Finanzindustrie:Wo ist denn hier die Bank?

Dorf

Früher gab es in fast jedem deutschen Dorf eine Bank. Die Zeiten sind vorbei. Massenhaft sperren die Geldinstitute Niederlassungen auf dem Land zu - weil die Kunden nicht mehr kommen.

(Foto: Jonas Hoss/Unsplash)
  • Die kleinste Bank Bayerns verliert nach mehr als 100 Jahren ihre Selbständigkeit.
  • Viele Geldinstitute, darunter auch die Sparkassen und Volksbanken, machen nicht mehr so gute Geschäfte. Schuld sein soll die EZB mit ihrer Niedrigzinspolitik. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.
  • Tatsächlich profitieren diese Banken oft auch von der lockeren Geldpolitik und häufen immense Reserven an. Und sie reagieren zu langsam auf sich verändernde Kundenwünsche.

Von Harald Freiberger und Meike Schreiber, Frankfurt

Der Meisl-Saal ist gut gefüllt, Franz Schießl kommt schnell zur Sache. "Von Nostalgie können wir nicht leben", sagt der Chef der Raiffeisenbank Bruck in der Oberpfalz auf der Mitgliederversammlung zu seinen Eigentümern. "Wir kommen an einen Punkt, wo es nicht mehr weitergeht. Wir brauchen einen leistungsstarken Partner."

Drei Wochen ist es her, dass Schießl das Ende der kleinsten Bank Bayerns einläutete, die 1903 gegründet wurde. 116 Jahre lang war man in dem 4400-Einwohner-Ort 30 Kilometer nördlich von Regensburg stolz auf die eigene Bank, die nur aus der Hauptstelle am Marktplatz besteht und in der sich sechs Mitarbeiter 4,5 Vollzeitstellen teilen. Doch jetzt wirft sich die Bank in die Arme eines größeren Partners. 1970 fing Schießl, 65, mit einer Lehre bei der Bank an. Nun muss er Fusionsgespräche mit Genossenschaftsinstituten führen.

Ist das Scheitern ein Symptom für die gesamte Branche? Fragt man Schießl nach den Gründen, warum es nicht mehr weitergeht, führt er zwei Punkte an: Da sei zum einen die ausufernde Regulierung. Gerade habe man für die Depotprüfung wieder eine Checkliste mit 220 Seiten abarbeiten müssen, "wir haben den Eindruck, wir bereiten eine Marslandung vor". Was die europäische Bankenaufsicht bis 2021 an Neuerungen im Meldewesen, im Risikocontrolling und bei der Eigenkapitalhinterlegung von Krediten plane, das sei für Banken wie seine eine Katastrophe. Aber vor allem ist da die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). "Wovon soll eine Bank eigentlich leben?", fragt Schießl. "Wie stellt man sich das in Frankfurt bei der EZB vor?" Im gesamten Bundesgebiet müssen sich Genossenschaftsbanken und Sparkassen zusammenschließen, "da können Sie hinschauen, wo sie wollen". Die Begründungen seien dieselben: die Zinsen und der Wahnsinn der Regulierung.

So ist das bei den deutschen Regionalbanken seit Jahren: Sie zetern und zürnen, sie schimpfen und jammern, und die Schuldigen stehen fest: Es sind die Notenbanker und Bankenregulierer in Frankfurt und Brüssel. Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis trieb es in dieser Woche auf die Spitze, als er einen öffentlichen Brief an EZB-Chef Mario Draghi schrieb: "Was Sie tun, ist falsch", heißt es darin. "Wenn man in der Sackgasse ist, sollte man nicht das Tempo erhöhen."

Doch genau das geschieht in diesen Wochen: Die EZB lockert die Geldpolitik wohl weiter, wegen der schlechten Konjunktur und der gefährlich niedrigen Inflationsrate. Was auch daran liegt, dass die Menschen so viel sparen und die öffentliche Hand so wenig investiert. Für Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken aber bedeutet das: weiter sinkende Gewinne, weiter Druck, Filialen zu schließen, weiter Druck, sich mit anderen zusammenzuschließen.

Sparkassen und Volksbanken verdienen immer noch ordentlich

Ist also nur Draghi schuld? Einen Teil der Wahrheit blenden die Regionalbanken gern aus, wenn sie über die EZB jammern. Es ist ein Kunststück, und die Sparkassen beherrschen es perfekt: sich zugleich arm und reich zu rechnen. Um ihre Kunden nicht zu verschrecken, müssen sie sich finanziell im besten Licht präsentieren. Volle Kassen aber machen sich nicht gut, während man zugleich gegen Regulierung und Niedrigzins wettert. Der Zinsüberschuss, der mit Abstand wichtigste Ertragsbringer von Sparkassen und Volksbanken, geht zwar stetig zurück, was in der Tat mit der Zinssituation zu tun hat. Außerdem können sie ihre viele Milliarden Euro an Eigenkapital in den Bilanzen nicht mehr zinsbringend anlegen - Geld, das sie früher im Schlaf verdient haben. Unter dem Strich aber verdienen sie immer noch ordentlich, gerade im Vergleich zu den beiden blutarmen deutschen Großbanken.

Rechnet man mit ein, was die 384 Sparkassen für schlechte Zeiten zurücklegen, dann kamen sie 2018 immer noch auf ein Betriebsergebnis nach Bewertung von enormen 8,6 Milliarden Euro; bei den Volksbanken sah es ähnlich aus. Unter dem Strich blieb beiden Bankengruppen jeweils ein Jahresüberschuss von gut zwei Milliarden Euro. Zu verdanken hatten sie das auch der lockeren Geldpolitik: Dank des jahrelangen Aufschwungs gingen in den vergangenen Jahren so wenig Firmen pleite wie noch nie. Außerdem boomt der Immobilienmarkt und verlangt nach Krediten von Volksbanken und Sparkassen. Den Instituten ist es zudem landauf, landab gelungen, den Kunden höhere Gebühren für die Kreditkarte, das Girokonto oder Geldabheben abzuverlangen - die Kundschaft ist träge genug. Noch.

Der Würgegriff durch Niedrigzins und Regulierung ist also nur der eine Teil der Geschichte - derjenige, der den Regionalbanken von anderen aufgezwungen wird und auf den sie gern verweisen. Es gibt aber noch einen anderen Teil, einen selbst verschuldeten: Die Bankenlandschaft in Deutschland ändert sich durch Direktbanken, Finanz-Start-ups und Digitalisierung gewaltig. Kunden kommen nicht mehr automatisch in die Filiale, sie erledigen ihre Bankgeschäfte online und auf dem Smartphone. Das Geschäftsmodell der Regionalbanken wird womöglich weggespült, aber sie scheinen es nicht zu merken. Schuld daran ist auch die eigene Bräsigkeit.

Manch einer schüttelt den Kopf über so viel Selbstbewusstsein

Eine Szene vom Sparkassentag im Mai in Hamburg, der Weihemesse der Szene, die nur alle drei Jahre stattfindet. Tagsüber Vorträge in der Messehalle, abends Party mit Fischbrötchen, Krabben und Showeinlage am Hamburger Hafen. Wer in der weitverzweigten Organisation etwas zu sagen hat, ist zugegen: Sparkassenvorstände, Landräte, Kreistagsabgeordnete samt Ehepartner. Auch der Bundesbankchef und die Kanzlerin halten Ansprachen, man vergewissert sich gegenseitig der Einzigartigkeit. Die Konkurrenz? Zumindest für diese zwei Tage weit weg. Auf einem Pressegespräch wird ein Sparkassenfunktionär gefragt, ob es Auswirkungen auf die Sparkassen habe, dass Commerzbank und Deutsche Bank nun doch nicht fusionierten? "Nein", heißt es achselzuckend. "Das hat jetzt nicht so die Relevanz für uns." "Aber die bieten doch wie Sie auch Girokonten an, vergeben Kredite?" Nein, wirklich nicht, es gebe da wenig Wechsel. "Der Kunde sortiert sich einem Geschäftsmodell zu. Daher bleibt das stabil."

Der Kunde "sortiert sich zu". Also alles stabil für alle Zeiten? Manch einer in der Sparkassenfamilie schüttelt den Kopf über so viel falsches Selbstbewusstsein. "Einige tun immer noch so, als seien wir allein auf weiter Flur", sagt ein Sparkassenfunktionär, der nicht genannt werden will.

Es lebte sich lange gut als Sparkassen-Vorstand

Einer, der sich zitieren lässt, ist Bernd Nolte, Bankenprofessor in Stuttgart, Berater, und nach eigener Aussage "ein großer Freund der Regionalbanken". 2013 sorgte er mit einer Studie für Aufsehen, Sparkassen und Volksbanken seien eigentlich nicht mehr konkurrenzfähig: Zu hoch die Kosten, zu schwach die Erträge, viele würden auf absehbare Zeit Probleme kriegen. Damals lag der Leitzins der EZB noch bei 0,25 Prozent, und den Instituten kam das schon unerhört niedrig vor. Kaum einer rechnete damit, dass die Marktzinsen weiter sinken, schlimmer noch, wohl dauerhaft im Minus zementiert bleiben.

"Ich hatte mir erhofft, dass viele die Zeit seit 2013 nutzen, um Kosten zu sparen und neue Ertragsquellen zu erschließen, aber passiert ist viel zu wenig", sagt Nolte. Seine Warnungen von damals seien "mehr oder weniger verpufft". Natürlich hätten einige Institute erfolgreich Gebühren erhöht oder Filialen geschlossen, aber das allein reiche bei Weitem nicht aus. Denn inzwischen sei klar, dass die Zinsen niedrig bleiben; zugleich lahme die Konjunktur, das führe zu mehr Kreditausfällen. Und dann seien da noch die hohen Pensionslasten für die Versorgung ihrer gut bezahlten Manager und Mitarbeiter. "Das hängt denen jetzt wie ein Klotz am Bein", sagt der Professor. Tatsächlich summierten sich 2018 bei mindestens 40 Sparkassen-Managern Bezüge und Pensionsrückstellungen auf mehr als eine Millionen Euro, wie das Branchenportal Finanz-Szene schreibt. Bei zwei Führungskräften der Kreissparkasse Köln und einem Vorstand der Sparkasse Duisburg waren es sogar mehr als zwei Millionen Euro. Es lebte sich lange gut als Sparkassenvorstand.

Kann das so bleiben? Es reiche nicht aus, nur über die Europäische Zentralbank zu schimpfen, sagt Nolte. Wenn die Institute nicht gegensteuern, werde sich der Gewinn über die kommenden fünf Jahre halbieren. Er hält die Geldhäuser für zu satt. Warum nicht eine Seniorenbank ins Leben rufen - eine Zielgruppe, die persönliche Beratung durch vertraute Partner am Ort bei den vielfältigen Themen zu schätzen weiß?

Auch Verbraucherschützer sind genervt vom Gemecker über die Zentralbank

Die zweischneidige Kommunikation - über die niedrigen Zinsen jammern, die eigene Lage aber rosig darstellen - spiegelt sich auch im Kleinen, bei der Raiffeisenbank Bruck zum Beispiel. Nachdem Vorstand Schießl auf der Mitgliederversammlung im Meisl-Saal über EZB und Finanzaufsicht geklagt hat, hebt Aufsichtsrat Hans Frankl das "erfreuliche Gesamtergebnis" hervor, das hohe Eigenkapital und die gesteigerte Risikotragfähigkeit. "Die Bank ist eine attraktive Braut", schließt er. Was man so sagt, wenn es in die Fusionsgespräche geht.

Es ist die Lebenslüge vieler Regionalbanken, dass alles gut wäre, wenn es nur die EZB nicht gäbe. Auch Verbraucherschützer sind davon genervt. "Von den Sparkassen hört man in erster Linie lautes Gemecker über die Zinspolitik", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Schon würden die Institute sogenannte Negativzinsen nicht mehr ausschließen, führten Verwahrentgelte ein, erhöhten die Gebühren oder kündigten unliebsam gewordene Sparverträge. Andererseits seien da neue Wettbewerber, diese böten entgeltfreie Girokonten und innovative Banking-Apps an. Und dann gibt der Verbraucherschützer eine indirekte Empfehlung: "Vom Wettbewerb können insbesondere Verbraucher profitieren, die Bankgeschäfte gern am Smartphone erledigen und auf sogenannte Anlageberater verzichten können, die über Provisionen finanziert werden." Nauhauser könnte auch sagen: Viele Regionalbanken haben den Schuss noch nicht gehört.

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