Wasserstoffnetz:Wie finanziert man eine Infrastruktur, die noch keiner braucht?

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Rohre einer Wasserstofferzeugungsanlage - mit einem Aufkleber "Wasserstoff". (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Fast 10 000 Kilometer Leitungen sollen künftig Wasserstoff durchs Land transportieren. Doch noch ist es noch nicht so weit, Investoren halten sich deshalb zurück. Es ist - ein klassisches Henne-Ei-Problem.

Von Michael Bauchmüller

Robert Habeck war voller Zuversicht, aber die Probleme schwanten auch ihm schon. "Wir lösen das Henne-Ei-Problem", sagte der grüne Wirtschaftsminister im vorigen November. "Wir müssen jetzt ein Netz aufbauen für einen Energieträger, der noch nicht da ist." Zwei Monate später ist klar: So wie sie bisher geplant ist, könnte die ganze Operation auch in die Hose gehen.

Die Operation: Das ist der Aufbau eines fast 10 000 Kilometer langen "Kernnetzes", das von 2032 an Wasserstoff durchs ganze Land transportieren soll. Dieses Netz wäre gewissermaßen die Henne, die dann fleißig Eier legen soll: In Kraftwerken, die mit dem Wasserstoff klimaneutralen Strom erzeugen sollen, oder in Stahlwerken, die statt mit Koks künftig mit Wasserstoff "grünen" Stahl erzeugen sollen - frei von klimaschädlichem Kohlendioxid. Teils sollen dafür alte Gasleitungen genutzt werden, teils neue errichtet werden. Auf 19,8 Milliarden Euro taxiert der Zusammenschluss der Ferngas-Netzbetreiber, FNB Gas, die Kosten dieses Kernnetzes. Das ist, zumal in Zeiten knapper Kassen, eine Menge Geld.

Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Am Mittwoch hat sich der Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie mit dieser Frage bei einer Anhörung befasst. Die Meinung der meisten Expertinnen und Experten, kurz gesagt: So wie sich der Bund das vorgestellt hat, wird das kaum funktionieren. Jedenfalls nicht ohne ein paar Änderungen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck beim Besuch einer Elektrolyseanlage von Air Liquide. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Schon die geplante Gesetzesänderung sagt viel über das Besondere am ganzen Unterfangen. Wer hierzulande ein Netz errichtet, verdient sein Geld normalerweise mit dessen Nutzung. Jede Stromleitung wird so von Stromkunden finanziert, über "Netzentgelte". Sollen aber nun Investoren den Aufbau eines Wasserstoffnetzes stemmen, können sie auf diese Einnahmequelle nicht setzen - und zwar so lange nicht, wie nicht im großen Stil Wasserstoff in das Netz eingespeist und an anderer Stelle von Industrie und Kraftwerken abgenommen wird. Ohne irgendeine Überbrückung bliebe dieses Dilemma auf ewig ungelöst, eine Wasserstoffwirtschaft könnte nie entstehen. Denn: ohne Leitung kein Umstieg.

Es bleiben Risiken

In schier endlosen Paragrafen will der Bund deshalb einen, Achtung, "intertemporalen Kostenallokationsmechanismus" schaffen. Wer in das Netz investiert, soll seine Kosten erstattet bekommen. Dazu soll ein "Amortisationskonto" entstehen, auf Pump sollen von diesem Konto die Kosten erstattet werden. Fließt dann irgendwann der Wasserstoff, und übersteigen die Netzentgelte die Kosten des Netzbetreibers, dann geht dieser Überschuss wieder auf das Konto zurück. Liefe alles nach Plan, wäre das Konto bis 2055 wieder ausgeglichen, und Deutschland hätte also ein Wasserstoffnetz, das sich selbst trägt. Im Prinzip finden das auch Netzbetreiber gut.

Doch es bleiben Risiken. Was etwa, wenn der Wasserstoff nicht fließt? Auch diesen Fall des Scheiterns soll das Gesetz regeln. Den Ausfall der Investitionen würde der Bund übernehmen, aber nicht komplett. Das Gleiche gilt für den Fall, dass das Amortisationskonto im Jahr 2055 nicht ausgeglichen ist. Das ist, angesichts aller Unsicherheiten rund um die Zukunft des Wasserstoffs, alles andere als unwahrscheinlich. Das Konto könnte um Milliarden im Minus sein - und zu 24 Prozent sollen dieses Defizit auch die Investoren mittragen. Geht zwischenzeitlich einer pleite, müssen die anderen seinen Anteil mit stemmen.

Die Fragezeichen überwiegen

Investoren schlagen jetzt schon Alarm. "Dem Wirtschaftsministerium ist es bislang nicht gelungen, einen kapitalmarktfähigen Finanzierungsrahmen vorzulegen", sagt Sebastian Schweier, bei der Versicherungskammer Bayern zuständig für Infrastruktur-Investitionen. Die Versicherer stehen, wie auch Pensionskassen, hinter vielen der milliardenschweren Netzinvestitionen, gemeinhin gelten sie als sicher. Beim Wasserstoffnetz hingegen überwiegen nun die Fragezeichen. Es entstehe der Eindruck, dass da das Verständnis für die Marktmechanismen fehle, die für Investoren gelten, sagt Schweier. Das Gleiche gelte für die Regulierung der Netze. "So können wir nicht weitermachen, wenn das für die Energiewende notwendige Geld bereitgestellt werden soll." Oder, wie es die Chefin des Energieverbands BDEW, Kerstin Andreae, sagt: "Auch die Zahlen müssen stimmen."

Bei der Anhörung klingt das nicht anders. "Warum soll ich in das Kernnetz investieren, wenn ich im Stromnetz höhere Renditen und weniger Risiko haben kann", fragt etwa Gabriel Clemens, der Mann für den Wasserstoff beim Energiekonzern Eon. Der Ausbau des Kernnetzes werde zur "Gratwanderung". Vor allem der 24-prozentige Selbstbehalt steht in der Kritik. Der Bundesrat hatte empfohlen, diesen Anteil auf 15 Prozent zu senken - das verlangen auch die Netzbetreiber. Und für insolvente Kollegen wollen sie ebenfalls nicht in Mithaftung genommen werden. Auch Finanzmarktauflagen könnten derlei Investments entgegenstehen.

"Erhebliche Risiken"

"Die Risiken sind erheblich", sagt Barbara Fischer, Geschäftsführerin der FNB Gas, die den ursprünglichen Netzplan aufgestellt hatten. "Gleichzeitig haben die Netzbetreiber keinen Einfluss auf die Entwicklung des Marktes." Sie können zwar die Leitungen verlegen oder ertüchtigen, ob aber dann Wasserstoff fließt, das liegt an anderen. Ohne Wasserstoff aber keine Einnahmen. Die kürzlich vorgelegten Pläne für eine Kraftwerksstrategie sehen viele potenzielle Investoren jetzt schon als Menetekel. Ursprünglich sollte sie vor allem auf Wasserstoff setzen, als Ersatz für Erdgas. Mit diesem Umstieg will sich der Bund nun noch etwas Zeit lassen.

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