrundwasser fördern und abfüllen. Abnehmer sind hauptsächlich Discounter. Nun will die Firma ihre Fördermenge mehr als verdoppeln, auf 550 000 Kubikmeter. Dafür will ihr die Stadt einen ihrer Brunnen überlassen, den sie 1986 eigentlich zur Trinkwasserversorgung gebohrt, aber nie genutzt hat. Ganze 0,01 Cent pro Liter soll Altmühltaler künftig an die Kommune bezahlen. Treuchtlinger Bürger zahlen fast 25 Mal so viel für ihr Trinkwasser, das übrigens aus der Fernleitung kommt.

Der Vorgang ist brisant. Immerhin warnen Fachleute der bayerischen Wasserwirtschaftsbehörden schon seit mehr als 20 Jahren davor, das Tiefengrundwasser-Reservoir noch stärker auszubeuten. Gerade erst haben sie einem öffentlichen Wasserversorger unweit von Treuchtlingen die Fördermenge gekürzt, wegen Übernutzung. "Eine Entnahmesteigerung ist daher fachlich nicht vertretbar", heißt es im Bescheid. Beim Getränkekonzern hat das zuständige Wasserwirtschaftsamt in Ansbach aber keine Bedenken: Die Entnahme der zusätzlichen 300 000 Kubikmeter wäre vertretbar, probehalber zumindest.

Wenn sich das Klima weiter erwärmt, wird das Wasserangebot knapper

Jürgen Schröppel sieht das anders. "Überhaupt nicht nachvollziehbar" nennt der SPD-Oberbürgermeister der Treuchtlinger Nachbarstadt Weißenburg die Entscheidung. Seine Stadt bezieht den größten Teil ihres Trinkwassers aus eigenen Brunnen, die aus denselben Tiefengrundwasserschichten schöpfen. Einstimmig lehnte der Weißenburger Stadtrat die Treuchtlinger Mineralwasserpläne ab und kündigte an, notfalls dagegen zu klagen.

Jörg Rechenberg vom Bundesumweltamt sagt: "Bislang hat die Entnahme durch Mineralwasserfirmen keine gravierenden Auswirkungen auf die Grundwasserspiegel in Deutschland." Was aber, wenn sich das Klima weiter erwärmt? Dann würde das Wasserangebot knapper - und der Bedarf gleichzeitig größer. Eine unheilvolle Kombination. Hinzu kommt, dass die Deutschen heute schon mehr Mineralwasser trinken als je zuvor. Es gibt seriöse Prognosen, wonach der weltweite Verbrauch an verpacktem Wasser aktuell um jährlich neun Prozent steigt.

Es geht es nicht nur um ein Getränk. Sondern auch um Macht und Ohnmacht

In Deutschland gehöre "Wasser niemandem und allen", sagt Professor Michael Reinhardt, Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Wasserrecht der Universität Trier. "Es ist nicht eigentumsfähig, sondern Allgemeingut und die Gesetze sehen vor, dass der Staat über die Zuteilung wacht und bestimmt." Das übernehmen die Landesbehörden. Sie müssen "auf eine sorgsame Bewirtschaftung im Interesse der Allgemeinheit achten", sagt Reinhardt. Dabei habe "niemand einen Rechtsanspruch auf Wasser. Am Ende ist es immer eine Ermessenssache der zuständigen Behörden, wer wie viel bekommt." Grundsätzlich habe aber die öffentliche Versorgung Vorrang vor privatwirtschaftlichen Interessen der Getränkehersteller. Aktuell habe Deutschland ohnehin "eher ein qualitatives als ein quantitatives Grundwasserproblem", sagt Jörg Rechenberg vom Umweltbundesamt und verweist auf "anhaltend große Probleme bei oberflächennahen Grundwasserschichten". Die EU hat Deutschland deswegen im Visier; außer in Malta ist das Grundwasser nirgendwo in Europa so nitratbelastet. Brüssel kritisiert seit Langem, dass Deutschland zu wenig dagegen unternehme. Diese Woche einigte sich die Bundesregierung auf strengere Düngerichtlinien. Sie sollen verhindern, dass Deutschland bald jenes Strafgeld zahlen muss, welches laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs droht - 800 000 Euro pro Tag.

In Deutschland konkurrieren etwa 6000 öffentliche Versorger und an die 500 Mineralwasserhersteller um Grundwasser. Je schlechter dessen Qualität, desto tiefer müssen sie nach reinen Vorkommen bohren. Auch in Treuchtlingen ist das so.

Allerdings geht es dort nicht mehr nur um Wasser. Es geht auch um Macht und Ohnmacht. Das 13 000 Einwohner zählende Städtchen hat wenig zu bieten. Die Schäffs sind mit etwa 200 Beschäftigten in ihren Firmen einer der größten Arbeitgeber. Sie locken damit, im Gegenzug für mehr Tiefenwasser einen Großteil ihrer Produktion aus dem Stadtkern an die Peripherie zu verlagern und 65 Millionen Euro zu investieren. "Das würde Arbeitsplätze sichern und wir bekämen den enormen Schwerlastverkehr endlich raus aus der Stadt", sagt Bürgermeister Werner Baum.

Die Treuchtlinger wollen ihr Wasser behalten und begehren auf

Also ist Treuchtlingen dem Getränkeriesen brav zu Diensten. Dessen Expansionspläne wurden im Stadtrat nichtöffentlich beraten. Nicht die Firma, sondern die Stadtwerke beantragten zunächst die Genehmigung der zusätzlichen 300 000 Kubikmeter. Dass von Anfang an nur von einem Probebetrieb die Rede war, hatte für alle Beteiligten den angenehmen Nebeneffekt, die andernfalls gesetzlich vorgeschriebene, breite Bürgerbeteiligung zu umgehen.

Weder die Stadt noch die Firma Altmühltaler, die mehrere SZ-Anfragen unbeantwortet ließ, informierten die Öffentlichkeit über das Vorhaben. Ziel war offenkundig, unumstößliche Fakten zu schaffen. Seit doch alles bekannt wurde, sind viele Menschen vor Ort nicht nur empört über so viel Geheimnistuerei, sondern auch besorgt und erstaunlich sensibel für den Umgang mit der Ressource Wasser. Mehr als doppelt so viele Treuchtlinger wie nötig gewesen wären, haben einen Bürgerentscheid beantragt. Sie fürchten, dass aus einem befristeten Probebetrieb eine Dauerlösung wird. Denn ungeachtet aller Bekundungen von Firma und Behörden kann sich niemand vorstellen, dass Altmühltaler 65 Millionen Euro investiert, um sich dann kampflos damit zufriedenzugeben, wenn die Entnahme am Ende der Versuchsphase wieder zurückgeschraubt wird.

Einer, der solche Diskussionen mit Interesse verfolgt, weil er den Umgang mit Grundwasser schon lange kritisch sieht, lebt nur eine knappe Autostunde entfernt, in Neumarkt in der Oberpfalz. Franz Ehrnsperger, 73, gilt als Öko-Pionier in Sachen Getränke. Schon vor Jahrzehnten produzierte seine Brauerei Lammsbräu ausschließlich Bier aus biologischen Zutaten - und Bio-Mineralwasser. Ehrnsperger setzte durch, dass auch Wasser bio sein darf, der Fall ging bis vor den Bundesgerichtshof. Das entsprechende Gütesiegel ist verknüpft mit harten Auflagen an die Wasserqualität, aber auch an die Landwirtschaft im Einzugsbereich der Brunnen. "Sauberes Wasser ist ein Menschenrecht", sagt Ehrnsperger. "Wer Wasser fördert, muss sich einer Gesamtverantwortung stellen. Mineralwasser fördern bedeutet mehr als nur ein Loch bohren, Wasser fördern und, wenn irgendwann nichts mehr kommt, an anderer Stelle einen neuen Brunnen bohren." Einfach immer tiefer zu bohren, sei auch keine Lösung. "Egal, wer Tiefengrundwasser anzapft - er muss sich die Frage stellen, was geschieht, wenn es irgendwann nicht mehr reicht oder verunreinigt ist." Wer nachhaltige Wasserbewirtschaftung betreiben wolle, müsse daher auch den Ökolandbau fördern, sagt er. "Um das Grundwasser zu schützen, brauchen wir eine radikale Umkehr in der Agrarpolitik."

Auch Experte Jörg Rechenberg vom Umweltbundesamt rät zu einem weiteren Blick. Es gehe ja nicht nur darum, wie viel Wasser aus welchen Tiefen gefördert werden darf. "Mit Mineralwasser sind auch andere negative, ökologische Folgen verbunden, etwa die Abfüllung in Plastikflaschen und der Transport." Auch hier sei nicht nur Aufklärungsarbeit nötig. "Die Politik ist gefordert, Umweltauflagen zu machen."

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