Entwicklungspolitik:Die Weltbank erfindet sich neu

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Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, will, dass die natürlichen Lebensgrundlagen in der Welt geschützt werden. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Mehr Klimaschutz, mehr Gesundheitsvorsorge, mehr Geld: Die Staatengemeinschaft will die Entwicklungspolitik neu aufstellen. Kritik üben ausgerechnet diejenigen, die profitieren sollen.

Von Claus Hulverscheidt, Marrakesch

Pandemie, Klimaschock, Inflation: Was für Bürgerinnen und Bürger in den westlichen Industrienationen Erschwernis, Ärger und teilweise auch finanzielle Einschränkung bedeutet, wird für Menschen in den ärmsten Staaten der Welt rasch zur lebensbedrohlichen Gefahr. Mit jedem Prozentpunkt, der den Volkswirtschaften der Entwicklungsländer an Wachstum verloren geht, werden 100 Millionen Menschen in Armut und weitere 50 Millionen sogar in extreme Armut gestürzt. So hat es Weltbankpräsident Ajay Banga bei der gemeinsamen Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und seiner eigenen Institution in Marrakesch jetzt vorgerechnet. "Die Frustration des globalen Südens ist verständlich. Sie bezahlen in vielfacher Hinsicht die Zeche für den Wohlstand anderer", so Banga.

Weil das so ist, hat sich der Weltbankchef nun selbst an die Spitze derer gesetzt, die die internationale Entwicklungspolitik auf ein neues Fundament stellen wollen. Ja, man kann sagen: Die Weltbank will sich nach 80 Jahren neu erfinden und über die Armutsbekämpfung hinaus auch zur Gesundheits-, Umwelt- und Klimabank werden. Haupttreiber sind neben Banga US-Finanzministerin Janet Yellen und Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze.

Dass die Weltbank im Mittelpunkt aller Reformüberlegungen steht, liegt auf der Hand, denn die IWF-Schwester ist mit jährlichen Ausleihungen und Zuschüssen von mehr als 100 Milliarden US-Dollar der mit Abstand größte Entwicklungsfinanzierer der Erde. Das Problem ist nur: Bislang vergibt sie ihre deutlich zinsverbilligten Kredite praktisch ausschließlich, um damit in einem bestimmten einzelnen Land etwa die Lebensmittelversorgung oder die Schulbildung zu verbessern. Gerade die letzten Jahre jedoch haben gezeigt, dass auch die Entwicklungsländer zunehmend mit Problemen zu kämpfen haben, die nicht an Landesgrenzen halt machen: Pandemien, klimabedingte Naturkatastrophen und Preiserhöhungen für lebenswichtige Güter etwa. Daraus wollen die 189 Mitgliedsstaaten der Weltbank nun Konsequenzen ziehen. Oder, wie Schulze es in Marrakesch formulierte: Man bringe die altehrwürdige Institution "auf die Höhe der Zeit".

Die Entwicklungsländer benötigen 2,3 Billionen Euro Hilfe - pro Jahr

"Im 21. Jahrhundert kann man nur erfolgreich Armut bekämpfen, wenn man zugleich auch die natürlichen Lebensgrundlagen schützt", sagte Schulze. Diese Erkenntnis werde in Zukunft nicht nur integraler Bestandteil der offiziellen Weltbank-Mission sein. Sie solle vielmehr auch das Tagesgeschäft prägen und dazu beitragen, die globale Energiewende zu schaffen, die nächste Pandemie zu verhindern oder den Regenwald zu schützen. Um ihren Beitrag zu leisten, dass möglichst alle Menschen auf der Welt Zugang zu sogenannten "öffentlichen Gütern" wie einer sauberen Umwelt, einem stabilen Klima, Frieden und einer funktionierenden Gesundheitsversorgung haben, benötigen allein die Entwicklungsländer nach Schätzung der Bundesregierung jedes Jahr Finanzhilfen in Höhe von umgerechnet rund 2,3 Billionen Euro.

Mit der Reform will die Weltbank zugleich die Bemühungen Chinas kontern, gerade den afrikanischen Kontinent durch die Vergabe von Entwicklungshilfe der eigenen Einflusssphäre einzuverleiben. Die Kredite der Volksrepublik an Afrika haben sich seit 2010 verfünffacht, die der Weltbank hingegen stiegen nur um das Zweieinhalbfache. Allerdings erfährt Peking auch gerade, was es bedeutet, Gläubiger anderer Länder zu sein: Einige Staaten nämlich können ihre Schulden nun nicht zurückzahlen. China hat die Vergabe von Darlehen deshalb zuletzt deutlich reduziert.

Was die Weltbank angeht, sollen die Kreditkonditionen - also etwa die Zinshöhe und die Laufzeiten - so verändert werden, dass es sich für Empfängerstaaten mehr lohnt, in Projekte zu investieren, die nicht allein ihrem eigenen, sondern einem umfassenderen Nutzen dienen, also zum Beispiel der grenzüberschreitenden Bekämpfung ansteckender Krankheiten. Auch sollen zuvorderst Projekte gefördert werden, bei denen die Armutsbekämpfung etwa mit dem Klimaschutz kombiniert wird. Als Beispiel nannte Yellen Agrarprogramme, die nicht auf hohen Pestizideinsatz, sondern auf dürreresistente Pflanzen und eine effiziente Wassernutzung setzen. Außerdem will die Weltbank Ländern, die von Naturkatastrophen betroffen sind, künftig die Zins- und Tilgungszahlungen stunden.

Die Weltbank will bei der Kreditvergabe auch einmal ein höheres Risiko eingehen

Schulze betonte, die Ausweitung des Aufgabenkatalogs bedeute nicht notwendigerweise, dass die Weltbank für jedes Projekt mehr Geld zur Verfügung stellen müsse. Sie räumte aber ein, dass sich die Finanzierungsfrage bald schon stellen werde, denn die Weltgemeinschaft ist von der Erreichung der selbst gesteckten Entwicklungsziele in der Tat meilenweit entfernt.

Um das Problem anzugehen, will die Weltbank mehr privates Kapital einwerben, zugleich aber auch risikobereiter werden. Bislang agiert die Bank sehr konservativ, um ihre Kreditwürdigkeit nicht zu gefährden. So hält sie heute für jeden Dollar, den sie ausleiht, 20 Cent Eigenkapital vor. Künftig sollen es nur noch 19 Cent sein. Das klingt nach einer marginalen Änderung, trägt aber maßgeblich dazu bei, dass die Bank in den kommenden zehn Jahren 50 Milliarden Dollar mehr ausgeben kann.

Hinzukommen sollen sogenannte hybride Finanzierungsinstrumente. So will die Bundesregierung, die hier Vorreiter ist, eine Art Anleihe der Weltbank erwerben und damit 305 Millionen Euro an eigenkapitalähnlichen Mitteln in deren Kasse spülen. Die Bank könnte so zusätzlich 2,6 Milliarden Dollar ausleihen. Auch Staaten wie die USA stehen hier in den Startlöchern. Kombiniert mit weiteren Maßnahmen will Weltbank-Chef Banga das potenzielle Kreditangebot seiner Institution so um weitere 100 Milliarden Dollar nach oben treiben.

Viele Entwicklungsländer sehen die Reformpläne allerdings auch kritisch. Sie fürchten, dass die Weltbank zur reinen "Klimabank" werden könnte - und sie selbst am Ende weniger Geld für die klassische Armutsbekämpfung erhalten. Kritik kommt auch von Hilfsorganisationen. "Die Vorschläge zur längst überfälligen Reform der Weltbank greifen zu kurz. Wenn die Bank ihr Mandat weiterentwickeln und künftig neben Armut und Ungleichheit auch die Klimakrise bekämpfen soll, reicht eine einfache Kapitalerhöhung nicht aus", sagte Ute Straub, zuständige Referentin bei Brot für die Welt. "Eine größere Bank ist noch lange keine bessere Bank."

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