Berlin (dpa/tmn) – Das „S“ steht für Speed – womit schon der größte Unterschied markiert wäre: S-Pedelecs können bis zu 45 km/h erreichen, solange man die Pedale tritt. Bei normalen Pedelecs, landläufig E-Bike genannt, stellt der Motor seine Unterstützung bei Tempo 25 ein.
Damit gelten S-Pedelecs rechtlich als Kleinkrafträder – anders als Pedelecs, die als Fahrräder eingestuft sind. So sind hier eine Betriebserlaubnis und ein Versicherungskennzeichen wie beim Mofa oder Roller nötig. Fahren darf sie auch nur, wer einen Führerschein mindestens der Klasse AM besitzt und mindestens 15 Jahre alt ist. Auch mit Pkw-Führerschein darf man losdüsen.
Kontrovers diskutiert: S-Pedelecs müssen auf der Fahrbahn fahren. Denn das heißt im Umkehrschluss: Fahrradwege sind für sie tabu, auch außerorts. „Tatsächlich ist auf vielen Außerortsstraßen mit straßenbegleitenden Radwegen die Nutzung geeigneter Radverkehrsanlagen oft die verkehrssicherere Lösung“, heißt es zum Beispiel beim Verkehrsclub Deutschland (VCD).
S-Pedelecs verkaufen sich in Deutschland kaum – anders als in der Schweiz, wo sie nach Angaben des Touring Club Schweiz (TCS) sogar auf den Radweg müssen, wenn dort nicht auch Fußgänger erlaubt sind.
Schnelles Rad mit Doppelakku
So ist mit Stromer auch einer der bekanntesten Hersteller eine Schweizer Firma. Doch auch viele andere Marken haben schnelle E-Räder – Specialized, Diamant, Cube, Flyer, Riese & Müller, Scott oder Bergamont. Wir sind mit dem Modell Friday 27 FS Speed Dual mit Doppelakku des französischen Herstellers Moustache unterwegs.
Der Einsatzzweck: Der Hersteller positioniert das Friday als Pkw-Alternative für Berufspendler: „Vor allem in städtischen oder vorstädtischen Umgebungen kann es ein schnelleres Fortbewegungsmittel sein als Auto oder Roller“, sagt Moustache-Sprecher Clément Bonneau.
Das S-Pedelec ist für Radfahrer gedacht, für die ein normales E-Bike zu langsam ist, um längere Strecken in einer angemessenen Zeit zu bewältigen – etwa vom Stadtrand ins Stadtzentrum.
Die Technik: S-Pedelecs sehen auf den ersten Blick aus, wie jedes andere E-Bike. Da macht das Moustache keine Ausnahme. Erst bei näherem Hinsehen gibt es sich als Pedelec der schnellen Sorte zu erkennen. Am auffälligsten ist das Nummernschild am Heck. Ein Versicherungskennzeichen als Beleg einer bestehenden Haftpflichtversicherung ist Pflicht.
Plus an Reichweite
Der Mittelmotor von Bosch bietet eine Nennleistung von 250 Watt. Der maximale Leistungsoutput liegt bei 600 Watt, das für das Antrittsverhalten verantwortliche Drehmoment bei spritzigen 85 Newtonmeter (Nm). Der Motor ist in der Lage, die eingebrachte Muskelkraft um den Faktor 3,4 zu verstärken.
An Bord sind leistungsstarke hydraulische Zwei-Kolben-Bremsen, die vom deutschen Zulieferer Magura eigens für S-Pedelecs entwickelt wurden. Dass die Vier-Finger-Hebel nicht viel Kraft benötigen, lässt sich schon anhand der großen Bremsscheiben (203 Millimeter vorne; 180 Millimeter hinten) vermuten.
Für ein Plus an Reichweite haben die Entwickler dem Moustache zwei Akku-Packs verordnet: Im Unterrohr stecken 625 Wattstunden (Wh). Die Kapazität des zusätzlichen Powerpacks liegt bei 500 Wh. Damit liegt die Reichweite unter idealen Bedingungen bei über 200 Kilometern, sagt Bonneau. Anders ausgedrückt: Für eine Arbeitswoche könnte man täglich fast 40 Kilometer pendeln, ohne einmal nachladen zu müssen.
Die Stromspeicher versorgen neben dem Motor auch die anderen Verbraucher – so auch die verpflichtende Beleuchtung des Nummernschildes.
Starkes Beintraining
Der Fahreindruck: Unterwegs mit dem Friday hängt man ein normales E-Bike schnell ab. Doch es bedarf kräftiger Mithilfe der Beine, um Tempo 45 zu erreichen. Die beigesteuerte Motorkraft ist an das Schaltverhalten gekoppelt: Schnelleres Treten, also höhere Trittfrequenzen, führen ab einem gewissen Punkt nicht zu mehr Motorunterstützung.
Erst, wenn man die nächsthöhere der elf Übersetzungsstufen der Kettenschaltung von Shimano einlegt, aktiviert der Motor seine nächste Zündstufe. Schalterkennung nennt Bosch das, wenn Motorkraft und Übersetzungsverhältnis miteinander korrespondieren. Dass die Kraftspritze bei höheren Trittfrequenzen schnell abebbt, fühlt sich gewöhnungsbedürftig und kontraintuitiv an.
Zum anderen besitzt das Friday bauartbedingt nicht den Wumms eines S-Pedelecs mit Heckmotor, bei dem die Kraft direkt in die Antriebsachse eingeleitet wird – was dazu beträgt, dass sich solche Modelle spritziger anfühlen und die Kette weniger schnell verschleißt.
Dass S-Pedelecs wie Fahrräder aussehen, sorgt im Straßenverkehr für Irritationen. Im Zusammenspiel mit anderen Verkehrsteilnehmern kann das zu gefährlichen Situationen führen. An Kreuzungen wird einem im Sattel des Friday mit höherer Wahrscheinlichkeit die Vorfahrt genommen, weil andere Verkehrsteilnehmer das Tempo des nahenden S-Pedelecs unterschätzen. Beim Ampelstart überholen Autofahrer einen Schuss aggressiver, weil sie nicht gleich vorbeikommen.
Mit an Bord
Weil nahezu unbekannt ist, dass S-Pedelecs nicht auf Radwege dürfen, kommt es vor, dass Autofahrer hupen und gestikulierend auf etwaig vorhandene parallel geführte Radwege verweisen. Auch mit dem Friday, so komfortabel es sich mit Federgabel und Rahmendämpfer selbst auf Kopfstein auch fährt, fühlt man sich auf der Straße oft als Fremdkörper. Hinzu kommt: Weil auch Forst- und Waldwege tabu sind, muss man mitunter Umwege nehmen – was die Reisezeitvorteile für Pendler zunichtemachen kann.
Ausstattung, Zubehör, Peripherie: Das Wichtigste zuerst: Wer ein S-Pedelec fährt, muss einen Fahrradhelm tragen – der wie üblich aber nicht zum Lieferumfang gehört. Am Bike selbst sind weitere technische Details Pflicht: So ist eine Beleuchtung vorgeschrieben, die während der Fahrt immer angeschaltet ist und über Fernlicht verfügt. Beim Friday steuert die der deutsche Zulieferer Supernova ebenso bei wie das Rücklicht mit Bremslichtfunktion.
Ebenfalls Pflicht: eine Hupe. Fernlicht und Hupe lassen sich über Taster am Lenker direkt bedienen. Links ist ein einklappbarer Rückspiegel von Busch & Müller angebracht, der ebenfalls zur Standardausstattung eines S-Pedelecs zählt.
Das Moustache rollt auf Schwalbe Super Moto-X-Reifen (27.5 x 2.40) für S-Pedelecs. Sie versprechen eine gute Bodenhaftung auf Asphalt und fahren sich komfortabel. Am System-Gepäckträger vom niederländischen Hersteller MIK lassen sich (Lowrider-)Taschen und Körbe einklicken, doch müssen diese kompatibel sein. Die Alu-Konstruktion ist auf bis 25 Kilo Zuladung ausgelegt.
Rundum-Blick
Über eine Bosch-App lässt sich das 3,2-Zoll-Touchdisplay als Navi nutzen. Es zeigt unter anderem auch Leistung und Kalorienverbrauch des Radlers an. Über In-App-Kauf kann man die Motorunterstützung dem Fahrverhalten anpassen.
Funktionseinschränkung gibt es beim Kindertransport: Mit einem S-Pedelec darf man in Deutschland keinen Kinderanhänger ziehen. Ein Kindersitz am Rad ist nach Angaben des Pressedienst-Fahrrad aber erlaubt.
Der Preis: Mit 7499 Euro ist das Friday 27 FS Speed Dual kein Schnäppchen. 900 Euro lassen sich sparen, wenn man auf den Zusatzakku verzichtet. Was den Preis ebenfalls relativiert ist die Nutzung als Autoersatz – gerade zu Zeiten hoher Spritpreise.
Das Fazit: Dank Vollfederung fährt sich das Moustache sehr komfortabel. Die Komponenten wirken robust, wie die ganze 30 Kilo schwere Konstruktion. Das Moustache-S-Pedelec animiert dazu, das Auto auch mal stehen zu lassen. Ist die Pendlerstrecke nicht zu lang, spart man Zeit. Mit allen anderen S-Pedelecs teilt es sich, dass es auf die Straße muss, wo die Rushhour das Fortkommen ausbremst. Das sollte man bei der Abwägung zwischen einem teureren S-Pedelec und günstigerem Pedelec einbeziehen.
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